Schweden 2009 · 88 min. Regie: Håkon Liu Drehbuch: Alex Haridi Kamera: Ari Willey Darsteller: Pernilla August, Ludwig Palmell, Huang Ho, Britta Andersson, Ken, Eric Tsang, Gwen Yao u.a. |
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Plädoyer für das wirkliche Leben |
Kicki ist 49 Jahre alt und glaubt, via Skype-Bildtelefonie habe sie endlich das Glück gefunden. Nacht für Nacht chattet die Schwedin im Internet mit ihrem neuen Lover, Mr. Chang, der in Taiwan ein reicher Geschäftsmann ist und durchblicken lässt, dass er sie unbedingt treffen will – gemeinsame Zukunft nicht ausgeschlossen. Eines Tages beschließt sie, den elektronischen Liebhaber endlich persönlich zu treffen, und reist nach Taiwan – gemeinsam mit ihrem 16-jährigen Sohn, den sie den wahren Grund der Reise allerdings nicht verrät.
Natürlich kommt dann in Taiwan alles ganz anders, als Miss Kicki es sich vorgestellt hat, und vor allem die große Liebe hält nicht, was sie versprochen hat. Aber nun sind sie einmal da. Kicki hat auch vieles nachzuholen, was die Beziehung zu ihrem Sohn angeht. Und auch für Victor hält die Metropole Taipeh ein paar Überraschungen bereit: Er lernt ein anderes Leben kennen, findet neue Freunde, wie den geheimnisvollen Didi und vor allem sich selbst – er erlebt sein schwules Coming-Out.
Der in Taiwan aufgewachsene Håkon Liu, Sohn einer Norwegerin und eines Chinesen, verarbeitet viele autobiographische Erlebnisse des Regisseurs und hält die Waage zwischen Komödie und Ernst. Sein Spielfilm-Debüt gewann mehrere internationale Preise, unter anderem den »Rainer-Werner-Fassbinder-Preis« für den besten Erstlings-Film beim Internationalen Festival von Mannheim-Heidelberg, 2009.
Dass der Film jetzt noch ins Kino kommt, ist nur gerechtfertigt: Håkon Liu ist ein ästhetischer Zwitter gelungen: Ein Film über protestantische Gewissensqualen, über Patchwork-Familien, und ihre Sollbruchstellen, wie man das vom skandinavischen Kino, auch jenseits von »Dogma 95«, kennt. Aber getaucht ist dieser Film ins gelbgrüne Neon-Flirren, die Farben der Nacht und der Natur, die den großen Wiedererkennungswert eines typisch-taiwanesischen Films ausmachen. Und auch die Offenheit der Taiwanesen für homoerotische und sexuell flexible Geschichten ist diesem Film eigen – ein skandinavischer Film aus China, ein taiwanesischer aus Schweden.
Im Kern ist dies eine poetische Mutter-Sohn-Geschichte, und ein Melodrama zwischen den Kulturen, das unter den Glaspalästen der Geschäftsviertel und inmitten des Gewimmels der Garküchen auf der Straße ein ganz eigenes, skandinavisch gefärbtes Taiwan entdeckt. Dies ist daneben auch ein Plädoyer für reale, anstatt nur virtuelle Beziehungen zwischen Menschen und für das wirkliche Leben jenseits der 2.0-Virtualität. Getragen wird alles von der Hauptdarstellerin Pernilla August in der Titelrolle, die zwischen Ingmar Bergman-Filmen und Star Wars schon alles gespielt hat – und diese Erfahrungen in diesen kleinen feinen alltäglichen Abenteuerfilm einfließen lässt.