Mit der Faust in die Welt schlagen

Deutschland 2025 · 111 min. · FSK: ab 12
Regie: Constanze Klaue
Drehbuch:
Kamera: Florian Brückner
Darsteller: Anton Franke, Camille Moltzen, Anja Schneider, Christian Näthe, Swetlana Schönfeld u.a.
Mit der Faust in die Welt schlagen
Vom Leben in die Ecke gedrängt...
(Foto: Flare Film)

Stille Wucht

Constanze Klaues Adaption des Romans von Lukas Rietzschel über das Coming-of-Age zweier Brüder in der ostdeutschen Provinz geht unter die Haut. Und das nicht nur wegen des großartigen Ensembles

Es ist gewis­ser­maßen ein Doppel­debüt. Denn nicht nur der kluge Roman Mit der Faust in die Welt schlagen von Lukas Rietz­schel aus dem Jahr 2018, sondern auch die filmische Adaption von Constanze Klaue ist ein Debüt. Doch das tut eigent­lich nichts zur Sache, denn nichts fühlt sich hier wie ein Debüt an. Auch deshalb durfte die Verfil­mung ihre Welt­pre­miere bei der 75. Berlinale in der Sektion Perspec­tives feiern, in dem in diesem Jahr neu etablierten inter­na­tio­nalen Wett­be­werb für Spiel­film­de­büts, der Nach­wuchs­re­gis­seur:innen mehr Sicht­bar­keit verschaffen soll.

Klaues Verfil­mung von Rietz­schels Coming-of-Age-Geschichte zweier Brüder und ihrer Radi­ka­li­sie­rung in der säch­si­schen Provinz war einer der stärksten Filme dieser Sektion. Und das nicht nur wegen des groß­ar­tigen Ensembles, bei dem auch – für deutsche Verhält­nisse nicht selbst­ver­s­tänd­lich – die Kinder­dar­steller über­zeugen.

Und dann ist da natürlich noch diese umwer­fende Geschichte aus der Lausitz über geplatzte Träume, versehrte Lebens­li­nien und ein abge­hängtes Deutsch­land, das sich den Rassismus gewis­ser­maßen selbst erfindet, um sich nicht suizi­dieren zu müsen – wozu fast jeder Charakter in diesem Film allen Grund hätte: Denn Familie Zschor­nack – Vater Stefan (Christian Näthe), Mutter Sabine (Anja Schneider) und die zwölf- und neun­jäh­rigen Brüder Philipp (Anton Franke) und Tobias (Camille Moltzen) werden in ihrem neuen, selbst­ge­bauten Haus nicht glücklich. Nicht nur, weil es immer wieder Kurz­schlüsse gibt und die Toilette noch im Garten steht, sondern auch weil Stefan irgend­wann seinen Job als Elek­triker verliert und Sabine als Kran­ken­schwester eine Doppel­schicht nach der nächsten fahren muss, um die Finanzen im Lot zu halten. Die Kinder regis­trieren den zuneh­menden Alko­ho­lismus des Vaters und den Burn-Out der Mutter mit stillem Entsetzen, mehr noch, als die elter­liche Liebe ebenfalls auf der Strecke bleibt, von ein paar Ausnahmen abgesehen. Nicht einmal die Großel­tern vermögen die schwarzen Löcher dieser undank­baren Sozia­li­sie­rung zu flicken.

Das neue Haus mit allen seinen Unzu­läng­lich­keiten steht dabei als mahnendes Symbol für das neue Land, die Zeit nach der Abwick­lung der DDR. Ein Haus, das voller Verspre­chen gebaut wurde, aber ein nicht funk­tio­nie­render Fremd­körper bleibt, in dem sich die Kern­fa­milie immer mehr verliert.

Klaue gelingt es jedoch trotz des indi­vi­du­ellen Verlustig-Gehens ihrer Charak­tere ihre Geschichte geschlossen zu erzählen, mit eindrück­li­chen Bildern einer länd­li­chen und klein­s­täd­ti­schen Tristesse, die von der Kamera Florian Brückners immer wieder in wunder­baren Einstel­lungen voll schwarzer Magie fixiert wird. Diese Bilder­welten inter­agieren mit den inneren Welten der Prot­ago­nisten in unheim­li­cher Weise, legt die Einsam­keit der land­schaft­li­chen und klein­s­täd­ti­schen Tristesse doch immer auch die Einsam­keit ihrer Bewohner bloß und erklärt auf poetische Weise, wie und warum sie scheitern und warum Radi­ka­li­sie­rung und Frem­den­feind­lich­keit in einem bildungs­fernen Milieu erst unmerk­lich und dann wie Unkraut gedeiht.

Klaue macht dabei deutlich, dass es vor allem die Sprache ist, die hier fehlt, die verloren gegangen ist, oder die es viel­leicht nicht gab, auch zu DDR-Zeiten nicht. Denn niemandem in Mit der Faust in die Welt schlagen gelingt es, über das zu sprechen, was hier, was ihm oder was allen wider­fährt und passiert. Dieses Schweigen unter einer Glas­glocke ist von Klaue bis ins letzte Detail subtil insze­niert, die Leer­stellen sind pointiert platziert und mit dem Zeit­sprung aus dem Jahr 2006 in das Jahr der großen Flücht­lings­krise 2015 – das in Lukas Rietz­schel aller­dings deutlich mehr Raum bekommt – wird dann auch der ewige Schatten der DDR-Sozia­li­sie­rung abge­worfen.

Dass dieser Sprung die Dinge nicht besser macht, ist das eigent­liche Drama dieses dichten und beklem­menden Films und natürlich unserer Gegenwart. Denn was allein bleibt, ist das dunkle Nichts des zu gebä­renden Weltgotts.