Palookaville

USA 1995 · 93 min. · FSK: ab 6
Regie: Alan Taylor
Drehbuch:
Kamera: John Thomas
Darsteller: William Forsythe, Vincent Gallo, Adam Trese, Frances McDormand u.a.

Jerry (Adam Trese), Russ (Vincent Gallo) und Sid (William Forsythe) sind drei arbeits­lose Freunde aus New Jersey, die fest entschlossen sind, eines Tages doch noch an das große Geld zu kommen. Ihre einzige Chance dazu sehen sie in mühselig, aber inkom­pe­tent geplanten Raubzügen, obwohl sie sich für eine krimi­nelle Karriere eigent­lich nicht so recht berufen fühlen. Bei ihrem ersten Versuch, nachts in ein Juwe­lier­ge­schäft einzu­bre­chen, landen sie dann auch prompt in der angren­zenden Bäckerei. Sie lassen sich davon jedoch nicht entmu­tigen (zumal Jerry mit den erbeu­teten Süßwaren eigent­lich ganz zufrieden ist) und verbringen ihre regel­mäßigen Treffen im örtlichen Diner mit der Suche nach Ideen für den nächsten Coup.

Doch das fehlende Geld ist nicht das einzige Problem; auch die Frauen machen den drei Freunden das Leben nicht gerade leichter. Jerry ist mit Betty (Lisa Gay Hamilton) verhei­ratet, mit der er ein kleines Kind hat. Sie ist es, die für den Unterhalt der Familie sorgt, und Jerry wäre gerne in der Lage, sich diese Verant­wor­tung mit ihr zu teilen. Aber seine Liebe zu ihr und die Sorge um das Kind machen ihn auch zum vorsich­tigsten Teil­nehmer an den Aktionen der Möch­te­gern-Krimi­nellen. (Es ist dem Film übrigens hoch anzu­rechnen, daß er mit Jerry und Betty nicht nur eine funk­tio­nie­rende Beziehung zwischen einem Weißen und einer Afro-Ameri­ka­nerin präsen­tiert, sondern daß er den Rassen­un­ter­schied der beiden auch nie zum Thema macht. Wo im ameri­ka­ni­schen Film dies sonst immer noch ein erheb­li­ches Problem darzu­stellen scheint, macht Paloo­ka­ville hier einen wichtigen Schritt zur Norma­li­sie­rung.) Russ hat eine heimliche Affäre mit der Nach­bar­s­tochter (Kim Dickens), doch er wagt es nicht, seine Liebe zu ihr vor anderen einzu­ge­stehen; ihre Beziehung besteht ausschließ­lich aus verstoh­lenen Rendez­vous in ihren Zimmern. Nur Sid scheint zunächst die Gesell­schaft seiner zwei Hunde der einer Frau vorzu­ziehen. Das ändert sich erst, als er Enid (Bridget Ryan) kennen­lernt, doch auch der fällt es nicht leicht, Sid die Angst vor der Liebe zu nehmen. Und schließ­lich gibt es noch die etwas myste­riöse June (Frances McDormand, der einzige bekann­tere Namen in der Beset­zungs­liste), bei der sich die Männer alle regel­mäßig einfinden, um sich ihren weisen Rat zu holen – und viel­leicht auch mehr, aber das läßt der Film offen.

Nachdem der Versuch, mit einer Art Taxi-Service für mit Einkauf­stüten beladene Rentner auf halbwegs legale Weise zu Geld zu kommen, gründlich fehl­schlägt, und die finan­zi­ellen Nöte immer grösser werden, fassen Jerry, Russ und Sid den Entschluß, einen Geld­trans­port zu über­fallen. Dieses Unter­nehmen will nicht nur gut geplant sein (z.B. durch das Studium alter Gangs­ter­filme), es gilt auch noch, dem stets mißtraui­schen Blick des Poli­zisten Ed zu entgehen – was gar nicht so leicht ist, ist dieser doch Russ Schwager und wohnt mit ihm unter einem Dach. Doch in Paloo­ka­ville kommt dann sowieso immer alles anders als geplant...

