Nathalie...

Frankreich 2004 · 106 min. · FSK: ab 16
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch:
Kamera: Jean-Marc Fabre
Darsteller: Fanny Ardant, Emmanuelle Béart, Gérard Depardieu u.a.
Filmszene »Nathalie...«
Anlehnungsbedürftig: Béart und Ardant

Verschwörung der Frauen

Ein Mann liest Zeitung in einem Cafe. Eine junge Frau bittet um Feuer. Ein langer Blick unter schweren Wimpern. Doch diese so alltäg­liche Zufalls­be­geg­nung ist insze­niert – der Mann ahnt nicht, dass seine eigene Gattin die Unbe­kannte auf ihn angesetzt hat. Eine unge­wöhn­liche Konstel­la­tion, aus der Filme­ma­cherin Anne Fontaine eine ebenso intel­li­gente wie pikante Ménage à trois strickt.

Und das steckt dahinter: Bernard und Catherine sind ein gutaus­se­hendes, erfolg­rei­ches Paar mittleren Alters. Doch das trüge­ri­sche Eheidyll zerbirst, als Catherine entdeckt, dass ihr Ehemann sie betrügt – immer wieder, schon seit Jahren. Soweit, so banal.

Scho­ckiert und verletzt verfällt Catherine auf einen unge­wöhn­li­chen Plan: In der Bar eines Bordells sucht sie selbst nach einer Gespielin für ihren treulosen Ehemann, eine Art Under­cover-Agentin in eroti­scher Mission. Auf diese Weise hofft sie, heimlich an den Eskapaden ihres Mannes teil­zu­haben, die Opfer­rolle abzu­schüt­teln und die Kontrolle zurück­zu­ge­winnen. Ihre Wahl fällt auf die Hure Marlène, die auf Cathe­rines Anwei­sungen in die Rolle der Studentin Nathalie schlüpft.

Der Plan scheint aufzu­gehen: »Er hat sofort ange­bissen – Sie haben gut gewählt, Madame«, erzählt Marlène alias Nathalie. Fortan schildert sie en Detail die sexuellen Begeg­nungen mit Bernard. Für Catherine eine schmerz­hafte, aber heilsame Therapie: Die Erzäh­lungen rütteln sie aus ihrem sexuellen Dorn­rö­schen­schlaf. Schon bald ist nicht mehr klar, wer Regie führt in der Scharade. Mehr und mehr verfällt die reife Frau den eroti­schen Berichten ihrer Spionin.

Frauen ticken anders als Männer. Vor allem was das Liebes­leben betrifft. Während Männer in dieser Hinsicht eher simpel gestrickt sind, spielt Sex sich bei Frauen größ­ten­teils im Kopf ab – weswegen das Verab­rei­chen kleiner blauer Pillen beim weib­li­chen Geschlecht auch wenig Wirkung hat. Die Regis­seurin nutzt diese Beson­der­heit weib­li­chen Begehrens geschickt für die Drama­turgie: Statt vor dem Auge des Betrach­ters, entfaltet sich die Erotik des Gesche­hens im Kopf. Die sexuellen Begeg­nungen, die Nathalie mit aufrei­zender Sach­lich­keit schildert, bleiben der eigenen Vorstel­lungs­kraft über­lassen. Insofern weckt das Film­plakat mit einer Emma­nu­elle Béart in Hurenpose Erwar­tungen, die nicht erfüllt werden: Voyeure, soviel kann man verraten, kommen nicht auf ihre Kosten.

Liebhaber eleganter Wendungen und doppel­bö­diger Raffi­nesse dagegen um so mehr: Immer wieder verschieben sich die Tangenten des Bezie­hungs­drei­ecks, bis am Ende jeder nicht nur Betro­gener sondern auch Betrüger ist. Im Mittel­punkt stehen dabei die Frauen – der Mann, um den es geht, tritt immer mehr in den Hinter­grund. Er wird zum ahnungs­losen Spielball im Ränke­spiel der Damen. Fast kann der ungetreue Tropf einem leid tun.

Béart und Ardant bietet der Film die Bühne für ein exqui­sites Pas de deux. Auf der einen Seite die Figur der Hure, die pure Projek­ti­ons­fläche für Sehn­süchte und Begierden ihrer unge­wöhn­li­chen Kundin zu sein scheint, doch insgeheim ihre eigenen Ziele verfolgt. Auf der anderen Seite die bürger­liche Dame, der die Begegnung mit der Prosti­tu­ierten neue Leben­dig­keit verleiht.

Aus der Intimität der Kompli­zen­schaft wächst schnell eine Art perver­tierter Freund­schaft zwischen den Frauen, geprägt von Faszi­na­tion, gegen­sei­tiger Mani­pu­la­tion und über­ra­schender Vertraut­heit. Catherine quartiert Nathalie bei ihrer Mutter ein, zieht mit ihr durch die Nacht, zahlt ihr schließ­lich sogar ein Apartment. Doch auf Momente großer Nähe folgt unwei­ger­lich der Rückzug: Immer wieder bricht Catherine das quälende Expe­ri­ment ab, immer wieder kehrt sie zurück, längst abhängig von dem neuen Lebens­ge­fühl, zu dem sie durch Nathalie Zugang findet. Erst als diese Catherine eröffnet, dass Bernard sie verlassen will, um mit ihr, Nathalie, zu leben, zerbricht die Allianz der Frauen. Eine von ihnen wird auf der Strecke bleiben. Fragt sich nur, welche.

