Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung

Memory Wars

Deutschland 2024 · 95 min. · FSK: ab 16
Regie: Hendrik Löbbert
Drehbuch: ,
Kamera: Hajo Schomerus
Schnitt: Yana Höhnerbach
Memory Wars
Auch Schreibtischarbeit gehört zum Metier
(Foto: mindjazz pictures)

Unsichere Erinnerungen

Unbequeme Wahrheiten: Hendrik Löbberts Dokumentarfilm über die Psychologin Elizabeth Loftus

»Ist nicht das Gedächtnis unab­trennbar von der Liebe, die bewahren will, was doch vergeht?«
– Adorno

»Memory« hat jeder schon mal gespielt. Manche spielen es besser, manche schlechter. Wir alle kennen den Effekt, uns ganz sicher zu sein, welches Bild da gleich zum Vorschein kommt, aber...

Können wir unserem Gedächtnis trauen? Auch auf lange Sicht? Wie beweisbar sind Erin­ne­rungen? Und ist es möglich, dass sich falsche Erin­ne­rungen in unser Gedächtnis einnisten und von ihm irgend­wann für wahr gehalten werden? Diese Frage ist nicht nur Thema von Paranoia-Thrillern; sie ist ernst gemeint und berührt unser elemen­tares Menschen­bild, wie auch sehr konkret zum Beispiel die Fragen von Gerichts­pro­zessen.
Können wir Zeugen­aus­sagen trauen? Ist es möglich, dass Menschen im besten Glauben, Tatsachen zu berichten, Phan­ta­sien erzählen?

Davon handelt dieser Film. Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erin­ne­rung von Hendrik Löbbert stellt eine der bekann­testen Gedächt­nis­for­sche­rinnen der Welt ins Zentrum: Seit den 1970er Jahren erforscht Loftus die Grenzen und Fall­stricke der mensch­li­chen Erin­ne­rung und zählt damit zu den einfluss­reichsten Psycho­lo­ginnen weltweit. Sie hat Menschen erlebt, die Morde gestanden, die sie nie begangen hatten, oder von Miss­brau­ch­er­fah­rungen berichten, die nie geschehen sind.

Basierend auf Loftus’ Forschung wirft Memory Wars einen eindring­li­chen Blick auf das Span­nungs­feld zwischen Wahrheit und Gerech­tig­keit – und rückt dabei die Macht der Erin­ne­rung ins Zentrum. Das Gedächtnis ist kein Archiv, sondern ein leben­diges Medium ständigen Wandels.

Ihre Arbeit führte Loftus in brisante Gerichts­ver­fahren, darunter die Fälle Michael Jackson, Kevin Spacey und Harvey Weinstein und andere, in denen es um Mord, sexuellen Miss­brauch und syste­ma­ti­sche Gewalt geht. In diesen medial aufge­bauschten und insze­nierten, von Vorver­ur­tei­lung und öffent­li­cher Empörung flan­kierten Prozessen hinter­fragt Elizabeth Loftus den Wahr­heits­ge­halt von Zeugen­aus­sagen und regt damit eine grund­sätz­liche Debatte um die Beweis­kraft von Erin­ne­rungen an.

+ + +

Insgesamt weit über zwei­hun­dert Mal saß Elizabeth Loftus als Sach­ver­s­tän­dige im Gerichts­saal, in der Regel für die Vertei­di­gung. Über Schuld habe sie nicht zu bestimmen, sagt sie.

Die heute emeri­tierte Psycho­logie- und Jura-Profes­sorin ist aber überzeugt: Erin­ne­rung ist »beein­flussbar« und »formbar« (sugges­tible and malleable) – und sie ist durch gezielte Frage­tech­niken zu mani­pu­lieren. Durch das Einschmug­geln sugges­tiver Worte in der Frage­stel­lung ließen sich die Erin­ne­rungen und Einschät­zungen der Befragten leicht verändern. Dass sie dabei auch die heute sehr modische These der »repressed memory« ablehnt (also der nicht­exis­tenten Erin­ne­rungen, die angeblich durch Traumata unter­drückt wurden, und erst im Nach­hinein thera­peu­tisch (re-)aktiviert werden können), brachte sie in Konflikt mit jenen, die »Opfer«-Aussagen als unbe­zwei­felbar charak­te­ri­sieren.

Hendrik Löbberts Doku­men­tar­film gibt der Forscherin Raum, um ihre Thesen zu entfalten, und zeigt die Schmähungen und Kampagnen all jener, die Gegen­ar­gu­mente nicht hören wollen.

+ + +

Natürlich bewirkt Loftus’ Verun­si­che­rungs­ar­beit auch, dass Schuldige schwerer zu verur­teilen sind, dass Zeugen, die die Wahrheit sagen, nicht geglaubt wird.
Aber ist das nicht leichter zu ertragen als Unschul­dige im Gefängnis? Es sagt viel über unser Rechts­ver­s­tändnis und die Verän­de­rungen im demo­kra­ti­schen Menschen­bild aus, dass diese These heute längst nicht von allen akzep­tiert wird, dass manche in der rechts­staat­li­chen Unschulds­ver­mu­tung nur Täter­schutz und intel­lek­tu­ellen Luxus erkennen können.

Und Gerech­tig­keit für alle! Auch und gerade für die Vorver­ur­teilten, die Opfer des medialen Mobs.