Monga – Gangs of Taipeh

Báng-kah

Taiwan 2010 · 140 min. · FSK: -
Regie: Doze Niu
Drehbuch:
Kamera: Jake Pollock
Darsteller: Mark Chao, Ethan Ruan, Rhydian Vaughan, Teng-Hui Huang, Chang-Hsine Tsai u.a.
Harter Gangsterfilm und Abgesang in einem

Es war einmal in Taipeh

Es geht um Jugend, Leiden­schaft, Verän­de­rung und Wider­stand, Freund­schaft und Verschwö­rung. Niu Chen-zer’s zweite Regie­ar­beit Monga ist eine Gangs­ter­ge­schichte aus Taipeh, schnell und nost­al­gisch, hart und dann wieder reiner Slapstick, ein Abgesang voller Wehmut auf die gute alte Zeit und voller Ahnung, dass sie so gut auch nicht war.

»Warum haben diese Idioten Dich ange­griffen?« – »Wegen eines Hühn­chen­schen­kels.« – Dialog­pas­sage aus Monga

»Mit 17 bin ich nach Monga gezogen und wegen eines Hühn­chen­schen­kels in einer Bande gelandet.« – Im Rückblick erklärt Mosquito uns Zuschauern, wie es kam, dass er zu einem Mitglied in der Bande des Bezirks um den Longshan-Tempel und den ihn umge­benden Tempel­platz und den Nacht-Markt wurde. Der Film beginnt mit dieser Episode und einer kurzen Vorstel­lung der Banden­mit­glieder. Eine Zeitreise ins Taipeh des Jahres 1986: Wieder mal muss der 17-jährige Mosquito die Schule wechseln, wieder mal ist seine Mutter, die einen kleinen Friseur­laden betreibt, umgezogen. Nun wohnen Mutter und Sohn – einen Vater gibt es schon lange nicht mehr – in Monga, einem noch besser als Wanhua bekannten, mit Abstand ältesten Stadt­viertel von Taiwans Haupt­stadt Taipeh. Es ist ein ehema­liges Sumpf­ge­biet, in dem die Flüsse Xindian und Danshui zusam­men­fließen, und der Name Monga leitet sich aus dem Wort der keta­laga­ni­schen Urein­wohner Taiwans für Kanu ab. Auch heute ist Monga ein unsi­cheres Terrain voller Untiefen, das noch lange nicht trocken­ge­legt wurde. Hier regieren die Straßen­banden, die sich das Gelände unter­ein­ander aufge­teilt haben und ihr jewei­liges Terrain sorgsam vertei­digen. West Side Story lässt grüßen. Allein Natalie Wood ist fern.

Prinzen, Underdogs und Darwi­nismus

Nur in der Schule treffen sie sich, da herrscht das Recht des Stärkeren, und es wird diszi­pli­niert und geprügelt, und gedro­schen und gehackt und manchmal auch gestochen – und schon als Schüler muss man Farbe bekennen, sich entscheiden, ob man einer ist, der nur einsteckt, oder ob man zurück­schlagen will. Dann muss man sich entscheiden mit wem.

Und schon in der Schule über­nehmen die Söhne der Clanchefs das Kommando, wie Dragon Lee zum Beispiel, der einzige Sohn von Geta, dem Boss vom Tempel­platz. Er ist ein kleiner Straßen­prinz, der mit silbernem Löffel im Mund geboren wurde. Als Sohn eines Banden­bosses war er für die Kinder bereits in der Grund­schule auto­ma­tisch der Boss. Von klein auf war er derjenige, der in der Schule für Ordnung sorgte. Und sein Lebens­werk zum Gangster, zum Erbe seines Vaters war vorge­zeichnet. Was er unter der Mafia-Bruder­schaft versteht, ist immer eng mit Macht verbunden. Aber wenn man ehrlich ist, weiß er nicht, wie er seine eigene Macht richtig gebrau­chen soll. Dazu braucht er Monk. Der hat eigent­lich alles, was man zu einem Banden-Boss braucht. Er ist hoch­in­tel­li­gent, belesen und höflich. Jedes Jahr war er in sechs Fächern der Beste: Aufsatz, Rhetorik, Lesen, Recht­schrei­bung, Kalli­gra­phie, Kunst­hand­werk. Er macht alles müheloser und profes­sio­neller als die anderen. Und wie ein Mönch scheint er sich für nichts zu inter­es­sieren, als für seine Pflchten. Schon gar nicht für Frauen. Monk ist die rechte Hand von Dragon Lee, beide hängen immer beisammen, und es ist klar: Wenn Dragon Lee Ober-Boss wird, wird Monk Boss werden.

