Pingpong

Deutschland 2006 · 89 min.
Regie: Matthias Luthardt
Drehbuch: ,
Kamera: Christian Marohl
Darsteller: Sebastian Urzendowsky, Marion Mitterhammer, Clemens Berg, Falk Rockstrohs
Paul bleibt vor allem ein Eindringling

Spiele der Erwachsenen

Matthias Luthardt glän­zendes Debüt Pingpong

Der sechs­zehn­jäh­rige Paul (Sebastian Urzen­dowsky) taucht eines Tages recht unver­mit­telt bei seinem Onkel und dessen Familie auf. So recht will­kommen ist er nicht, aber bleiben darf er trotzdem. Schnell erfahren wir: Sein Vater hat sich kürzlich umge­bracht, und seine Schul­fe­rien mag er nicht zu Hause verbringen. Paul bietet an, den verrot­teten Swimming-Pool im Garten zu repa­rieren. Man einigt sich: Er kümmert sich um den Pool, und solange das dauert, darf er hier Ferien machen. Trotzdem bleibt Paul vor allem ein Eindring­ling, der das sorgsam austa­rierte, bei näherem Hinsehen aber überaus fragile Geflecht dieser nach Außen ideal­ty­pi­schen Familie – Vater, Mutter, Kind, einen Hund gibt es auch noch – mehr und mehr aus dem Gleich­ge­wicht bringt: Die Mutter (Marion Mitter­hammer) verehrt ihren einzigen Sohn, und triezt ihn zugleich doch mit täglichem inten­siven Klavier­un­ter­richt. Er soll einen Wett­be­werb gewinnen, Musik studieren, und damit auch gleich jene Karrie­re­träume verwirk­li­chen, die die Mutter einst, offenbar um Ehe und Kind willen, aufgab. Sohn Robert (Clemens Berg) hat darauf wie leicht zu erkennen ist, wenig Lust. Vor Feigheit und Versa­gens­angst gequält ist er heimlich alko­hol­krank geworden. Zugleich riva­li­siert er zunehmend mit seinem Cousin um die Gunst der Mutter, und so ähneln die regel­mäßigen Tisch­tennis-Matches zwischen beiden mehr und mehr auch einer harten Kompen­sa­tion des emotio­nalen Duells. Der oft abwesende Vater (Falk Rockstroh) wirkt alldem gegenüber schwach und entschei­dungs­un­fähig, erst recht auch im Kontrast zu seiner Ehefrau. Und Paul, unsicher und von seiner Vergan­gen­heit belastet, wird zum Objekt eines psycho­lo­gi­schen Spiels, das seine drei Verwandten, halb unschuldig-unbewußt, halb berech­nend mit ihm treiben.

Worum geht es also in diesem Film? Darum, wie es zwischen Paul und seiner Tante zu einer sexuellen Annähe­rung kommt, und von deren Folgen? Nein, nicht haupt­säch­lich. Um Angst, um exis­ten­ti­elle Verlas­sen­heit, und um die spezi­ellen Nöte der Pubertät geht es schon eher. Vor allem aber um den Zwangs­ap­parat Familie, hier in seiner besonders subtilen Ausprä­gung, der bürger­li­chen Familie, deren Werte neuer­dings vom konser­va­tiven Feuil­leton und neurechten Profes­soren wieder beschworen werden. Pingpong spielt in einem namen­losen mittel­s­tän­di­schen Suburbia – lokaler, sondern ein univer­saler Raum, in dem das Allge­meine konkret wird, wird hier entfaltet.

Zugleich geht es auch um das Spiel selbst. Schon der Titel verweist darauf. Denn alle spielen hier ihre Spiele mitein­ander, und längst nicht immer sind sie den Betei­ligten sehr bewusst. Zudem ist Pingpong ein Spiel, in dem sich die Betei­ligten auf klare Regeln geeinigt haben.
Auch Pauls Spiel ist für den Zuschauer eigent­lich bis zum Ende unklar. Natürlich kann man sagen: Er ist einsam, verlassen, sucht Hilfe und Liebe. Aber warum kommt er dann ausge­rechnet hierher, zu Menschen, die er kaum kennt? Es ist dies also auch eine ziemlich künst­liche Konstruk­tion, einer Versuchs­an­ord­nung im chemi­schen Labor ähnlicher, als »dem wahren Leben«, in dem die Bestand­teile nie so rein getrennt sind, wie chemische Elemente im Labor.