Weiblichkeit als Inszenierung

Wenn das Leben unin­ter­es­sant wird, in Routinen erstarrt und ohne den Kitzel des Neuen auf der Stelle tritt, bleibt immer noch die Phantasie. Sie bietet viele Möglich­keiten, aus dem Alltag auszu­bre­chen, ohne ihn ganz in Frage zu stellen. Ein hervor­ra­gendes Beispiel dafür bietet Anne Fontaines Film Nathalie...

Nathalie gibt es nicht wirklich. Sie ist ein Konstrukt, eine Phan­ta­sie­gestalt, ins Leben gerufen und getauft von einer Ehefrau, die damit die Untreue ihres Gatten zu kontrol­lieren versucht. Und ausge­führt von einer Prosti­tu­ierten, die sich als »Marléne« vorstellt – ob dieser Name echter ist als »Nathalie«, wird man nicht erfahren.

Der fran­zö­si­sche Film handelt von Phan­ta­sien – auch erotische Phan­ta­sien, Frau­en­phan­ta­sien – und dem Kampf um eine Ehe, die dem liebenden Paar zu entgleiten droht. Als Catherine (Fanny Ardant) erfährt, dass ihr Mann Bernard (Gérard Depardieu) seit längerem kurze Affären pflegt, das gar für »völlig normal« hält, erwacht sie schmerz­haft aus der Schein-Perfek­tion ihres Ehelebens. Warum tut er das, was macht den Seiten­sprung für ihn so anziehend? Kann er nicht wie sie mit dem versiegten Begehren leben?

Catherine wählt einen kompli­zierten Weg, Bernards Beweg­gründe zu unter­su­chen. Sie begibt sich in einen Nachtclub, um einer dort tätigen jungen Frau (Emanuelle Béart) einen unge­wöhn­li­chen Vorschlag zu machen. Sie soll unter falschem Namen am nächsten Tag in Bernards Stamm-Café erscheinen, sich an ihn heran­ma­chen und genau berichten, wie seine Flirts ablaufen. »Nathalie« spielt ihre Rolle glänzend, und trotz erschre­ckender Details in ihren Berichten faszi­niert das Spiel Catherine so sehr, dass sie es weiter­führt. Bis sich der Eindruck verstärkt, die »Recherche« könne uner­war­tete Konse­quenzen haben.

Die Regis­seurin Anne Fontaine insze­niert das Ehe-Drama in einer Wohnung, deren elegante Wohl­an­s­tän­dig­keit das Erstarren der Beziehung verdeut­licht. Das nüchterne Apartment des Ehepaares ist dabei ebenso Ort einer vorder­grün­digen Perfek­tions-Insze­nie­rung wie die stereotyp plüschig-lackige Bar, in der Catherine Nathalie findet. Vergeb­lich der Versuch, das Leben in Form einer Party nach Hause zu holen – in Wahrheit findet es draußen statt, in Cafés, Hotel­zim­mern oder in der charmant verlebten Wohnung von Cathe­rines Mutter. Inter­es­sant auch der Einsatz von Farbe, wenn Catherine durch ihre erwa­chende Vorliebe für rote Kleidung die Wieder­ent­de­ckung ihres Begehrens offenbart. Die elegische Musik des Greenaway-Haus­kom­po­nisten Michael Nyman kündet von Sehnsucht nach Leiden­schaft, ebenso wie Songs von Leonard Cohen und Natacha Atlas.

Sex, Lust, Begehren, Erfüllung. Der Verleih gefällt sich darin, in der Werbung die Aspekte zu betonen, die den Film exploi­tativ porno­gra­phisch erscheinen lassen. Doch anders, als es der Trailer vermuten lässt, gelingt Fontaine das Kunst­stück, die Erotik prickelnder durch Auslas­sungen zu insze­nieren als durch die Action vor der Kamera. Gekonnt besetzte sie die Haupt­rollen mit Darstel­le­rinnen, deren physische Präsenz allein schon Spannung birgt. Die Phan­ta­sien werden auch in Bilder umgesetzt, doch viel stärker vermit­teln sie sich durch die Anregung der Publikums-Imagi­na­tion. So wirken »Nathalies« Erzäh­lungen über die Affäre stärker als die Szenen, die sie tatsäch­lich bei ihrer Arbeit im Bordell zeigen. Denn die aufrei­zenden Hand­lungen dort sind nichts als eine Dienst­leis­tung. Sie tut, was nötig ist, um dem Kunden zu gefallen – wobei ihr abge­wandtes Gesicht eine ganz andere Sprache spricht.

Anne Fontaines faszi­nie­rendes Lehrstück über die Doppel­bö­dig­keit der Flucht in die Phantasie gibt sich selbst viel­schichtig. Besser als Catherine durch­schaut die junge Frau die Natur des Vertrages und erfüllt ihn als Nathalie auf eine Weise, wie es die Auftrag­ge­berin nicht erwartet hat. Sie bietet den Ausgangs­punkt für Flucht­phan­ta­sien und offenbart Sehn­süchte, die bisher verborgen waren. Als Prosti­tu­ierte lebt sie auch davon, die Grenze zwischen Dienst­leis­tung und Vergnügen verschwimmen zu lassen. Bietet der unge­wöhn­liche Verfüh­rungs-Auftrag eine will­kom­mene Erleich­te­rung für eine junge Frau, die sich ungern prosti­tu­iert und von einem anderen Leben träumt? Oder ist auch das nur eine Fassade? Bei all den Schein­welten, die sie errichtet, verschwindet die Person hinter »Nathalie« fast voll­s­tändig. Aber schließ­lich ist sie nur ein Werkzeug bei dem Versuch, die Intimität einer Ehe zu rekon­stru­ieren.