Der Meister und Margarita

Master i Margarita

Russland/Kroatien 2023 · 156 min. · FSK: ab 12
Regie: Michael Lockshin
Drehbuch: ,
Kamera: Maxim Schukow
Darsteller: August Diehl, Julia Snigir, Jewgeni Tsyganow, Claes Bang, Juri Kolokolnikow u.a.
Der Meister und Margarita
Ein Grenzgang auf allen Ebenen...
(Foto: Capelight / Central)

Der Geist, der stets verneint

Michail Bulgakows Klassiker »Der Meister und Margarita« führt in einer fulminanten filmischen Neuauflage von Michael Lockshin den Stalinismus ad absurdum. Aktueller denn je

Sprechen Sie nie mit Unbe­kannten.

Denn im Zwei­fels­fall gerät Ihr Leben dann unter die Räder, und schluss­end­lich – Ihr Kopf weg vom Rumpf. Das ist zumindest eine Möglich­keit, wenn der Teufel wieder einmal auf Erden seine Kreise zieht. Genau das tut er nun aber wieder, gespielt von August Diehl in der neuesten Verfil­mung von Michail Bulgakovs Klassiker »Der Meister und Margarita«.

Moskau, irgend­wann in den 30er Jahren, der Blütezeit des Stali­nismus. Die Stadt wird grund­le­gend umgebaut und umstruk­tu­riert, und auch in der Gesell­schaft ist kein Stein auf dem anderen. Thea­ter­s­tücke, deren Inhalt eben noch erlaubt war, werden plötzlich abgesetzt, aus einer Wohnung verschwinden die Bewohner spurlos oder finden sich plötzlich auf Jalta wieder. Gleich­zeitig leidet Pontius Pilatus unter der Hitze und ein Schrift­steller erzählt im Irrenhaus seine Geschichte, während er schreibt.

In diesem Chaos nun taucht plötzlich ein Mann auf, aalglatt, elegant, auf schwer beschreib­liche Weise über allem erhaben, gleich­zeitig beob­ach­tend und doch massiv in die Gescheh­nisse eingrei­fend. Er nennt sich Voland, Professor für Schwarze Magie.

Diese zugegeben sehr verwir­rende Handlung wird in dieser filmi­schen Neuauf­lage in der Reihen­folge ein bisschen verändert, wodurch sie etwas zugäng­li­cher ist als die Roman­vor­lage, die eine hoch­gradig phan­tas­ti­sche, teils groteske und bitter­böse Satire auf den Stali­nismus präsen­tiert. Der Regisseur Michael Lockshin wurde in den USA geboren, emigrierte er als Kind in den 1980ern mit seinen Eltern in die Sowjet­union. Tatsäch­lich machen sich die Einflüsse der beiden Pole Ost und West auch im Film bemerkbar: Elemente der russi­schen oder vielmehr sowje­ti­schen Kultur und Ideologie sind einge­flochten, wobei die kompli­zierte und viel­schich­tige Handlung voller Anspie­lungen und Impli­ka­tionen so darge­stellt sind, dass sie auch von Leuten mit wenigen oder keinen Vorkennt­nissen verstanden werden können. Leider werden in der deutschen Synchro­ni­sa­tion Schrift­züge nicht in Unter­ti­teln übersetzt, weshalb einige Anspie­lungen für das nicht-russisch­spra­chige Publikum verloren gehen.

Bulgakows Roman konnte nach seiner Fertig­stel­lung nicht direkt veröf­fent­licht werden, zu brisant, kritisch und gefähr­lich war der Inhalt – kurz gesagt war dieser Roman alles, was er nicht sein durfte. Wegen der sehr tref­fenden Beschrei­bung der stali­nis­ti­schen Zustände fand er jedoch, als er dann – in den offi­zi­ellen Ausgaben gekürzt und zensiert – erschien, sofort eine begeis­terte Leser­schaft vor. Als der Film, der bereits 2022 in Russland in die Kinos hätte kommen sollen, 2024 tatsäch­lich dort erschien, strömten rund sechs Millionen Menschen ins Kino. Jedoch zeigten sich auch dann leichte Ähnlich­keiten zum Roman.

Die Euphorie hielt nämlich nicht allzu lange an, denn einige soge­nannte patrio­ti­sche Kommen­ta­toren meldeten sich vorwie­gend in den sozialen Netz­werken zu Wort. Sie erei­ferten sich über zu viele versteckte Anspie­lungen an die heutige Realität und nannten den Regisseur einen Gegner des Staates, manche setzten auf ein baldiges Verbot des Films. Lockshin hatte sich öffent­lich an die Seite der Ukraine gestellt; dementspre­chend war beim Kinostart auch sein Name nicht mehr auf Plakaten zu sehen. Unter diesen Umständen ist es inter­es­sant, dass der Film überhaupt in Russland in den Kinos anlaufen konnte.

Der Vorwurf der Ultra­pa­trioten, es gäbe zu viele Anspie­lungen auf die zeit­genös­si­sche Realität, ist durchaus inter­es­sant. Denn diese Adaption stellt innerhalb der Handlung keinerlei direkten, offen­sicht­li­chen Bezug zum Russland des 21. Jahr­hun­derts im Puti­nismus her; vielmehr finden sich häufig sozia­lis­ti­sche Zeichen, die aus den 30er Jahren stammen, die aber in der heutigen Zeit nicht minder aktuell sind.

Das Stadtbild des stets dunklen Films, der im Verlauf zunehmend Rotak­zente als dominante Farbe hinzu­ge­winnt, ist häufig sichtlich mit dem Computer animiert. Auch wenn das zusammen mit der sich etwas arg wieder­ho­lenden Musik manchmal etwas stören kann, so zeigt es doch einen Punkt sehr schön: Die Grenzen zwischen den einzelnen Hand­lungs­strängen verschwimmen, und nicht nur der Zuschauer kann nicht mehr genau sagen, was Realität und was Fiktion ist. Auch kann die Stadt dadurch modi­fi­ziert werden: Der über 400m große »Palast der Sowjets« mit einer 57 bis 75m großen Lenin-Statue dominiert alles um sich herum – jedoch wurde er in echt nie fertig­ge­stellt. Inter­es­san­ter­weise wurde für dieses Bauwerk die Christ-Erlöser-Kathe­drale gesprengt, was sich mit dem strikten konse­quenten Ablehnen jeglicher Art von Glauben seitens der Figuren gut ergänzt. In Sicht­weite ist die Statue »Arbeiter und Kolchos­bäuerin« (dem kino­be­geis­terten Publikum bekannt als die Statue von Mosfilm), die am Eingang zur Ausstel­lung der Errun­gen­schaften der Volks­wirt­schaft steht und den Sozia­lismus ebenso verkör­pert wie der »Palast der Sowjets«. Dass diese geogra­phisch nicht so nah beiein­an­der­liegen, ist ein weiteres inter­es­santes visuelles Instru­ment, um die allge­gen­wär­tige Ideologie zu verdeut­li­chen.

Die Aktua­lität von Der Meister und Margarita tritt den ganzen Film über eindrück­lich zum Vorschein, auch wenn auf offen­sicht­liche Hinweise dies­be­züg­lich verzichtet wird. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, (Fieber-)Traum und Wirk­lich­keit. Um es mit Pilatus zusagen: »Was ist Wahrheit?« – nicht immer das, was eine Ideologie vorschreibt.