Die Kamera ist sorg­fältig und genau, angenehm zurück­ge­nommen, aber auch nicht sonder­lich inspi­riert. Vergleiche von Pingpong mit der Film­sprache der »Berliner Schule« sind daher ebenso mit Vorsicht zu genießen, wie jene mit den Filmen Stefan Krohmers, besonders zuletzt Sommer ‘04, der sich an die Ästhetik fran­zö­si­scher Filme anschließt. Die Kamera von Krohmer und seinem Kame­ra­mann Patrick Orth ist bei aller Disziplin und Zurück­ge­nom­men­heit weitaus forcierter, aktiver und drama­ti­sie­render, als die des jungen Berliner Regis­seurs Matthias Luthardt in seinem Regie­debüt. Die Konstru­iert­heit von Sommer ‘04 liegt im Geschehen, die von Pingpong in der Situation. Diese Situation scheint immer auch – ganz im Gegensatz zu Sommer ‘04 – ein Geheimnis, etwas Unaus­ge­spro­chenes zu enthalten, das sich dem Zuschauer bis zum Ende nicht enthüllt – wie zahl­reiche lose Fäden der Handlung. Dies ist zwei­fellos Absicht, kein hand­werk­li­cher Mangel. Ob es dem Film ausschließ­lich nutzt, muss man zwar bezwei­feln. Wer aber einwendet, dass hier »um den heißen Brei herum­ge­redet« werde, hat sich offenbar noch nie näher mit der Struktur von Traumata und deren Verar­bei­tung, auch noch nie mit den verschlun­genen Wegen emotio­naler Kommu­ni­ka­tion beschäf­tigt. Die Hemmung und Unfähig­keit zur Aussprache, das unan­ge­tastet-lassen des Unan­ge­nehmen, und das Abge­wälzen von Probleme auf Neben­felder liegt schließ­lich gerade in der Natur von Verdrän­gungen – das diese sich hingegen in fünf Minuten in Nichts auflösen, gibt es nur im deutschen Fernsehen. Und die große Katharsis ist zumeist nur ein Melo-Klischee von Dreh­buch­au­toren, die das auch noch für ange­wandten Aris­to­te­lismus halten.

Luthardt pflegt demge­genüber eine seltene Tugend: Er macht die Dinge nicht einfacher, als sie sind, die Gefühle seiner Figuren werden nicht in geschwät­zigen Dialogen ins Über­ein­deu­tige ausge­walzt, sondern müssen vom Zuschauer aus lako­ni­schen Andeu­tungen und Gesten ins Eindeu­tige übersetzt, also inter­pre­tiert werden.

Worin Pingpong anderen Filmen ähnelt, und die Annahme stützt, dass solche Ähnlich­keiten nicht zufällige Korre­spon­denzen sind, sondern präzise Moment­auf­nahmen der deutschen Kollek­tiv­psyche, sind andere Elemente: Einmal mehr – wie zum Beispiel in Bungalow, in Montag kommen die Fenster, in Falscher Bekenner, in Wolfsburg- wird ein Bungalow zur Druck­kammer der Emotionen. Und einmal mehr – wie in Bungalow, Der Felsen, Manila, Klas­sen­fahrt oder eben in Sommer ‘04, aber auch La piscine und Swimming Pool zum Beispiel – sind die Ferien der Zeitraum, in dem diese Emotionen sich stauen und schließ­lich eruptiv entladen.

Pingpong, Luthardts Diplom­film an der Potsdamer Film­hoch­schule, hat es im Früh­sommer prompt in die strenge Auswahl der »Semaine de la Critique« des Festivals von Cannes geschafft, und dort mehrere Preise gewonnen. Der Film ist ein Kammer­spiel über vier Personen, deren indi­vi­du­elle Universen sich nur gele­gent­lich berühren. In seiner Leich­tig­keit und Verträum­t­heit, ebenso aber seiner Genau­ig­keit und Strenge mutet er fast fran­zö­sisch an. Das Drehbuch hat Luthardt zusammen mit Meike Hauck geschrieben, die sich bereits als Thea­ter­au­torin einen Namen gemacht hat. Viel­leicht ist es ihrem Einfluß zu verdanken, dass die Figuren dieses Films immer auch durch äußere Merkmale charak­te­ri­siert werden, nicht weniger, als durch das, was sie sagen. Pingpong besticht neben seinem starken Drehbuch auch durch hervor­ra­gende Darstel­ler­leis­tungen.
Am beein­dru­ckendsten aber ist, wie es Luthardt fertig bringt, dass die Klugheit, der Bezie­hungs­reichtum und die Konstru­iert­heit seiner Konstel­la­tion nie auf Kosten der Emotio­na­lität und des Unter­hal­tungs­werts des Films gehen. Pingpong ist auch ein gefühl­voller und dabei witziger Film.