Dan gibt es da noch Ah-Po, einen Underdog, der am besten weiß, wie man überlebt. Ein Angeber und Lügner, im Grunde feige, für den die Bande nur ein Instru­ment ist, um andere zu betrügen. Und Monkey, der von seinem Großvater aufge­zogen wurde. Mit zehn Jahren stellte er fest, dass er gut kämpfen konnte. Seitdem verprü­gelte er andere, wird aber selbst nie verprü­gelt.

Impro­vi­siert, realis­tisch, die Kämpfe sind hart, aber nicht ohne Poesie

Die eigent­liche Haupt­figur des Films aber ist der sieb­zehn­jäh­rige Mosquito. Er ist viel zu sensibel für das Gangs­ter­hand­werk, wird von seinen Mitschü­lern dauernd schi­ka­niert. In dieser Schule in Monga ist es fast unmöglich, dem Rat des strengen Schul­di­rek­tors zu folgen: »Ich rate Dir: sei schön brav und mach die Schulzeit zuende.« Als Mosquito einmal zurück­schlägt, und sich mit Mut und Geschick gegen seine Angreifer vertei­digt, die ihn feige sechs gegen einen atta­ckieren, wegen eines Hähn­chen­schen­kels, den ihm seine Mutter zube­reitet hat, da fällt er den anderen von der Tempel­platz­bande auf: Erst fünf Finger ergeben eine Faust – also helfen sie ihm, und er ist dabei.

In sehr schönen Bildern, getaucht in die typische Farb­kom­bi­na­tion des taiwa­ne­si­schen Films, in eine Kombi­na­tion aus leicht ausgeb­li­chenem Gelbgrün und Aqua­ma­rin­blau, taucht Regisseur Doze (Niu Chen-Zer) seine Geschichte. Der Stil ist impro­vi­siert, realis­tisch, die Kämpfe sind hart, aber nicht ohne Poesie. Es ist die Geschichte einer irgendwie doch auch unbe­schwerten, halb­starken Jugend, aus Verfol­gungs­jagten und Motor­rad­fahrten, aus Sonne und kurzem Glück. Immer präsent ist aber auch die Melan­cholie des Blicks auf eine verlorene Zeit: »Once upon a time in Taipeh«.

Da sagt Mosquito schon: »Scheiß auf den Sinn des Lebens. Für mich zählt nur die Bruder­schaft.« Der Schweiß dampft auf der Haut. Da hat er schon die Schule vergessen, auch wenn ihm das heftigen Streit mit seiner Mutter bringt. Aber zum ersten Mal in seinem Leben hat Mosquito richtige Freunde. Sie gehen aus und saufen und prosten auf die Väter und tanzen wie John Travolta in »Saturday Night Fever«. Ihre aller­größte Leistung wird eine Massen­schlacht aller Banden von Monga. An jenem Abend werden die Fünf Bluts­brüder und gründen die »Prin­zen­bande«. Sie lernen schnell, sie machen sich ihren Namen, und wenn sie auch noch Jungs sind, die ihre Väter suchen, und sich »ihre Hörner abstoßen«, ob auf der Straße oder bei den Nutten, dann kennen sie doch schön böse Tricks, wie den, den Mund ihrer Opfer mit Sekun­den­kleber zu verschließen. Und die Augen... Und die Ohren... Und das rechte Nasenloch...

»In die dunkle Welt hätte ich nicht gehen sollen«

Sehr bald aller­dings ist die unbe­schwerte Jugend vorbei. Die Fünf machen einen bösen Fehler, und sie müssen dafür bezahlen: Boss Geta schickt sie in die Berge, wo sie einem harten Training in allen Kampf­künsten unter­worfen werden. Es gilt vor allem Stich­waffen. »Together we stepped into the world of grown-ups, and there was no turning-back.«

Am Abend ihrer Rückkehr trinken die Bosse der verfein­deten Banden von Monga mitein­ander. Getas Konkur­rent hat einen vom Festland mitge­bracht, und es ist klar, was passieren muss. Nie hat ein Song trauriger und bitterer geklungen, in all seiner Heiter­keit, als der, den Geta mit den Prinzen gemeinsam singt:
»Manchmal möchte ich wirklich/ All meine Sorgen erzählen/ In die dunkle Welt/ hätte ich nicht gehen sollen/ Wenn ich jetzt meine Fehler wieder­gut­ma­chen wollte/ wer würde sie mir verzeihen?«

