Promising Young Woman

USA 2020 · 114 min. · FSK: ab 16
Regie: Emerald Fennell
Drehbuch:
Kamera: Benjamin Kracun
Darsteller: Carey Mulligan, Bo Burnham, Alison Brie, Clancy Brown, Jennifer Coolidge u.a.
Die Spinne in ihrem Netz
(Foto: Universal Pictures International)

Die Rache einer Frau

Promising Young Woman ist nicht zuckersüß, sondern eine subersive Bosheit und schwarze, erwachsene Version einer »Romantic Comedy«

Cassandra scheint ihr Leben zu genießen. Die Mitt­dreißi­ger­sin­gle­frau geht gerne aus, tanzt, trinkt und reißt in Nacht­clubs regel­mäßig fremde Männer auf. Doch sehr schnell in diesem Film wird klar: Die nächt­li­chen Akti­vi­täten der Haupt­figur haben nicht nur eine manische, zwang­hafte Kompo­nente, sondern sie dienen eigent­lich auch einem ganz anderen Zweck: Nicht abwechs­lungs­rei­chen, unver­bind­li­chen Sex will die Haupt­figur, sondern Rache. Die Frau lockt wild­fremde Männer in eine Honig­falle, denn »Männer sind Schweine« – so zumindest die Moral dieses Films, der trotzdem in erster Linie eine schwarze Komödie ist.

Es hilft übrigens, wenn man in diesem Fall die Fern­seh­serie »Killing Eve« kennt. Denn Emerald Fennell, die Regis­seurin von Promising Young Woman, ist eine der Dreh­buch­au­torinnen von »Killing Eve«. Und der Ton beider Filme ähnelt sich sehr: Auch »Killing Eve« kommt genau­ge­nommen ohne Männer aus. Und auch Promising Young Woman ist wie die Serie von einer sarkas­ti­schen, bitteren Ironie durch­zogen, die manche Menschen mit Zynismus verwech­seln.

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Der Film folgt der von Carey Mulligan umwerfend gespielten Cassandra. Bald versteht man: Sie war eine viel­ver­spre­chende Medi­zin­stu­dentin, die nach einem verstö­renden Ereignis aus ihrer Vergan­gen­heit in einem Coffee-Shop arbeitet und anderen als Versa­gerin erscheint. Der Hinter­grund wird bald enthüllt: Das trau­ma­ti­sche Ereignis für Cassandra war, dass sich ihre beste Freundin wegen einer Party­ver­ge­wal­ti­gung, die ihr niemand glaubte, das Leben nahm.

Als »Cassie« uner­wartet Ryan, einen ihrer alten Klas­sen­ka­me­raden aus dem Medi­zin­stu­dium, wieder­trifft, scheint sich ihr Leben zu verändern. Aber Vorsicht. Zumindest die Musik spricht hier früh die Wahrheit und nimmt die lauernde Kata­strophe vorweg. Jede Idylle in diesem Film ist eine schein­bare und täuscht nur kurz darüber hinweg, dass Regis­seurin Fennell ein knall­hartes »Rape-Revenge-Drama« erzählt.

Auch der Name dieser Haupt­figur führt in die Irre. Denn Cassandra entspricht nicht etwa der antiken Gestalt aus Homers »Ilias«, die weiser ist als alle anderen, die die Zukunft sehen kann, der aber keiner Glauben schenkt. Sie ist eher ein troja­ni­sches Pferd, das auch uns Zuschauer mehr als einmal in die Irre führt.

Dies ist ande­rer­seits kein Film, der in Schwarz-weiß-Manier mit dem keines­wegs einfachen Thema Miss­brauch umgeht, und der die Männer zu scha­blo­nen­haften Klischees reduziert. Statt schwarz-weiß ist dies ein Film voller Grauzonen. Fast alle Szenen haben eine zweite Bedeutung. Dieser Film ist zunächst einmal eine Kritik an anderen Filmen – mit den Mitteln des Kinos. Man könnte sagen: Promising Young Woman ist die schwarze, düstere, erwach­sene Version einer »Romantic Comedy«.
Diese ist sehr lustig – aber wirklich befreit lachen wird man nur, wenn man solche Filme wie When Harry Met Sally..., American Pie und Notting Hill mit ihrem völlig unge­bro­chenen naiven Konzept der »wahren Liebe« und des »Jeder Topf braucht einen Deckel« noch nie wirklich ernst­nehmen konnte. Und wenn man sich heimlich gewundert hat, wieso erwach­sene Menschen über so einen Quatsch auch nach zwanzig Jahren noch ernsthaft reden. Dieser Film ist dagegen subversiv, und er unter­wan­dert proto­ty­pi­sche Szenen, die wir schon tausend­und­einmal in anderen Filmen gesehen haben: Zum Beispiel gibt es hier Männer, die eher unan­sehn­lich und dick sind und grund­sätz­liche Hemmungen im Umgang mit Frauen haben. In einer »Romantic Comedy« wären sie der dicke Sidekick, der »beste Freund des Helden«, der die schöne weibliche Haupt­figur ebenfalls anschwärmt und auf dessen Kosten der Film ein paar Witze macht, über die dann das ganze Kino lacht. Man lacht auch hier. Aber selten bleibt einem das eigene Lachen derart im Hals stecken, wie in diesem Fall – denn auch der vermeint­lich lustige Dicke ist hier eine abgrün­dige, unan­ge­nehme Figur.

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Promising Young Woman hat sehr verschie­dene Reak­tionen hervor­ge­rufen. Der Film wurde gefeiert, es gab aber auch Kritik. In den USA, wo der Zeitgeist ihm am nächsten steht, gewann der Film einen Oscar für das »Beste Drehbuch« und wurde vier weitere Male nominiert. Unter euro­päi­schen Beob­ach­tern sind die ersten Reak­tionen verhal­tener. Man wirft dem Film mitunter vor, »frau­en­feind­lich« oder »männ­er­feind­lich« zu sein – je nach Betrach­ter­per­spek­tive.

Denn tatsäch­lich richtet sich Cassan­dras Rache auch gegen Frauen, die unso­li­da­risch sind, etwa eine ehemalige Mitstu­dentin.

Ein Vorwurf, der am ehesten berech­tigt ist: Promising Young Woman unter­wan­dert den rechts­staat­li­chen Grundsatz: Im Zweifel für den Ange­klagten. Hier gilt eher: Im Zweifel gegen die Männer. Viel­leicht ist dies aber ganz grund­sätz­lich eine falsche Betrach­tungs­weise. Aber warum darf ein Film, zudem ein satirisch über­zeich­neter, nicht einseitig und ungerecht sein, auch wenn es einmal nicht um Themen wie Kapi­ta­lismus, Welt­frieden und Atom­kraft­werke geht, bei denen sich zumindest in Deutsch­land alle einig sind?

Im Grunde kommt es ja für die Qualität eines Films gar nicht darauf an, wo dieser moralisch oder politisch steht, sondern ganz einfach darauf, ob er gut ist.

Und auch Promising Young Woman ist von einer sarkas­ti­schen, bitteren Ironie durch­zogen – ein wichtiger und künst­le­risch sehr gelun­gener, auch trotz allem immer wieder sehr witziger Film. Über die letzten Wendungen in seinem Finale, die wiederum eine Menge über den Haufen werfen, auf das man sich bis dahin verlassen konnte, wird bestimmt noch mehr gespro­chen werden. Gut so. In jedem Fall aber ist dies ein befrei­ender, schön böser Film, der großes intel­li­gentes Vergnügen bereitet.