Megalomaniac

Belgien 2022 · 105 min. · FSK: ab 18
Regie: Karim Ouelhaj
Drehbuch:
Kamera: François Schmitt
Darsteller: Eline Schumacher, Benjamin Ramon, Hélène Moor, Wim Willaert, Raphaële Bruneau u.a.
Selten stimmungsvolles und eindringliches Genre-Kino...
(Foto: Indeed Film/Drop-Out)

Das Erbe eines Monstrums

Karim Ouelhaj erzählt in Megalomaniac einen brutalen psychologischen Leidenstrip, inspiriert von einem wahren belgischen Kriminalfall

Vom Grauen der Vererbung hat das Horror-Genre längst Notiz genommen. Schon länger sucht es den Schrecken innerhalb der eigenen Familie und der gene­rellen Weiter­gabe von Verseh­rungen und Traumata. Was frühere Gene­ra­tionen hinter­lassen, welche Verwüs­tungen sie in der Geschichte ange­richtet haben, sucht nun die Gegenwart heim. Das vermeint­lich Über­wun­dene steckt tiefer in den eigenen Knochen, als man es gern wahrhaben möchte. Populäre Horror­filme wie Insidious, Heredi­tary oder jüngst Talk to Me und Smile haben aus solchen Ängsten gekonnt Profit und Nerven­kitzel geschlagen. Was den belgi­schen Schocker Mega­lo­ma­niac nun auszeichnet und abhebt, ist nicht nur seine wider­spens­tige Härte, sondern die beacht­liche, heraus­for­dernde Stil­si­cher­heit, mit der er psycho­lo­gi­sche Zustände in eine aufrei­bende Audio­vi­sua­lität übersetzt.

Karim Ouelhaj greift den realen Fall des »Schläch­ters von Mons« auf, welcher in Belgien Mitte der 1990er-Jahre mehrere Menschen ermordete und ihre Leichen­teile am Straßen­rand depo­nierte. Ouelhaj liest diesen ungelösten Fall als kultu­relle Zäsur und spinnt ihn weiter: In seinem Horror­drama leben die beiden Haupt­fi­guren Felix und Martha in einem herun­ter­ge­kom­menen Anwesen, dem ehema­ligen Haus des Seri­en­mör­ders. Felix und Martha sind dessen Nach­kommen, gezeugt in Gewalt, und die Bruta­lität ihres Vaters will einfach nicht verschwinden.
Der Mörder selbst spukt noch als aufge­dun­sener, glatz­köp­figer Hüne durch Ouelhajs Film. Als Schlund, der Blut über die Leinwand sprudeln lässt, als Entität, die vom Himmel schwebt, oder auch als rastloser Untoter, der aus dem Gedärm des finsteren Hauses empor­kriecht. Sein Sohn scheint ihm nach­zu­ei­fern: eine fahle Gestalt, die Benjamin Ramon mit abra­sierten Augen­brauen und dämo­ni­scher Präsenz verkör­pert. Nachts zieht er aus, um Frauen zu ermorden. Das Töten scheint in seiner DNA verankert zu sein. Seine Beute bringt er mit nach Hause, während Martha in einer Fabrik putzen geht, um nach außen hin einen gewöhn­li­chen Alltag zu leben.

Zwischen True-Crime und Spuk­ge­schichte

Bisweilen erinnert Mega­lo­ma­niac an grausame Märchen. Schau­plätze eines Überall und Nirgendwo, die Land­schaft karg und bedroh­lich. Zwei Geschwister versuchen zu überleben. Im Haus ächzen die Dielen, Fenster sind verram­melt und verrie­gelt. Altes Mobiliar, Gemälde und Gegen­s­tände hüten ihre Geheim­nisse. Fantas­ti­sche Elemente, Geis­ter­ge­stalten, die in den Gängen wandeln, schwanken zwischen dem Para­nor­malen und den Wahn­vor­stel­lungen einer trau­ma­ti­sierten Psyche, die sich von den Bluttaten ihres Stamm­baums nicht mehr rein­wa­schen kann. Karim Ouelhaj durch­kreuzt die üblichen Ausschlach­tungen eines True-Crime-Stoffes, indem er über­sinn­li­ches und reales Grauen mitein­ander verwebt und es abstra­hiert.

Mega­lo­ma­niac nutzt den histo­ri­schen Krimi­nal­fall letztlich als Stich­wort­geber und fächert ihn zu einer eiskalten Diagnose von Macht­ver­hält­nissen auf. Die Gewalt patri­ar­chaler Struk­turen ist das eine: die Perver­sion des Frau­en­mör­ders, der Mensch und Welt für seine Trieb­be­frie­di­gung und Macht degra­diert. Die Weiter­gabe seines Verhal­tens an den männ­li­chen Erben, der wiederum sein eigenes Reich errichtet, dessen Regeln seine Schwester Martha zu befolgen hat. Fürsorge und Bevor­mun­dung verschmelzen in Mega­lo­ma­niac zur verqueren inzes­tuösen Fantasie. Éline Schu­ma­cher spielt diese Martha als eine Frau, die, nicht zuletzt unter Aufsicht ihrer Sozi­al­ar­bei­te­rinnen, einen Schein von Norma­lität zu verkör­pern hat, aber irgend­wann auszu­loten beginnt, inwiefern sie den Spieß umkehren und selbst Gewalt ausüben kann.

