Frankreich/L 2023 · 79 min. · FSK: ab 6 Regie: Alain Gagnol, Jean-Loup Felicioli Drehbuch: Alain Gagnol, Jean-Loup Felicioli Musik: Serge Besset Schnitt: Sylvie Perrin |
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Oh ja, dieser Film ist entzückend | ||
(Foto: eksystent) |
Das französische Regieduo Jean-Loup Felicioli und Alain Gagnol liebt Krimis. Schon in ihren ersten beiden abendfüllenden Animationsfilmen, dem Oscar-nominierten A Cat in Paris (2010) und Phantom Boy (2015), ging es um Kinder, die sich mit Gesetzesverstößen und Verbrecherjagd befassen. Ihr jüngstes Werk erzählt in spannenden Szenen, wie zwei befreundete Zehnjährige nach einem Geldschatz suchen, den ein krimineller Manager versteckt hat.
Die zehnjährige Nina lebt mit ihrem Vater Vincent und ihrer Mutter Camille in einer beschaulichen französischen Stadt. Sie liebt die Gutenachtgeschichten über alles, die ihr Vater jeden Abend erzählt. Seit er an seinem Arbeitsplatz in der Fabrik einen kleinen Igel gefunden und wieder im Freien ausgesetzt hat, handeln sie von einem kleinen Igel, der sich in allerlei Berufen versucht. Doch dann schließt die Fabrik nach einem langen erfolglosen Streik. Vincent ist niedergeschlagen und mag keine Geschichten mehr erzählen. In diesen Sommerferien kann sich die Familie eine Reise ans Meer nicht mehr leisten. Der Familie ihres besten Freundes Mehdi, dessen Familie im Stockwerk über ihr wohnt, geht es ebenso.
Doch dann erfährt die lebhafte Nina vom gleichaltrigen Mehdi, dass der inhaftierte Direktor der Fabrik eine große Summe Geld unterschlagen und versteckt haben soll. Nina entwickelt die Idee, dieses Geld aufzuspüren, um ihre Familie von ihren Geldsorgen zu befreien. Der besonnene Mehdi zögert zwar, aber erklärt sich bereit, ihr zu helfen. Gemeinsam kundschaften die kleinen Hobbydetektive die Fabrik aus, doch der ehemalige Vorarbeiter Lupin und ein bissiger Hund bewachen das eingezäunte Objekt Tag und Nacht. Mit einigen Tricks gelangen sie aber doch auf das Gelände. Doch so einfach, wie Nina sich das vorgestellt hat, ist der geplante Coup nicht.
In Nina verschieben der Autor und Animator Gagnol, der schon etliche Kriminalromane verfasst und auch das Drehbuch geschrieben hat, sowie der Illustrator und Kinderbuchschreiber Felicioli den inhaltlichen Schwerpunkt weg vom kriminalistischen Sujet. Das liefert hier im Grunde nur den Anlass für die anrührend-phantasievolle Erzählung über die aufblühende Freundschaft zwischen den beiden Kindern, die erkennen, dass sie nur gemeinsam ihr Ziel erreichen können. Großen Wert legt Gagnol auch auf den sozialen Kontext: Nina und Mehdi fühlen sich verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Familien und wollen den drohenden sozialen Abstieg durch längere Erwerbslosigkeit verhindern.
Der Film überhöht zudem die realistische Ebene der abenteuerlichen Story durch die Integration einer phantastischen Ebene. Der kleine Igel entfaltet in Ninas Phantasie ein Eigenleben, spaziert aus einer Zeichnung heraus, spricht mit dem Mädchen und wird zum imaginären Freund und Helfer. Dabei ist das Stacheltier nur für sie sicht- und hörbar. Diese Meta-Ebene manifestiert sich auch visuell: Während die Abenteuer von Nina und Mehdi in ebenso einfachen wie charmanten 2D-Zeichnungen mit kräftigen Farben gezeigt werden, sind die Igel-Episoden in Schwarzweiß gehalten. Mit ihrem Hang zum Slapstick erinnern diese an klassische Cartoons aus dem frühen 20. Jahrhundert, die Igel-Figur ähnelt zudem Mickey Mouse.
Obwohl die Handlung praktisch nur an drei Schauplätzen – Haus, Wald und Fabrik – angesiedelt ist, wird es in dem Trickfilm nie eintönig. Dafür sorgen die vielen hübschen Einfälle, mit denen Gagnol und Felicioli das Publikum überraschen. Etwa wenn Nina sich – angeblich für ein Schulprojekt – von ihrem Vater den Grundriss der Fabrikgebäude zeichnen lässt, damit die Kinder das Büro des Direktors besser finden können. Oder wenn Mehdi sich von seinem älteren Bruder Sami zwei Stinkbomben geben lässt, um den wachsamen Hund abzulenken. Einfallsreich ist auch die Filmmusik von Serge Besset, der bisher an allen Kurz- und Langfilme des Regieduos mitgewirkt hat und für Nina eine wirkungsvolle musikalische Begleitung komponiert hat, die sich nie in den Vordergrund drängt.
Die beiden Protagonisten ergänzen sich gerade deshalb so gut, weil ihre Charaktere so verschieden sind. Nina ist energisch, impulsiv und hartnäckig, Mehdi, der heimlich in sie verliebt ist, ist besonnen, vorsichtig, nachdenklich und verlässlich. In gewisser Weise ist Nina zudem eine romantische Figur: Sie hat sich in den Kopf gesetzt, die Familie zusammenzuhalten, und setzt dafür alle Hebel in Bewegung. In ihrem naiven Elan schießt sie erwartungsgemäß über das Ziel hinaus, lernt jedoch aus ihren Fehlern und erweist sich als erstaunlich resilient: Nach Rückschlägen und Nachdenkphasen versucht es eben mit anderen Mitteln noch einmal.
Die Energie der Minderjährigen fällt umso mehr ins Auge, als die Eltern der beiden oft Bedenken und Zweifel äußern, ja zuweilen desillusioniert und passiv wirken. Damit bieten sie aber auch Anknüpfungspunkte für erwachsene Zuschauende, die sich hier leicht wiedererkennen können. Für die Synchronisation der erwachsenen Figuren in der französischen Originalfassung haben die Filmemacher übrigens zwei französische Kinostars engagieren können: Audrey Tatou und Guillaume Cantet leihen Nina und Mehdi ihre Stimmen.