F/IL/I/IND 2010 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Julian Schnabel Drehbuch: Rula Jebreal Kamera: Eric Gautier Darsteller: Freida Pinto, Hiam Abbass, Yasmine Al Masri, Alexander Siddig, Ruba Blal u.a. |
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Platte Polit-Exploitation |
Eine Frau will sich umbringen. Der Zuschauer ahnt das schon länger, und als sich die volltrunkene Nadia, die über Jahre vom Schwager vergewaltigt wurde, später unschuldig eine Weile im Gefängnis verbrachte, dem Strand nähert, wird der Verdacht zur Gewissheit. Als sie das Wasser erreicht hat, nimmt die Kamera eine subjektive Perspektive ein, geht immer weiter mit der Frau ins Meer, wird mit ihrem Kopf von Wellen überspült und taucht schließlich, zu gluckernden Geräuschen, die bald von schmalziger Musik übertönt werden, auf Nimmerwiedersehen in die Tiefen des Ozeans hinab – ein Filmbild, das an bedeutungsschwangerem gekünsteltem Symbolismus allenfalls noch von jener Vergewaltigungsszene in Miral überboten wird, in der die Kamera im Rhythmus der Penetration mitschwingt und gegen eine Bettkante schlägt, den Zuschauer damit quasi zwangsweise vereinnahmt und zum Mitvergewaltiger macht.
Diese Vereinnahmung für die schlechte (und manchmal auch gute) Sache, die grundsätzliche Beschneidung der Freiheit und Urteilskraft des Zuschauers sind das Grundmuster von Miral, dem neuesten Film des US-Starkünstlers und Gelegenheitsregisseurs Julien Schnabel. Szenen wie die beschriebene wecken im Betrachter einen schlimmen Verdacht. Es ist nicht allein die Frage, wie Schnabel wohl alles das so schnell verlernen konnte, was er in früheren Filmen wie Basquiat (1996), Before Night Falls (2000) und Schmetterling und Taucherglocke (2007) so großartig und bezaubernd zu beherrschen schien, das souveräne Spiel mit den Emotionen und den Sinnen seines Publikums. Miral verleitet leider dazu, das eigene Urteil über diese Filme rückwirkend unter Verdacht zu stellen, sich selbst zu fragen, ob Schnabel denn damals wirklich so ein besserer Filmemacher war, und nicht womöglich bereits ähnliche Kitschreflexe bespielt hat, die bei einem selbst im Unterschied zu heute noch funktionierten.
»La stada dei fiori di Miral« heißt der Roman der palästinensisch-italienischen Journalistin und Schriftstellerin Rula Jebreal, der 2004 zum Überraschungserfolg auf dem italienischen Buchmarkt wurde. Das halbautobiografische Werk erzählt von verschiedenen, zum Teil authentischen, zum Teil erdachten palästinensischen Frauenschicksalen. Im Zentrum stehen Hind a-Husseini (1916-1994), 1947 Gründerin und bis zu ihrem Tod 1994 Leiterin des »Dar Al-Tifl Waisenhaus«' in Jerusalem, und das titelgebende junge Mädchen Miral, eine Figur, die offen angelehnt ist an die Autorin Jebreal und deren eigene traumatische Kindheits-Erfahrungen. Mirals Mutter ist jene traumatisierte Trinkerin Nadia, die sich umbringt, als ihre Tochter zehn Jahre alt ist. Der Vater ein höchst humaner und gebildeter, aber schwacher Palästinenser, der seine Tochter nach dem Tod der Mutter in Hind’s Heim für verlorene Kinder besser aufgehoben sieht, als bei ihm. Miral wird im Heim zur radikalen Intifada-Kämpferin.
Das Herz ist kein sehr geeignetes Organ, um gute Filme zu machen, viel besser fährt man mit Augen, Ohren und anderen Sinnesorganen, und auch der Verstand kann manchmal helfen. Vielleicht entwirft ja Jebreals 400-Seiten-Roman ein differenziertes Bild – der Film ihres Lebensgefährten Schnabel tut es jedenfalls nicht. Eher erfüllt Schnabels missglücktes, von visuellen Manierismen strotzendes Werk alle möglichen Klischees in grellen Farben getauchter Polit-Exploitation: Ein
Schmachtschinken aus glatten Figuren, die oft nur dazu dienen, moralische Thesen und politische Standpunkte aufzusagen und besonders schön zu leiden. Vanessa Redgrave und William Dafoe stehen zwar groß auf dem Plakat, sind aber nach zwei Szenen zu Beginn für den Rest des Films verschwunden.
Schlimmer aber ist: die nervtötende Einseitigkeit, mit der der Film ein völlig verzerrtes Bild des Nahost-Konflikt zeichnet, in dem säuberlich zwischen Opfern (Palästinensern) und Tätern
(Israelis) unterschieden wird, und das kaum ein Stereotyp auslässt. Man sieht dauernd hassende, prügelnde, und ballernde, überdies hässliche, verschwitzte Israelis, aber kaum einen einzigen Palästinenser, der umgekehrt einem Israeli ernsthaft etwas zuleide tut. Dafür lauter humanistische, gutwillige und schöne Araber, die vielleicht mal Bomben legen, aber immer für den Frieden. Die politische Position Schnabels beschränkt sich auf die Sicht: Klar, es gibt auch ein paar
palästinensische Radikale, aber eigentlich sind die Israelis an allem schuld. So ist Miral das jüngste Beispiel für das philo-palästinensische und mindestens im Ergebnis antiisraelische Engagement eines Künstlers aus dem Westen.
Um zu erleben, wie differenziert und großartig doppelbödig sich von israelischer Geschichte und dem notwendig gemeinsamen Schicksal der Israelis und der Palästinenser erzählen ließe, sollte man sich lieber Eyal Sivans hinterlistige Kinogeschichte der Jaffa-Orange Jaffa – The Orange’s Clockwork ansehen, die gerade durch die deutschen Programmkinos tourt.