Piggy

Cerdita

Spanien/F 2022 · 100 min. · FSK: ab 16
Regie: Carlota Pereda
Drehbuch:
Kamera: Rita Noriega
Darsteller: Laura Galán, Fred Tatien, Carmen Machi, Julián Valcárcel, Pilar Castro u.a.
Filmszene »Piggy«
Rollenbilder und Gewalt selbstreflexiv und selbstkritisch betrachten...
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen)

Der Killer, mein Retter

In ihrem Langfilmdebüt Piggy erzählt Carlota Pereda von Mobbing, Körpernormen und Rachefantasien – mit einer interessanten Wendung

Carlota Pereda weckt schon früh eine ungeheure Morbi­dität in ihrem Film. Piggy schafft sich raue, beklem­mende Bildräume, die das Grausame im Alltä­g­li­chen bloßlegen und umgekehrt. Immer wieder dieses Schneiden, Zerteilen und Schaben, diese Geräusche! Gleich zu Beginn wird eine Blutwurst zube­reitet, später zerteilt eine Säge Knochen, erhält selbst das Schneiden einer Melone ekelhafte Konno­ta­tionen – von den verletzten und ermor­deten mensch­li­chen Körpern ganz abgesehen, die sich häufen. Pereda kündigt über solche Szenen und Bilder einen Horror im sommer­li­chen Spanien an, der über seine eigene Gestalt nach­denken will.

Es ist zuvor­derst der zwischen­mensch­liche Schrecken, für den sich Piggy inter­es­siert. Der Coming-of-Age-Film erzählt eine Mobbing­ge­schichte, in der der Drang nach Vergel­tung erwacht. Sara, so heißt die Prot­ago­nistin, gespielt von Laura Galán, ist über­ge­wichtig. Eine Einzel­gän­gerin, die in der fami­li­en­ei­genen Metzgerei Zeit verbringt und sich perfider Gewalt ausge­setzt sieht, wagt sie sich dann doch einmal unter Menschen. Von anderen Mädchen wird sie beim Baden unter Wasser gedrückt, gefoltert. Junge Männer treiben sie halbnackt durch das Hinter­land. „Schwein­chen! Fette Sau!“, rufen sie ihr hinterher.

Sara ist für ihr Umfeld eine, die vermeint­lich nicht dazu­gehört, deren Erschei­nungs­bild nicht der Schön­heits­norm entspricht. In ihr haben Gleich­alt­rige ein Opfer gefunden, das sie schi­ka­nieren können, um sich in ihren eigenen Welt­bil­dern zu bestä­tigen. Zu Hause setzt sich die Gewalt, die Hilf­lo­sig­keit fort: Als Sara ihrer Mutter von den Mobbing­at­ta­cken berichtet, verordnet diese eine Diät. Lapidare Sprüche sollen über das Tatsäch­liche hinweg­täu­schen. Täter-Opfer-Umkehr in den heimi­schen vier Wänden.

Man hätte diesen Plot nun nach allen Regeln der Genre­film­kunst weiter­spinnen können: die Gejagte zur Jägerin erheben, die es ihren Unter­drü­ckern heimzahlt – am besten ordent­lich blutig. Der Horror giert nach seinen Schau­werten. Piggy bewegt sich in solchen klas­si­schen Mustern, aber präsen­tiert dennoch eine clever angelegte Irri­ta­tion, die einen anderen Schwer­punkt zu setzen versucht. Plötzlich tritt da nämlich eine weitere Instanz in den Film. Saras Mobbe­rinnen verschwinden. Sie fallen einem rätsel­haften Hünen zum Opfer, der in der Gegend sein Unwesen treibt. Eine schaurige und kuriose Gestalt, wie sie mit ihrem entblößten Bauch, den wuchtigen Armen, dem durch­drin­genden Blick umher­streift!

Gefähr­li­cher Verbün­deter

Mit einem Mal ist die Haupt­figur im über­tra­genen Sinne aufge­spalten. Das böse Ich, das unmo­ra­li­sche, gren­zü­ber­schrei­tende männliche Pendant, quasi eine andere Sara schreitet zur Tat. Oder schlicht und ergrei­fend: Die Probleme lösen sich von ganz allein. Ein stell­ver­tre­tender Rächer erledigt die Drecks­ar­beit. Die Faszi­na­tion und Anzie­hungs­kraft, die sich nun zwischen diesen beiden einander annähernden und dann wieder abstoßenden Figuren entspinnt, ist das eigent­liche Faszi­nosum von Piggy. Aber ist dieser Tabubruch vertretbar?

