Mulan

USA 2020 · 115 min. · FSK: ab 12
Regie: Niki Caro
Drehbuch: , , ,
Kamera: Mandy Walker
Darsteller: Liu Yifei, Donnie Yen, Jet Li, Gong Li, Jason Scott Lee u.a.
Die Geschichte einer starken Frau
(Foto: Disney)

Die Entwicklung einer Identität

Niki Caros Mulan ist ein subtiles und facettenreiches Remake, das tiefgründiger und zugleich actionreicher ist als sein animierter Vorgänger

Als aufgrund der Corona-Pandemie im März die Kinos schließen mussten, verschoben viele Produk­ti­ons­firmen die Erschei­nungs­daten von Filmen nach hinten. Das Ziel: dem Zuschauer letzt­end­lich doch noch die Möglich­keit des Kino­er­leb­nisses zu bieten. Einer dieser Filme war die Real­ver­fil­mung des Disney-Klas­si­kers Mulan. Aller­dings wurde der Termin nicht einmal, sondern immer wieder verschoben. Mitt­ler­weile ist der Film doch erschienen, aller­dings nur auf der Streaming-Plattform Disney+, zu einem Aufpreis von über 20€. Das ist mehr als schade. Denn der Kinostart hätte nicht nur vermut­lich wieder mehr Besucher in die Kinos geholt, der Film hat die große Leinwand mehr als verdient. Die Kino­be­treiber, die bereits seit Monaten die Werbe­ma­te­ria­lien wie große Aufsteller und Plakate in ihren Foyers instal­liert hatten, zerstörten oder verbrannten gar in symbol­träch­tiger Weise die Mate­ria­lien und posteten dies auf Social Media. So lässt sich sagen, dass sich der Über­le­bens­kampf des Kinos ange­sichts der Streaming-Platt­formen an Mulan geradezu entzündet hat. Aber auch die Fange­mein­schaft von Mulan rief in Anbe­tracht der Wucher­miete für den Film zum Boykott von Disney+ auf.
Wir hatten das Glück und erinnern uns an ein eindrück­li­ches Film­erlebnis im Kinosaal während der Pres­se­vor­füh­rung kurz vor dem Lockdown. Damit gehören wir, die Kritiker, zu den »Happy few«, die den Film in der ihm eigent­lich ange­dachten Dimension erleben konnten. Und das soll wohl so auch bleiben.
Eine Kritik von Paula Nicola Ruppert, Teil­neh­merin von „Praxis der Film­kritik“ im Winter­se­mester 2019/2020 an der Ludwig-Maxi­mi­lians-Univer­sität.

