One of These Days

Deutschland/USA 2020 · 121 min. · FSK: ab 16
Regie: Bastian Günther
Drehbuch:
Kamera: Michael Kotschi
Darsteller: Carrie Preston, Joe Cole, Callie Hernandez, Bill Callahan, Cullen Moss u.a.
Der Film bleibt nah bei den Figuren und den Verhältnissen
(Foto: Weltkino)

Von Autos und Menschen

Bastian Günther erzählt in One of These Days von einem skurril anmutenden texanischen Wettbewerb, ohne seine Figuren bloßzustellen.

Irgendwo zwischen Texas und Louisiana – das Preis­aus­schreiben des Autohänd­lers in einer namen­losen Klein­stadt länd­li­chen Charak­ters lobt einen nagel­neuen Nissan-Pickup aus, auf dessen Kühler­grill als stolzes Emblem ein Matter­horn-Logo prangt. Der zum Preis­aus­schreiben dazu­gehö­rige Wett­be­werb sieht vor, dass die Teil­nehmer*innen solange um das begehrte Fahrzeug herum­stehen und es mit einer Hand­fläche berühren müssen, bis sie nicht mehr können. Wer es am längsten aushält, gewinnt den hoch­wer­tigen Truck. Ein lokales Event, mit einem Regelwerk, das in regel­mäßigen Zeit­ab­ständen genau getaktete Erho­lungs­pausen für Toilet­ten­gänge und Ruhe­pausen vorsieht: das werbe­wirk­same Spektakel soll sich schließ­lich über mehrere Tage und Nächte hinziehen und einen mensch­li­chen Anschein wahren.

Das lokale Fernsehen ist vor Ort, um den Wett­be­werb herum entsteht eine volks­fest­ar­tige Szenerie, im Zentrum der Aufmerk­sam­keit natürlich immer wieder die zwanzig Gestalten um den Truck herum, in den gelben T-Shirts mit der blauen Aufschrift des Autohänd­lers »Boudreaux’s Auto and Truck« sowie einem blauen Hand­ab­druck und dem Motto »Hands on«, dem sie alle nach­kommen, als handelte es sich bei dieser beson­deren Hand­auf­le­gung um das magische Ritual einer auto­an­be­tenden Sekte.

Der Film One of These Days von Bastian Günther erzählt um diesen Wett­be­werb herum eine Geschichte und lässt ihn zum Brennglas des sozialen Mikro­kosmos der ländlich zersie­delten Klein­stadt werden, die durch die Kamera von Michael Kotschi fast einen lyrisch-poeti­schen Glanz bekommt (der Film war in der Kategorie Beste Kamera / Bild­ge­stal­tung für den deutschen Filmpreis 2021 nominiert), einen Glanz, der die Figuren nicht verklärt und nicht ausstellt, sondern sie in die Umgebung als ihren unmit­tel­baren Lebens­zu­sam­men­hang einbettet. So entsteht keine plakative Studie eines Sozi­al­mi­lieus, sondern eine unauf­dring­liche Skizze in knappen Strichen, die ein Spektrum aufzieht vom Irak­kriegs­ve­te­ranen über die Bibel­le­serin bis zum dick­köp­figen Sonder­ling, der den Truck auch in den Pausen nicht loslassen will und sich zum Urinieren einen Katheder mit Plas­tik­beutel angelegt hat. Die um den Truck versam­melten Wett­be­werbs­teil­nehmer*innen mit ihren diversen Herkünften werden nicht dreh­buch­mäßig in die Pflicht genommen, ihre Exis­tenz­mi­seren wortreich auszu­malen. Allein ihre physische Präsenz, die kleinen gesti­schen und mimischen Regungen erzählen mehr als genug. Die Kamera fängt die aus den Umständen erwach­sende Anspan­nung der immer länger werdenden Stunden und Tage des Wett­be­werbs ein und gibt einen inten­siven Eindruck von der physi­schen und seeli­schen Auszeh­rung. Ausfälle, Ausraster, Betrugs­ver­suche, Aggres­sionen, Ticks, alles provo­ziert durch die zunehmend stressige Situation des Aushar­rens, lassen die Beklem­mung anschwellen. So entsteht hier ein hoch­ver­dich­tetes Kraftfeld von Energien, die auf eine zerstö­re­ri­sche Entladung zutreiben.