Filme über Möch­te­gern-Gangster, die viel im Diner herum­sitzen, reden und auf Raubzüge gehen, gab es in letzter Zeit, St. Quentin sei Dank, mehr als genug. Doch Paloo­ka­ville ist alles andere als ein weiterer Tarran­tino-Verschnitt. Was er mit diesen vertrauten Grund­ele­menten anstellt, fällt nicht in das Genre der coolen Filme über Männer mit Hand­feu­er­waffen.
Der Film weigert sich, Gewalt (wie stili­siert sie auch sein mag) als sinnvolle Option anzu­er­kennen. Ihr Reiz als einfacher Ausweg aus der ständigen Frus­tra­tion ist immer präsent, doch der Preis dafür wäre zu hoch. Es ist nicht so sehr die nicht gerade reich­liche Ausstat­tung mit Intel­li­genz, die Jerry, Russ und Sid daran hindert, es als Krimi­nelle zum Erfolg zu bringen, und es ist auch nicht ihr Mangel jeglicher Profes­sio­na­lität. Letzlich ist es ihre (ganz und gar unsen­ti­men­tale) Mensch­lich­keit, die im entschei­denden Augen­blick immer wieder dazu führt, daß sie sich bietende Chancen nicht nutzen. Sie sind unfähig, ihren Wunsch nach dem großen Geld über ihr Mitgefühl für andere Menschen zu stellen.

Der Film bewahrt stets eine gewisse Distanz zu den Charak­teren; kaum je offen­baren sie ihre Gefühle und Moti­va­tionen direkt. Es gibt keine langen Monologe, in denen sie ihre Seele entblössen; die wichtigen Dinge sagen sie eher zwischen den Zeilen und durch ihre Hand­lungen. Außerdem verzichtet Paloo­ka­ville gerne auf unmit­tel­bare Expo­si­tion; die Bezie­hungen der Figuren unter­ein­ander, ihre Vergan­gen­heit, und ihre jetzige Situation werden im Lauf des Filmes meist erst langsam deutlich, und einiges wird nur ange­deutet, wird durch genau gear­bei­tete Details skizziert. Dies sorgt dafür, daß der Film auch unab­hängig von der Handlung immer spannend bleibt, und daß er dem Zuschauer das Gefühl vermit­telt, die Charak­tere (so wie Menschen im wirk­li­chen Leben) erst allmäh­lich kennen­zu­lernen.

Alan Taylor, der nach zahl­rei­chen Arbeiten fürs Fernsehen hier sein Kinodebut gibt, insze­niert ohne heraus­ra­gende Einfälle, aber mit einem guten Gespür für Rhythmus und sehr viel Liebe zu seinen Charak­teren. Dabei wird er von einem über­zeu­genden Schau­spieler-Ensemble unter­s­tützt, das den Figuren ohne über­zo­gene Manie­rismen zu glaub­wür­digem Leben verhilft. Das Herz des Films ist jedoch David Epsteins intel­li­gentes und witziges Drehbuch, das seine Inspi­ra­tion aus einigen Kurz­ge­schichten von Italo Calvino bezieht. Paloo­ka­ville ist kein großer Film, aber er versteht es, sich seine Beschrän­kungen zum Vorteil zu gestalten. Der Verzicht auf Stars, die im Bewußt­sein des Zuschauers stets vor die darge­stellten Figuren treten, und auf hand­werk­liche Effekt­ha­scherei verhelfen ihm zu einer char­manten, glaub­wür­digen Atmo­s­phäre (zu der auch die Musik von Rachel Portman viel beiträgt). Nicht zu Unrecht zählte der Film auf dem Sundance-Festival zu den Lieb­lingen: sein Humor, seine an Über­ra­schungen reiche Handlung, und vor allem seine Mensch­lich­keit machen Paloo­ka­ville zu einem der derzeit sympa­thischsten Filme.