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Wer als Frau nach der Wieder­ver­ei­ni­gung der Bundes­wehr beitreten wollte, konnte ab 1991 lediglich in den Sani­täts­dienst oder zur Mili­tär­musik. Erst seit 2001 sind sämtliche zur Verfügung stehenden Lauf­bahnen für Frauen geöffnet. In China ist das noch nicht der Fall, der höchste für Frauen zu errei­chende Rang ist die Ehren­garde, die zu öffent­li­chen Anlässen aufmar­schiert. Das Alte China hingegen verbot es Frauen, in der Armee zu kämpfen. Eine wohl im 5. oder 6. Jahr­hun­dert entstan­dene Legende jedoch erzählt von der jungen Hua Mulan, die als Mann verkleidet für ihren Vater der Armee beitritt und damit ihr Leben riskiert. Der lose darauf basie­rende Film Mulan ist nun nach Filmen wie Die Schöne und das Biest und Aladdin der nächste Disney-Klassiker, der als Real­ver­fil­mung neu aufgelegt wird.
Regis­seurin Niki Caro (The Zookeeper’s Wife) übernimmt hierbei keines­wegs den genauen Aufbau der gezeich­neten Vorlage von 1998. Vielmehr erzählt der Film die Geschichte seiner Heldin dunkler, wodurch die Thematik des Krieges deut­li­cher hervor­ge­hoben wird, ohne jedoch über­mäßige Gewalt zu portrai­tieren. Dafür sind die zahl­rei­chen Kampf­sport­szenen des Heeres in Schlacht und Training umso eindrucks­voller insze­niert.
Mulan – tief­gründig verkör­pert von der aus China stam­menden und dort sehr bekannten Yifei Liu – ist keines­wegs eine Frau, die sich von anderen unbe­gründet herum­kom­man­dieren oder belächeln lässt. Dadurch entstehen während des Trainings interne Kämpfe, in welchen sie ihren Vorge­setzten ihr Potential und Können zeigt. All das musste sie bisher unter­drü­cken, da sich diese Fähig­keiten für eine Frau nicht gehören. Motiviert durch ihren Trainer und Komman­danten Thung (Donnie Yen) beginnt Mulan, sich schließ­lich mehr zuzu­trauen und zu einem der besten Krieger des Heeres zu werden.
Im Mondlicht am Seeufer übt sie langsam und bedacht einzelne Bewe­gungen, lernt, sich zu diszi­pli­nieren und zu vertrauen. Zunächst sieht sie nur ihr Spie­gel­bild, doch sie beginnt mit der Zeit, zu sich selbst zu finden. Sie lernt, sich nicht vor sich selbst zu verste­cken, wie sie es vor ihren Kameraden tun muss. Die immer gleichen, kräf­te­zeh­renden und unmöglich schei­nenden Trai­nings­auf­gaben werden für sie einzig zu einer Frage des Selbst­ver­trauens. Es geht um Identität – sie weiß, wer sie ist und wohin sie gehört, und ihr Spie­gel­bild ist nicht mehr eine andere Mulan. Sie begreift, dass sie alles erreichen kann.
Auch in der Musik spiegelt sich diese Entwick­lung der Identität. Das wohl bekann­teste Lied des Zeichen­trick­films, »Reflec­tion«, wird zunächst leise und sanft aufge­griffen. Je mehr Mulans Charakter wächst, desto mehr steigert sich auch die Musik. Indirekt wird so die Frage gestellt, mit der sich das Lied beschäf­tigt – wann wird mein Spie­gel­bild zeigen, wer ich tief in mir bin? Gleich­zeitig wird auch die Antwort gegeben, denn es ertönt in Schlüs­sel­mo­menten für Mulan episch orches­triert und sugge­riert so geschickt ihren zuneh­menden Stolz.
Doch nicht nur die Musik ist wirkungs­voll einge­setzt, sondern auch Farb­ge­stal­tung und Kame­rafüh­rung sind in sich stimmig und unter­stützen die Handlung. Der Film ist weniger bunt als seine animierte Vorlage und arbeitet mit leicht stereo­typen, aber dennoch nicht weniger wirkungs­vollen Gegen­sätzen. So stehen die schwarz geklei­deten Angreifer im Gegensatz zur rot-silbernen Armee Chinas.
Wie so oft in mili­tä­ri­schen Filmen geht es auch zentral um Ehre, wobei der Weg dazu klar zwischen den Geschlech­tern getrennt ist. Eine Frau muss als gute Ehefrau der Familie Ehre bringen, der Mann als loyaler, tapferer und ehrlicher Soldat. Mulan kann sich jedoch – anders als ihre Schwester – nicht in diese Rolle einfügen, was wohl auch der Grund ist, warum sie es überhaupt wagt, in die Armee einzu­treten. Doch ihre Geschichte ist die einer starken Frau, die auch als Soldatin ihre Kameraden über­zeugen kann. Sie führt die Krieger als Hua Mulan in den letzten Kampf, von allen wegen ihres Könnens respek­tiert und geachtet. Und sie ist keines­wegs die einzige starke Frau. Auch ihre Wider­sa­cherin, eine Kriegerin mit über­na­tür­li­chen Kräften auf Seiten der Angreifer, durch­läuft im Gegensatz zu deren Anführer eine Entwick­lung zur willens­starken und eman­zi­pierten Persön­lich­keit.
Mulan ist ein Remake, das tief­grün­diger und zugleich action­rei­cher ist als sein Vorgänger. Er ist auf allen Ebenen subtil und facet­ten­reich ausge­ar­beitet und nicht etwa auf den Kampf von Gut gegen Böse reduziert. Hinzu­kommt eine liebe­volle und detail­reiche Gestal­tung sowie typische Disney-Momente, die den Film zu einem runden und eigen­s­tän­digen Werk machen, das für viele Alters­stufen anspre­chend ist.