Insbe­son­dere zwei Figuren greift der Film heraus: von den am Wett­be­werb Teil­neh­menden ist es der junge Fami­li­en­vater Kyle (Joe Cole), der im Drive-in jobbt und den Gewinn für seine auf einer Garne­len­farm arbei­tende Frau Maria (Callie Hernandez) und das Kind erringen möchte. Und von der anderen Seite, vom Autohaus ist es die rührend um alle Betei­ligten sich kümmernde Orga­ni­sa­torin des Wett­be­werbs, Joan (Carrie Preston). Dank ihrer Figur muss die Kamera nicht zwanghaft beim Wett­be­werb bleiben und kann weitere Facetten des Orts und des Lebens dort einfangen. Dem Film geht es bei diesen beiden zentralen Figuren nicht um eine sche­ma­ti­sche Konfron­ta­tion zwischen den publi­ci­ty­be­wussten Veran­stal­tern des Wett­be­werbs und den von exis­ten­ti­ellen Nöten gedrängten Teil­neh­mern daran. Auch Joan wird als Figur mit eigenem sozialen Hinter­grund ernst­ge­nommen und den Zuschauer*innen mit vielen stimmigen Details nahe­ge­bracht.

Bastian Günther, der Regie führte und das Drehbuch schrieb, war bereits in seinem ebenfalls sehr sehens­werten Film Houston (mit Ulrich Tukur als abge­half­tertem Head­hunter) in Texas unterwegs. Günther lebt über­wie­gend in Texas und stieß dort auch auf den Stoff für seinen neuen Film One of These Days: in dem repor­ta­ge­haft aufbe­rei­teten Doku­men­tar­film aus dem Jahr 1997 Hands on a Hardbody: The Docu­men­tary portrai­tierte S. R. Bindler die Teil­nehmer*innen eines solchen Wett­be­werbs in Longview, Texas. Die entschei­dende Anregung für Bastian Günthers Film war ein tragi­scher Vorfall, der sich 2005 bei diesem Wett­be­werb in Longview ereignete und aufgrund dessen diese Veran­stal­tung dann tatsäch­lich abge­schafft worden war. In den Status legen­den­hafter Americana rückte diese Art Wett­be­werb überdies 2013 durch ein Broadway-Musical.

Bastian Günther wählt eine Darstel­lungs­weise, die keine mythi­sie­rende Über­höhung anvisiert, sondern sich einem unauf­ge­regten doku­men­ta­ri­schen Stil verpflichtet zeigt, ohne das Fiktio­nale seines Erzählens zu hinter­treiben. Er sucht auch keine kritische Bloßstel­lung oder pole­mi­sche Über­spit­zung. In State­ments zu seinem Film spricht Günther zwar von einem modernen Tanz um das Goldene Kalb oder von Gladia­to­ren­kämpfen, die er in solchen Wett­be­werben wie »Hands on« sieht, doch so explizit wird die Kritik an den Verhält­nissen im Film selbst nicht, auch eine mori­ta­ten­hafte Sozi­al­pa­rabel ist er nicht.

Der Film bleibt nah bei den Figuren und den Umständen, in denen sie leben. Der Blick der Kamera zeugt dabei mehr von Zärt­lich­keit als von sati­ri­scher Entlar­vung. Selbst der Pickup beginnt (mit der sonoren Stimme des Song­wri­ters Bill Callahan) zu Kyle freund­schaft­lich zu sprechen: Zeichen einer fast intimen Beziehung der Menschen zu den Autos in einer Welt, in der diese weniger Vehikel der Fort­be­we­gung als Mittel des exis­ten­ti­ellen Fort­kom­mens sind. Unge­wöhn­lich in ihrer beschwich­ti­genden Geste ist dann auch die Hand­ha­bung der Rück­blende am Ende, mit der es Günther auf geschickte Weise gelingt, ein tragi­sches Ende quasi unge­schehen zu machen und die Figuren ganz in ihrem Alltag aufge­hoben sein zu lassen. Das wirkt ungemein tröstlich, ohne den schmerz­li­chen Aspekt des Gesche­henen zu tilgen.