In der Fabrik ist Martha den Schikanen und sexuellen Über­griffen der Arbeiter ausge­setzt. Immer findet man jemanden, den man mit Füßen treten und miss­brau­chen kann, auch wenn man selbst bereits ganz unten ange­kommen ist. Geschwächte fallen über andere her, weil sie es können, und wiederum andere passen sich dem an. Ein Drang nach Unter­wer­fung scheint das soziale Gefüge von innen zu vergiften, gefestigt und norma­li­siert von Still­schweigen und Akten des Wegsehens. Quälend ist Mega­lo­ma­niac, weil er seine Bruta­lität selbst im Anstoß einer Rache, aus der vergleich­bare Filme gern ihr erlö­sendes Moment speisen, nur als weiteren aussichts­losen Schritt in Richtung Unmensch­lich­keit zeigt.

Rohe Gewalt und surreale Schönheit

Die Familie, die sich über 100 Minuten hinweg neu formiert, findet sich jenseits aller Grenzen, in ihrer eigenen Fins­ternis wieder. Man ist so lange im Kreislauf von Domi­nanz­ge­baren und Unter­drü­ckungs­me­cha­nismen gefangen, bis man selbst das Barba­ri­sche ange­nommen hat. Man kann sich dem starren und gänzlich ironie­freien Nihi­lismus von Mega­lo­ma­niac natürlich kopf­schüt­telnd entziehen, will man seine Hürde leicht umgehen. Die Frage nach einer geerbten Deter­mi­nie­rung des Subjekts, die Frage, ob sich aus dem Konkreten tatsäch­lich Allge­meines über die mensch­liche Natur und soziale Struk­turen ableiten lässt, wirft der Film auf und lässt sie offen. Reichlich unter­kom­plex verhan­delt und behauptet muten viele Szenen an, gewiss, aber sie besitzen kaum zu leugnende, unmit­tel­bare Quali­täten, wie Karim Ouelhaj den Horror in Szene setzt, wie er einem die Orien­tie­rung raubt, einen verun­si­chert.

Besitzt man einen Rest an Respekt für das Hässliche und Schmut­zige als subver­sive ästhe­ti­sche Kategorie, wartet dieser Film mit einigen der inten­sivsten Eindrücke des Kino­jahres auf. Sie wissen ihre Gräuel mal ganz intuitiv, schroff, perfor­mativ mit verwa­ckelten, unscharfen Aufnahmen zu trans­por­tieren und dann wieder in auskos­tenden Zeitlupen in etwas irri­tie­rend Anmutiges, in surreale Schönheit zu verwan­deln. Verlet­zungen und Körper­zer­störungen müssen dafür noch nicht einmal allzu explizit sein – es ist die perma­nente, unauf­gelöste Atmo­sphäre der Gewalt, die so erdrü­ckend über das Publikum herfällt. Die Erbar­mungs­lo­sig­keit, mit der bestimmte Einstel­lungen die Dauer ihrer Folter ertragen, um zu einem reflek­tie­renden Sehen und einer Konfron­ta­tion mit dem Abgrün­digen einzu­laden.

Nicht umsonst wird Mega­lo­ma­niac in eine Reihe mit Vertre­tern der filmi­schen New Extremity der frühen 2000er gestellt. Vergleiche mit Pascal Laugiers Martyrs, den etwa der Verleih als Referenz nennt, oder Ghostland als aktu­el­leres Beispiel sind sicher nicht abwegig. Mega­lo­ma­niac hütet ihr radikales, blut­ge­tränktes Erbe mit großem insze­na­to­ri­schen Talent und Varia­ti­ons­ver­mögen. Wenn hier Gespenster in flackernden Gewölben lauern, Wände ihre Augen aufschlagen, das wieder­ge­bo­rene Böse wörtlich aus der Dunkel­heit zurück­blickt, wenn sich eine Sexszene zur satanisch konno­tierten Orgie wandelt, wenn Figuren in der expres­siven Beleuch­tung wie unbe­hag­liche Wachs­fi­guren erscheinen oder mit geschickten Kame­ra­win­keln und Ausschnitten in Ecken gedrängt werden, bis ihnen jeder Wohnraum abhan­den­kommt – dann nähert sich das den bildenden Künsten mit einem Form­be­wusst­sein an, welches das Genrekino selten so stim­mungs­voll und eindring­lich vorweisen kann.