Naokos Lächeln

Noruwei no mori

Japan 2010 · 133 min. · FSK: ab 12
Regie: Tran Anh Hung
Drehbuch:
Kamera: Mark Li Ping Bing
Darsteller: Kenichi Matsuyama, Rinko Kikuchi, Kiko Mizuhara, Reika Kirishima, Kengo Kora u.a.
Zeit des Aufbruchs

Die Tausend Plateaus der Einsamkeit

Tran Anh Hungs erotische Murakami-Verfil­mung Naokos Lächeln (Norwegian Wood)

Eine erotische Drei­ecks­ge­schichte zur Zeit der Studen­ten­un­ruhen von 1968, eine Tokioter Studen­ten­liebe und ein Film über emotio­nale Wunden, die nicht heilen können – das alles ist »Noruwei no mori« oder »Norwegian Wood«, wie der Roman von Haruki Murakami, der bei uns »Naokos Lächeln« heißt, im Original betitelt ist. Mit diesem Werk wurde Murakami bekannt, jetzt hat es der in Paris lebende Viet­na­mese Tran Anh Hung (Der Duft der grünen Papaya, Cyclo) perfekt verfilmt – eine melan­cho­li­sche Etüde über Einsam­keit.

Ein paar Hippies sitzen am Lager­feuer, eine junge Frau hat zur Gitarre gegriffen und singt den Song »Norwegian Wood« von den Beatles. Da ist dieser Film schon 46 Minuten alt, und die Szenerie eigent­lich längst nicht so gelassen, sondern viel ange­spannter, als sie wirkt. Am nächsten Morgen wird Watanabe Toru, der 19-jährige Held dieses Films, das von ihm ange­be­tete Mädchen namens Naoko bei einem Spazier­gang in den Bergen bei Kyoto zum letzten Mal sehen. Von da an wird ihn ihr Lächeln durch sein weiteres Leben begleiten und eben dieses Lied der Beatles. »Diese Melodie macht mich manchmal so traurig«, sagte Naoko über ihr Lieb­lings­lied »Norwegian Wood«, »Ich weiß nicht, warum, aber ich stelle mir vor, ich würde in einem dunklen Wald umher­irren...«

»Norwegian Wood« heißt im Original auch der Roman von Haruki Murakami, der bei uns »Naokos Lächeln« heißt. In diesem Roman konden­siert der japa­ni­sche Kult­schrift­steller ein ganzes Leben in einer Melodie und in den Zeilen eines Lieds von John Lennon und Paul McCartney. Es geht darin natürlich um die Liebe, eine Liebe, die sich verfehlt und die verflogen ist.

Japan 1968. Die Studenten demons­trieren auch hier auf der Straße, schütteln ihn ab, den Muff von tausend Jahren, und dabei helfen ihnen die tausend Schall­platten der Musik­charts jenes Jahr­zehnts. Toru Watanabe inter­es­siert sich gar nicht für die Studen­ten­pro­teste, die überall statt­finden – sein Leben ist aus einem ganz anderen Grund in Aufruhr.

Haruki Murakami ist Jahrgang 1949, war 1968 also 19 Jahre alt, genau wie sein Romanheld, und gehört damit zu jener ersten japa­ni­schen Nach­kriegs-Gene­ra­tion, die nur noch die Folgen der Kriegs­nie­der­lage des Kaiser­reichs kennt, zu der neben Trümmern und atomarem Fallout auch die ameri­ka­ni­sche Besatzung gehört, und das was sie mitbringt: Ziga­retten, Hollywood-Filme, Schall­platten mit Jazz, Rock und Pop und Detektiv-Stories und natürlich die vielen Wider­sprüche, die zur Popkultur selbst­ver­s­tänd­lich dazu­gehören. Die tausend Schall­platten sind wie die tausend Plateaus der Erkenntnis.

