Deutschland 2002 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Doris Dörrie Drehbuch: Doris Dörrie Kamera: Frank Griebe Darsteller: Heike Makatsch, Benno Fürmann, Alexandra Maria Lara, Jürgen Vogel, Nina Hoss u.a. |
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Benno Führmann und Heike Makatsch |
»Jetzt bin ich happy, früher war ich glücklich.« – sie fühlen sich offenbar schon ziemlich schlecht, die drei Paare, die Doris Dörries neuer Film für einen Abend während eines Essens umkreist. So ganz versteht man nicht, warum, denn in den schicken Wohnungen dieser Mitdreißiger geht es zuerst einmal ziemlich bunt und fröhlich zu: Eine hat eine lilafarbene Perücke auf, einer fährt Fahrrad im Wohnzimmer, die Wände leuchten poppig in allen Grundfarben, die Dialoge werden durch kurze Schlagerlieder – etwa Charles Aznavours »Du lässt Dich gehen« – unterbrochen, die eine der Figuren im Playback mitsingt, und am Ende ziehen sich fast alle richtig nackt aus und betatschen sich...
Diese verkrampfte Ausgelassenheit, die fröhliche Verzweiflung, die hier in jeder Geste sichtbar wird, könnte zum Anfang und Anlass einer bitterbösen Satire werden. Die Zuschauer könnten etwas erfahren über Abgründe hinter dem Wohlstand, über eine Gesellschaft, der beim Tanzen auf dem Vulkan die Beine müde werden und die dicke Schminke auf den Gesichtern zerläuft. So hat, mit spitzem Witz und eisiger Präzision der französische Dramatiker Marivaux im 18.Jahrhundert die innere Leere der höfischen Gesellschaft seiner Zeit portraitiert, so entlarvten Hollywoods Scewball-Comedies in den 30er und 40er Jahren tiefsinnig unter humorvoller Oberfläche eine Welt aus Trug und Schein, die sich nur mit romantischen Lebenslügen und einer Illusion namens »Entscheidungsfreiheit« noch über den kalten Beziehungsalltag einer verwalteten Welt hinwegtäuscht.
Doch eine Satire hatte Dörrie nicht im Sinn, und ihr Film Nackt, basierend auf Dörries Bühnenstück »Happy«, ist weder witzig, noch tiefsinnig, sondern nur öde. Offensichtlich meint sie es nicht zeitdiagnostisch als genau Milieubeschreibung, sondern einfach ernst, wenn sie ihre Figuren plappern lasst: »Wir sind so eingesperrt« oder »Vor einem Jahr haben wir alle noch ganz anders ausgesehen. Da hatten wir Jeans und T-Shirt an.«. Und hält sie es für eine
bedeutungsvolle Aussage, wenn man hört: »Wir sind komplett vorprogrammiert und austauschbar.« und »Jeder Augenblick ist so wichtig.« Offenbar ist es keine, auch keine missglückte, Ironie, wenn die Figuren im Wohnzimmer ein Campingzelt aufschlagen oder eine Pelzjacke anhaben, sondern soll allen Ernstes Symbol sein für irgendwas wie Heimatlosigkeit und soziale Kälte. Schließlich: reden, reden, reden. In echauffierten, überlangen Dialogen reiht sich eine Banalität an die nächste,
nichts davon der Rede wert, alles ohne Charme. Und es mündet in ein »Blinde Kuh«-Spiel, bei dem die Beziehungspaare testen, ob sie einander nackt mit verbundenen Augen erkennen. Selten sieht man sechs Schauspieler dieser Qualität – Nina Hoss, Jürgen Vogel, Alexandra Maria Lara, Mehmet Kurtulus, Benno Fürmann, Heike Makatsch – zusammen in einem Film. Aber die Chance bleibt nicht nur ungenutzt, die Schauspieler werden samt und sonders beschädigt durch den Mist, den ihnen die
Regisseurin antut.
Jedem kann einmal etwas misslingen. Aber Nackt ist so schlecht wie lange nichts im deutschen Kino, gerade weil die Fallhöhe offensichtlich ist, weil sich nicht übersehen lässt, dass hier mehr gewollt ist, als in Mädchen Mädchen! oder Der Schuh des Manitu. Wäre die
Regisseurin jünger, hätte sie nicht längst bewiesen, dass sie geschmackvolle Filme und überdies gute Satiren drehen kann, würde man von Unreife sprechen. So bleibt einfach nur Ratlosigkeit und Enttäuschung.