USA 1999 · 111 min. · FSK: ab 12 Regie: Hampton Fancher Drehbuch: Hampton Fancher Kamera: Bobby Bukowski Darsteller: Owen Wilson, Brian Cox, Mercedes Ruehl u.a. |
Ein Auto im Sonnenlicht, irgendwo in der weiten Prärielandschaft des amerikanischen Westens. Ein junger, blonder Mann, aufgenommen von hinten. Sein Gesicht bleibt verborgen. Sorgfältig wäscht er das Auto mit einem Wasserschlauch ab. Dann fährt er los. Reinigung, Aufbruch – universale Themen.
Wer da wirklich fährt, auf endlosen Highways, durch Kleinstädte, von denen eine der anderen gleicht, begreift der Zuschauer erst allmählich; und ganz versteht er es bis zum Schluss nicht, als das Auto wieder verschwindet, unterwegs auf der Straße nach nirgendwo.
Zwischendurch wird dieser irgendwie merkwürdige Fahrer namens Vann Siegert (von Owen Wilson in entwaffnender Harmlosigkeit gespielt) ein paar Menschen zurücklassen: eine Drogensüchtige, eine neugierige Polizistin, einen all-american-boy, ein älteres Paar, bei dem er wohnt und eine junge einsame Frau, die sich in ihn verliebt hat. Er scheint ein Geheimnis zu haben. »Ich mache nie einen Plan«, erklärt er aus dem Off.
Dieser gesichtslose »Minus-Mann«, dem Hampton Fanchers Film ein paar Stationen auf seinem Weg folgt, ist immer genau das, was die anderen in ihm sehen wollen: ein Mann ohne Eigenschaften, eine Projektionsfläche, auf die sich alle anderen bereitwillig beziehen, und dabei ein bisschen verwandt dem Fremden von Albert Camus, der zu allem fähig war, weil er immer wusste: »Die Sonne war schuld«. Der junge Spröde, in vielerlei Hinsicht kontaktunfähig, erinnert auch an Shane, diesen archetypischen und zugleich letzten Westernhelden, der eines Tages ankommt, und alles verändert – reines Zeichen. Am Ende muss er wieder fort. Aber nichts ist mehr, wie es war.
Die Lebensgeschichte Fanchers, der jetzt – mit 61 – seine erste Film-Regie vorlegt, ist schon für sich ungewöhnlich und spannend: Einst begann er als Schauspieler, drehte TV-Serien, und dann, Ende der Sechziger ein kurzes Jahr in Deutschland – unter anderem mit Will Tremper und Michael Pfleghaar, der damals, lange vor Klimbim, noch als Autorenfilmer galt. Nebenbei trieb er sich eine Weile in der Münchner Hippie-Szene herum und machte all die Erfahrungen, die seine Generation damals gemacht hat. In den Siebzigern arbeitete Fancher dann eher erfolglos als Drehbuchautor, bevor ihm 1981 der große Coup gelang. Mit der Kino-Adaption von Philip K. Dicks Novelle, die als Blade Runner schnell zum modernen Science-Fiction-Klassiker wurde, machte sich Fancher als Drehbuchautor unsterblich. Doch auch danach änderte sich weiter nichts: Fancher, zu sehr Eigenbrötler, um sich dauerhaft mit Hollywood zu arrangieren, schrieb ein Drehbuch nach dem anderen, kaum eines wurde je realisiert. Erst jetzt konnte er genug Geld zusammenkratzen, um einmal einen eigenen Film zu drehen.
Dieses Ungeschmeidige merkt man auch The Minus Man in jeder Minute an. In der derzeitigen Landschaft sind solche Filme – zu wenig entertaining um die Massen zu locken, zu wenig auf intellektuell chic gestylt, um als film d’auteurs durchzugehen, und zu wenig sentimental für die kunstduseligen Bildungsbürger in Europas Städten – so heimatlos wie ihre Hauptfigur. Streng reduziert, kaum Kompromisse mit den Erzählkonventionen schließend, verzichtet The Minus Man auf jede Erklärung und Psychologisierung seines Charakters. Er zeigt, was passiert, und das ist im Grunde nicht viel, jedenfalls banal. Eine anonyme gar nicht untypische Existenz aus dem universalen Amerika. Zeitkolorit bleibt unwichtig, der Film könnte auch 20 oder 50 Jahre früher spielen. Anders als in Lew McCrearys 1991 erschienener Vorlage geht es – entgegen der Vermarktung des Films – auch keineswegs um einen Serienkiller. Jedenfalls liegen die Dinge nicht so eindeutig. Ob hier einer Menschen tötet, oder die Post austrägt, ist im Grunde egal. Was auch immer geschieht, es versinkt im Sumpf alltäglicher Banalität. »Bedeutung« bleibt offen, entscheidend ist die Beiläufigkeit allen Geschehens.
Splatter-Hoffnungen von Gewaltvoyeuren werden somit ebenso enttäuscht, wie jede eingeübten Thriller-Erwartungshaltung. Was an The Minus Man trotzdem fasziniert, ist seine dichte Atmosphäre. Road-Movie, Thriller, Psycho-Studie zeigt Hampton Fancher wieder einen »blade runner«, eine Figur, die es in ihrer Gratwanderung gerade eben so schafft, zu überleben, aber nicht mehr, all dem noch einen Sinn abzugewinnen. Nur, und das ist vielleicht doch etwas Zeittypisches, ist dieser meist gut gelaunte, hilfsbereite, nur manchmal etwas nachdenkliche Vann auch gar nicht an Sinngebungen interessiert. Er bleibt ein Neutrum, aus dem Nichts kommend, im Dunkel lebend.
In Vanns innerem, verborgenen Drama, seinem Nicht-aus-sich-heraus-können erzählt sein Regisseur nicht allein etwas über die Psychologie von Mördern, sondern auch etwas über die Tragödie traditioneller Männlichkeit, zeigt den dekonstruierten westlichen Helden als solchen: seine hysterisch-starren Kämpfe um Ehre, die Duelle von einst, die noch die Filme von John Ford ganz unironisch beherrschten, sind heute unmöglich geworden. Weil die Bedingungen für sie fehlen, hat sich ihre Gestalt verändert. Übrig bleibt die nun nach innen gewendete, zur Erstarrung gewordene Angst. Nur der Aufbruch, der eine Flucht ist, bietet hieraus vielleicht noch einen Ausweg. Und das Töten.