Carlota Peredas gleich­na­miger Kurzfilm, auf dem Piggy basiert, findet in dieser Idee und Frage­stel­lung eine wunderbar garstige Schluss­pointe. Ihr etwas unaus­ge­go­renes Lang­film­pen­dant fängt hier aller­dings erst an. Es kämpft spürbar damit, die Prämisse auf abend­fül­lende Länge zu strecken. Dafür erlaubt es sich schlicht zu wenige neue Expe­ri­mente, hantiert immer unbe­hol­fener mit seinen Provo­ka­tionen.

Die brenzlige Offenheit in der Beziehung zwischen Mobbing­opfer und ihrem frag­wür­digen Erlöser beraubt sich Piggy ohnehin zugunsten einer reinen Moral­de­batte. Mahnende Gewis­sens­bisse sollen Ambi­va­lenzen zwischen eroti­scher Anziehung, (un)frei­wil­liger Kompli­zen­schaft und bibbernder Furcht vertreiben oder zumindest verein­deu­tigen. Dem Publikum wird der Film damit nicht allzu gefähr­lich.

Irgend­wann treibt die Regis­seurin ihre Figuren wörtlich ins Schlacht­haus und auf allzu vertraute Genre-Pfade. Verwick­lungen und Konflikte in den alltä­g­li­chen Routinen werden erst ewig lange ausge­breitet, um letztlich durch einen eher einfallslos insze­nierten Gewalt­ex­zess wie der Gordische Knoten zerschlagen zu werden. Nun hängen die Übrig­ge­blie­benen am Haken, bereit zur Schlach­tung. Oder wendet sich doch noch das Blatt?

Selbst­kritik an der eigenen Fantasie

Was Piggy von seiner Prot­ago­nistin abver­langt, spielt das Morden, Rächen und Vertei­digen in aller konkreter Härte durch. Es hat nichts Glor­rei­ches, nichts Befrie­di­gendes mehr. Piggy passt damit in eine Reihe jüngerer revi­sio­nis­ti­scher Rache­filme wie Revenge, Violation oder The Nightin­gale, die die Rollen­bilder und Gewalt ihrer Vergel­tungs­schläge selbst­re­flexiv und selbst­kri­tisch betrachten. Am Schluss wartet hier das Trieb­hafte, Anima­li­sche, das seiner selbst über­drüssig ist. Es kündigt sich bereits zuvor im Bild eines entflo­henen Stiers in der Wildnis an und kulmi­niert dann im mensch­li­chen Duell.

Aber degra­diert dieses Kalkül hier seine Prot­ago­nistin nicht noch zusätz­lich? Macht es sich der Film in seinem beob­ach­teten Einzel­kampf nicht etwas leicht? Sara werden neue, noch erbar­mungs­lo­sere Bürden aufge­halst, um die Härte des Spiels, das Piggy spielt, zu durch­kreuzen. Das Aktiv­werden verwan­delt sich in einen Spieß­ru­ten­lauf. Die Margi­na­li­sierte muss sich selbst gegen ihre Insze­nie­rung behaupten. Einer Kritik an der Gewalt mangelt es an Fantasie, Charak­tere für seine Genre­zu­gehö­rig­keit und Subver­sion nicht krampf­haft besudeln und ihrer Kraft­re­serven berauben zu müssen. Und das alles nur für einen trüge­ri­schen, aufge­setzten Moment behaup­teter Befreiung, abge­son­dert vom Rest der Gesell­schaft.

Piggy gelingt schlicht zu selten, seiner Prot­ago­nistin eine spürbare Eigen­sin­nig­keit zu verleihen oder in ihrem Dilemma eine echte Nähe und Inten­sität herzu­stellen. Sie bleibt eine wortkarge, fremde, wenn­gleich mit eindrucks­voller Präsenz gespielte Leidens­ge­stalt. Eine Haltung zu ihr einzu­nehmen, darin liegt die Heraus­for­de­rung dieses Films, der sie immer weiter in die Ecke drängt. Es ist in der Tat ein Werk über das triste Dahin­leben, Verdrängen und Schweigen. Lange lässt es uns und seine Haupt­figur einer miss­li­chen Lage beiwohnen, die Umstände bloß passiv ertragen. Im Zu- und Wegsehen, im Unaus­ge­spro­chenen thema­ti­siert Piggy seine abgrün­dige Schuld­frage. Doch in dem Moment, da er endlich zu sprechen beginnen müsste, entrinnen ihm nur brüllende, keuchende Laute, spru­delndes Blut.