Drama Queens

Les reines du drame

Frankreich/Belgien 2024 · 115 min. · FSK: ab 16
Regie: Alexis Langlois
Drehbuch: , ,
Kamera: Marine Atlan
Darsteller: Louiza Aura, Gio Ventura, Bilal Hassani, Alma Jodorowsky, Nana Benamer u.a.
Drama Queens
Im Rampenlicht: queeres Begehren
(Foto: Salzgeber)

Zwei Seelenverwandte am Firmament

Ein berauschendes Musical: Zwei talentierte Nachwuchssängerinnen träumen vom Erfolg und verlieben sich

Stee­vys­hady, Blog­be­treiber, versteht sich als der größte Fan der fran­zö­si­schen Sängerin Mimi Madamour. Im Jahr 2055 blickt er zurück auf die Karriere der »ikoni­schen Diva« und sagt mit direktem Blick in die Kamera: »Sie ist mein Idol, meine Göttin.« Anlass für die nost­al­gisch gefärbte Rückschau ist das 50-Jahre-Jubiläum des ersten und größten Hits von Mimi: »Pas touche!« (Finger weg). Doch Stee­vys­hady war offenbar kein Engel: Der toxische Fan war auch eifer­süchtig und gibt zu: »Ich habe auch auf sie gespuckt.« Doch nun hat er beschlossen, Mimi zu ehren, indem er ihre Geschichte erzählt.

Mit diesem schrillen Video in einem farben­präch­tigen Setting beginnt Drama Queens, das Spiel­film­debüt von Alexis Langlois, non-binäre Regisseur*in. Der exzen­tri­sche Monolog setzt den Ton für ein exzen­tri­sches queeres Popmu­sical, das facet­ten­er­eiche Blicke zurück­wirft auf die fran­zö­si­sche Musik­szene der Jahre 2005 bis 2015.

Im Warte­zimmer der Casting­show »The New Starlets« lernen sich die 18-jährige Mimi und die 20-jährige Butch-Punk­sän­gerin Billie Kohler (Gio Ventura) kennen. Während Mimis ohrwurm­taug­li­ches Popli­ed­chen gut ankommt, verlegt sich Billie aufs Provo­zieren. Unter ihrem Künst­ler­namen Fente eckt sie mit ihren femi­nis­ti­schen Ausfällen gegen das Patri­ar­chat an und wird von den Security-Männern aus dem Studio befördert. Dennoch ist der Funke über­ge­sprungen. Mimi besucht am Abend ein Konzert von Billie, die von ihren weib­li­chen Fans gefeiert wird. Die beiden verknallen sich, landen im Bett.

Doch Mimi verheim­licht ihre sexuelle Orien­tie­rung vor ihrer Mutter, Billie fühlt sich verraten. Prompt geraten sich die beiden in die Haare und beschimpfen sich als »Fake Punk« und »spießige Schlampe«. Doch am nächsten Tag besucht Mimi die Kollegin im Studio, baggert sie an, macht eine Liebes­er­klärung. Das Auf und Ab ihrer kompli­zierten Beziehung bekommt weitere Anschub­energie, als Mimi die Casting-Show gewinnt. Ein geris­sener Manager will den »Rohdia­manten« schleifen und aus ihr eine Popdiva machen. Mit erblon­deten Haaren erobert Mimi die Bühnen, ihr Lied wird zum inter­na­tio­nalen Hit. Um ihre hete­ro­se­xu­ellen Fans nicht zu verschre­cken, will sie jedoch die Romanze mit der Punkerin geheim halten. Billie ist tief verletzt und zieht sich zurück. Ihren Herz­schmerz verar­beitet sie in einem hoch­ex­pres­siven Liebes­lied, das selbst zum Hit aufsteigt. Die beiden jungen Frauen ziehen sich weiter magne­tisch an, können aber anschei­nend nicht zusammen glücklich werden.

Dass Langlois ein Faible für Musik-Komödie hat, lässt sich nicht übersehen. Inspi­ra­tionen sind erklär­ter­maßen die Musi­cal­filme von Bob Fosse, Jacques Demy und Vincente Minelli, aber auch Filme wie The Girl Can’t Help It von Frank Tashlin, Golden Eighties von Chantal Akerman und Phantom of the Paradise von Brian de Palma. Gleich­wohl zeigt das bemer­kens­werte Debüt eine eigene Hand­schrift, die vom Mut zum Exzen­tri­schen geprägt ist.

Der Film, der als queeres Gegen­s­tück zum Hetero-Main­stream-Klassiker A Star Is Born und dessen drei Remakes durch­gehen kann, trägt gerne dick auf. Dazu zählen erotisch aufge­la­dene Bühnen­auf­tritte ebenso wie eine dras­ti­schen Wortwahl. In einem Duett von Mimi und Billie heißt der offen­her­zige Refrain: »Ich habe dich bis ins Herz gefistet.« In dem kunter­bunten Potpourri kommt auch der Humor nicht zu kurz.

Bei der Auswahl des Haupt­dar­stel­ler­trios hatte Langlois eine sichere Hand. Die drei stehen sich in Sachen Exal­tiert­heit kaum nach. Louiza Aura und Gio Ventura – ein trans­se­xu­eller Mann, der die Cis-Frau Billie verkör­pert, spielen ausdrucks­stark und auf Augenhöhe. In der schrägen Rolle des Megafans Stee­vys­hady punktet Bilal Hassani, beim ESC-Wett­be­werb 2019 mit dem Song »Roi« auf dem 16. Platz gelandet, vor allem mit bissigen Kommen­taren, darf sich aber gele­gent­lich auch direkt in die Handlung einmi­schen.

Ein großer Pluspunkt von Drama Queens ist der schwung­volle Sound­track. Um ein breit­ge­fächertes Spektrum von Musik­rich­tungen von eingän­gigem Teenie-Pop über exzessive Schmacht­fetzen bis zu harten Punk-Nummern abzu­de­cken, arbeitete Langlois mit fran­zö­si­schen Musi­ke­rinnen wie Yelle und der Elek­tro­musik-Pionierin Rebeka zusammen. Außerdem steuerten Größen wie Pierre Desprats, Mona Soyoc und Louise Bsx Musik­auf­nahmen zum Sound­track bei.

Langlois nutzt den unge­stümen Amour Fou auch für sati­ri­sche Seiten­hiebe, teilt kräftig gegen die Profit­gier im Musik­busi­ness, die Über­griffe und Hass­kam­pa­gnen in den Sozialen Medien und üble Machen­schaften im Trash-Fernsehen aus. Etwa wenn man sieht, wie zwei skru­pel­lose Mode­ra­to­rinnen vor laufender TV-Kamera die ältere Mimi in eine Falle locken und mit Enthül­lungen gezielt bloßstellen. Da werden schnell Erin­ne­rungen an Fern­seh­auf­tritte von Britney Spears wach.

Mit seinen bonbon­bunten Kulissen und den eingän­gigen Musik­num­mern unterhält der knapp zweis­tün­dige Film über weite Strecken prächtig. Aller­dings schlei­chen sich in der zweiten Hälfte einige Längen in die gerad­li­nige Insze­nie­rung ein, wenn sie sich allzu ausgiebig im Herz­schmerz der Liebenden suhlt. Und auf der Suche nach einem schlüs­sigen Ende verläuft sich Langlois auf den verschlun­genen Pfaden einer Phan­tas­ma­gorie.