Monster im Kopf

Deutschland 2023 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Christina Ebelt
Drehbuch:
Kamera: Bernhard Keller
Darsteller: Franziska Hartmann, Slavko Popadic, Martina Eitner-Acheampong, Christian Erdmann, Michael Kamp u.a.
Auf dem Weg zu so etwas wie einer Erlösung...
(Foto: Cologne Cine Collective/Real Fiction)

Eine Frau sieht rot

Auch Christina Ebelts zweiter Film fokussiert überzeugend auf eine alleinstehende Frau am Rande der Gesellschaft, geht jedoch einen entscheidenden Schritt weiter

Zeigte Christina Ebelt in ihrem groß­ar­tigen Kinodebüt Sterne über uns (2018) noch eine gesell­schaft­lich inte­grierte Frau, die ihre Obdach­lo­sig­keit, ihren ange­henden Job als Stewar­dess und ihre Stellung als allein­er­zie­hende Mutter gerade noch so bewäl­tigen konnte, geht Ebelt in ihrem zweiten Film Monster im Kopf noch einen Schritt weiter, aber auch einen Schritt zurück.

Ihre Heldin Sandra, die wieder von einer umwer­fenden Franziska Hartmann verkör­pert wird, hat noch kein Kind, ist jedoch schwanger, aller­dings im Straf­vollzug. Schnell wird deutlich, dass Sandra so etwas wie die erwachsen gewordene Benni aus Nora Fing­scheidts System­sprenger ist; ein Mensch mit mangelnder Impuls­kon­trolle und in sozialen Inter­ak­tionen immer wieder auffällig. Und die, anders als Ebelts Mellanie in Sterne über uns, die an sie gestellten Anfor­de­rungen nicht mehr hat bewäl­tigen können, irgend­wann ausge­rastet ist und nun im Straf­vollzug sitzt, in der Hoffnung, einen der wenigen Mutter-Kind-freund­li­chen Verwahr­plätze des deutschen Justiz­sys­tems zuge­wiesen zu bekommen.

Vor allem aus dieser erzäh­le­ri­schen Konstruk­tion zieht Monster im Kopf dann auch seine Spannung, denn über Sandras Flash­backs wird deutlich, dass sie vor allem »funk­tio­niert« bzw. »reagiert«, aber eigent­lich nie gelernt hat zu agieren. Sei es ihr Freund, den sie moralisch in seinem Job als Auto­me­cha­niker im Renn­fah­rer­ge­schäft unter­s­tützt oder ihre pfle­ge­be­dürf­tige Mutter, die sie täglich besucht, um für sie zu kochen und die sie nur erträgt, indem sie ab und an vor die Tür tritt, um die Fäuste zu ballen und »Luft zu holen« oder in ihrem Job als Fleisch­ver­ar­bei­terin in einem Schlachthof, den sie so konzen­triert und still ableistet wie sie ihren dicht­ge­tak­teten Alltag »vollzieht«, der keinerlei Raum für Selbst­ent­fal­tung erlaubt.

Ebelt zieht die Schrauben ihres Dramas sehr schnell, sehr konse­quent an, denn schon bald fragt man sich bei dem manchmal etwas zu sauberen und zu wohl­do­sierten Sozi­al­rea­lismus, der nur selten an das »schmut­zige« Kino von Ken Loach heran­reicht, wen es aus dem Umfeld von Sandra treffen wird, deutet sich nämlich schon in einer frühen Szene an, dass nicht einmal Sandras Kinder­wunsch eine wirkliche Alter­na­tive für etwas »eigenes« ist.

Wie und durch wen sich Sandra dann jedoch »befreit« und gleich­zeitig in den »Straf­vollzug« überführt, ist so über­ra­schend und gleich­zeitig genauso ambi­va­lent wie ihr Befrei­ungs­schlag selbst. Ein »Moment«, den sich jeder unter ähnlichen Anfor­de­rungen schon einmal vorge­stellt haben dürfte und der in Rächer- und Selbst­jus­tiz­filmen zum täglichen Brot »gesunden« Handeln gehört.

Ebelt löst diesen Konflikt jedoch erheblich subtiler und macht dort weiter, wo Chris Kraus mit Hannah Herz­sprung in Vier Minuten (2006) aufhörte. Denn bei Ebelt darf das Kind leben, gibt es in einer letzten Einstel­lung eine wunder­bare, hypno­ti­sche Kame­ra­fahrt auf das Gesicht von Sandra, in der Franziska Hartmann ihr ganzes Können zeigt und in all der Misere sich dann tatsäch­lich so etwas wie eine Erlösung andeutet. Ein Moment, der es allein schon wert ist, sich Ebelts Film anzusehen.