Deutschland 2024 · 95 min. · FSK: ab 16 Regie: Hendrik Löbbert Drehbuch: Hendrik Löbbert, Caroline Ektander Kamera: Hajo Schomerus Schnitt: Yana Höhnerbach |
![]() |
|
Auch Schreibtischarbeit gehört zum Metier | ||
(Foto: mindjazz pictures) |
»Ist nicht das Gedächtnis unabtrennbar von der Liebe, die bewahren will, was doch vergeht?«
– Adorno
»Memory« hat jeder schon mal gespielt. Manche spielen es besser, manche schlechter. Wir alle kennen den Effekt, uns ganz sicher zu sein, welches Bild da gleich zum Vorschein kommt, aber...
Können wir unserem Gedächtnis trauen? Auch auf lange Sicht? Wie beweisbar sind Erinnerungen? Und ist es möglich, dass sich falsche Erinnerungen in unser Gedächtnis einnisten und von ihm irgendwann für wahr gehalten werden? Diese Frage ist nicht nur Thema von Paranoia-Thrillern; sie ist ernst gemeint und berührt unser elementares Menschenbild, wie auch sehr konkret zum Beispiel die Fragen von Gerichtsprozessen.
Können wir Zeugenaussagen trauen? Ist es möglich, dass Menschen im
besten Glauben, Tatsachen zu berichten, Phantasien erzählen?
Davon handelt dieser Film. Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung von Hendrik Löbbert stellt eine der bekanntesten Gedächtnisforscherinnen der Welt ins Zentrum: Seit den 1970er Jahren erforscht Loftus die Grenzen und Fallstricke der menschlichen Erinnerung und zählt damit zu den einflussreichsten Psychologinnen weltweit. Sie hat Menschen erlebt, die Morde gestanden, die sie nie begangen hatten, oder von Missbraucherfahrungen berichten, die nie geschehen sind.
Basierend auf Loftus’ Forschung wirft Memory Wars einen eindringlichen Blick auf das Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit – und rückt dabei die Macht der Erinnerung ins Zentrum. Das Gedächtnis ist kein Archiv, sondern ein lebendiges Medium ständigen Wandels.
Ihre Arbeit führte Loftus in brisante Gerichtsverfahren, darunter die Fälle Michael Jackson, Kevin Spacey und Harvey Weinstein und andere, in denen es um Mord, sexuellen Missbrauch und systematische Gewalt geht. In diesen medial aufgebauschten und inszenierten, von Vorverurteilung und öffentlicher Empörung flankierten Prozessen hinterfragt Elizabeth Loftus den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen und regt damit eine grundsätzliche Debatte um die Beweiskraft von Erinnerungen an.
+ + +
Insgesamt weit über zweihundert Mal saß Elizabeth Loftus als Sachverständige im Gerichtssaal, in der Regel für die Verteidigung. Über Schuld habe sie nicht zu bestimmen, sagt sie.
Die heute emeritierte Psychologie- und Jura-Professorin ist aber überzeugt: Erinnerung ist »beeinflussbar« und »formbar« (suggestible and malleable) – und sie ist durch gezielte Fragetechniken zu manipulieren. Durch das Einschmuggeln suggestiver Worte in der Fragestellung ließen sich die Erinnerungen und Einschätzungen der Befragten leicht verändern. Dass sie dabei auch die heute sehr modische These der »repressed memory« ablehnt (also der nichtexistenten Erinnerungen, die angeblich durch Traumata unterdrückt wurden, und erst im Nachhinein therapeutisch (re-)aktiviert werden können), brachte sie in Konflikt mit jenen, die »Opfer«-Aussagen als unbezweifelbar charakterisieren.
Hendrik Löbberts Dokumentarfilm gibt der Forscherin Raum, um ihre Thesen zu entfalten, und zeigt die Schmähungen und Kampagnen all jener, die Gegenargumente nicht hören wollen.
+ + +
Natürlich bewirkt Loftus’ Verunsicherungsarbeit auch, dass Schuldige schwerer zu verurteilen sind, dass Zeugen, die die Wahrheit sagen, nicht geglaubt wird.
Aber ist das nicht leichter zu ertragen als Unschuldige im Gefängnis? Es sagt viel über unser Rechtsverständnis und die Veränderungen im demokratischen Menschenbild aus, dass diese These heute längst nicht von allen akzeptiert wird, dass manche in der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung nur Täterschutz
und intellektuellen Luxus erkennen können.
Und Gerechtigkeit für alle! Auch und gerade für die Vorverurteilten, die Opfer des medialen Mobs.