Auch davon handelt diese auto­bio­gra­phisch geprägte Geschichte: Von einer Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung, die im 20 Jahr­hun­dert ohne­glei­chen ist. Vom morbiden Nach­kriegs-Japan und dem Trost, den Popkultur spendet, dem ganz persön­li­chen Befrei­ungs­po­ten­tial von Musik und Schönheit.

Denn man kann die Geschichte dieses Films auf zweierlei Art erzählen: Einer­seits handelt sie von drei Schul­freunden, von denen einer sich noch zur Schulzeit umbringt, wodurch er das Leben der beiden anderen für lange Zeit so schwer beschä­digt, sodass sie selbst, in jahre­lange Trau­er­ar­beit verstrickt, kaum leben können. Und zugleich geht es gerade um die Kunst des Über­le­bens und um einen Mann zwischen drei Frauen.

Naokos Lächeln ist die überaus erotische Drei­ecks­ge­schichte einer Tokioter Studen­ten­liebe und eine Etüde über Einsam­keit. Ein Film, der von einem Windstoß erzählt, der durch ein Kleid fährt, von Regen im Haar, Sonnen­licht auf der Haut, von der Farbe der Blumen und der Form der Autos, von vielen Lieben, die sich verpassen oder einfach nicht erfüllen und von mindes­tens einer, die gelingt.

Denn Watanabe trifft nicht nur Naoko, sondern auch Midori. Grün bedeutet ihr Name, wie die Hoffnung. Sie liebt Euripides, ist aber eine weniger tragische, sondern eine lässige, prag­ma­ti­sche, also absolut moderne Figur. Die sprühende Midori verkör­pert das Leben und die Zukunft, Humor und Sex. Naoko dagegen steht für Tristesse, Depres­sion, Drama und Schmerz. Sie ist auch eine Femme Fatale, die für den Mann, der sie liebt, Verhängnis bedeutet. Man erinnert sich auch an Dosto­je­w­skis »Der Idiot«, in dem ein Mann ebenfalls zwischen zwei Frauen wählen muss, und instinktiv dem Verhängnis zuneigt. Der Wind braust, der Regen rauscht, die Kamera streift über wogende Wiesen: Die Liebe dauert eben manchmal nicht länger als einen Augen­blick.

Verfilmt hat das Ganze der Viet­na­mese Tran Anh Hung, der vor Jahren mit Der Duft der grünen Papaya einen der schönsten Kinofilme des Jahr­zehnts drehte. Auch hier gelingt ihm wieder wunder­bares, elegi­sches, schmerz­haft schönes Kino – und kurzum einer der besten Filme dieses Jahres.

In weich­ge­zeich­neten, schwin­genden, aber niemals kitschigen Bildern von Wing Kar-wai-Kame­ra­mann Mark Li Ping Bing zur Musik von Radiohead-Mitglied Jonny Greenwood zeigt Tran Anh Hung, das jeder Ort seinen Moment hat, seine Erin­ne­rungen – und Musik ist einer der besten Wege, uns in die Verlorene Zeit zurück zu führen, ohne die Vergan­gen­heit je wirklich zurück­zu­bringen. Trotzdem kann Schönheit, kann die Musik und das Kino Trost spenden, und natürlich auch Erkenntnis.

Der Verleih­titel Naokos Lächeln ist beliebig, aber vers­tänd­lich, denn das Buch wurde bei uns unter dem gleichen Titel bekannt. Deutsch­land ist das einzige Land der Welt, wo man offenbar dem Publikum nicht zutraut, einen Beatles-Song zu erkennen, und die Viel­schich­tig­keit des Origi­nal­ti­tels richtig zu verstehen und zuzu­ordnen.

Denn nach jenem Abend und dem Beatles-Lied am Feuer geht der Film noch über eine Stunde weiter, und das ist keine Sekunde zu lang – eher wünschte man sich, er würde noch viel länger dauern. Am Ende ist Watanabe Naoko dann auch ein wenig losge­worden, und frei geworden für Midori.