Es kommt, was kommen muss: Ein Gangs­ter­krieg bricht aus in Monga. Und wahr­schein­lich ist es auch eine sehr eindeu­tige poli­ti­sche Botschaft, dass es einer »vom Festland« ist, der den Frieden stört, die Kumpanei der Gangs von Monga ein für alle mal zerstört, die irgendwie mitein­ander auskamen, deren Bosse mitein­ander tranken, während die Gangs sich prügelten. Dass der »vom Festland« härter und ziel­ge­rich­teter ist, amora­li­scher und skru­pel­loser, böser und moderner. Ihm gehört die Zukunft, den Taiwa­nesen, die sich gegen­seitig umbringen, die Vergan­gen­heit.

Böse sind die Straßen auch hier

Es ist die eine uralte immer­gleiche Geschichte vom Verlust der Unschuld, die hier erzählt wird, von der Konfron­ta­tion zwischen alter Zeit und der neuen, zwischen Ehren­kodex und Amoral, zwischen Mafia­werten und übriger Welt, zwischen gemüt­li­chem Konser­va­tismus und mörde­ri­schem Neoli­be­ra­lismus. Man muss dabei nicht gleich an den Paten denken von Coppola, und auch nicht an Andrew Laus Infernal Affairs, beide sind zu episch, was sich schon daran zeigt, dass sie jeweils drei Teile brauchten, um alles zu erzählen. Beide wollen auch mehr, sind gravitä­ti­scher, grund­sätz­li­cher, sind eine Art »Krieg und Frieden« unter Mafia­gangs. Eher schon ähnelt Monga – Gangs of Taipeh, den das großar­tige Team der Kölner Rapid Eye Movies jetzt ins deutsche Kino bringt, einer Novelle: Er ist leichter, verspielter, frag­men­ta­ri­scher auch manchmal ungenauer, und damit als Film eher das taiwa­ne­si­sche Pendant zu so etwas wie Mean Streets, dem Scorsese-Debüt. Böse sind die Straßen auch hier.

Aber über lange Passagen sind diese Freund­schafts­ge­schichten eben auch lustig und nost­al­gisch, auch wenn sich diese Freunde am Ende gegen­seitig umbringen, was jeder, der solche Filme schon mal gesehen hat, natürlich ahnen muss.

Hitziges Inten­sitäts­kino

Monga ist hitziges Inten­sitäts­kino, bis zum Ende verdampft der Schweiß. Nicht perfekt, aber vorwärts. Klar: Es kommt zu Raubzügen durch die Kino­ge­schichte, auch der Film selbst ist ein kleiner schmut­ziger, frecher Gangster. Und sogar ein Magazin über asia­ti­sches Gay-Kino kommt irgendwie auf seine Kosten.

Merken muss man sich neben Regisseur Doze (Niu Chen-Zer), einem ehema­ligen Teenager­star, der auch in Filmen der »Taiwan New Wave« der 80er Haupt­rollen spielte, und nun auf den Regie­stuhl gewech­selt ist, vor allem den Namen von Jake Pollock. Der aus den USA stammende Kame­ra­mann arbeitet seit einiger Zeit in Taiwan, und hat bisher nur in wenigen Filmen die Bilder gestaltet. Aber in jedem Fall war seine Arbeit bemer­kens­wert: In dem Kurzfilm Summer Afternoon (2008) von Ho Wi-ding, in The Message von Chen Kuo-Fu und Gao Qun-Shu und in Yang Yang von Cheng Yu-Chieh, der 2009 im Berlinale-Panorama zu sehen war. Demnächst arbeitet er mit Peter Chan – einmal mehr wie Chris­to­pher Doyle ein west­li­cher Kame­ra­mann, der besonders »chine­si­sche« Bilder findet.
In Taiwan wurde Monga zum erfolg­reichsten Film des Jahres, er schlug am Eröff­nungs­wo­chen­ende mit 19 Millionen Dollar Einnahmen in Taiwan sogar Avatar. Inzwi­schen hat der Film allein zuhause bereits über 250 Millionen Dollar einge­spielt, und wurde für den Ausland­soscar nominiert. Ein schöner, geschmack­voller Film also. Wer hier Wider­stand und Subver­sives sucht, der sucht natürlich vergebens. Aber man kann nicht immer alles haben.