USA 2014 · 97 min. · FSK: ab 6 Regie: Jorge R. Gutierrez Drehbuch: Jorge R. Gutierrez, Doug Langdale Musik: Gustavo Santaolalla Schnitt: Ahren Shaw |
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Im Jenseits des qualitativen Mittelmaßes |
Nicht in allen Gesellschaften wird der Tod nur mit Trauer und Schmerz assoziiert und als düsteres Tabuthema am liebsten ausgeblendet. Während das Sterben in der westlichen Kultursphäre möglichst aus dem Alltag verbannt wird, finden sich in anderen Kulturen in den Wohnungen kleine Familienschreine für die Ahnen oder werden ihnen zu Ehren fröhliche Feste veranstaltet. Auch in Mexiko kann man eine gänzlich andere Erinnerungskultur vorfinden, welche im farbenfrohen Tag der Toten ihren alljährlichen Höhepunkt findet. Am Día de los Muertos kommen Familien zusammen um sich gemeinsam an die Verstorbenen zu erinnern und zu feiern. Regisseur Jorge R. Gutiérrez, der bisher vor allem als Charakterdesigner für Animationsserien in Erscheinung trat, widmet sich in seinem visuell überbrodelnden Spielfilmdebüt Manolo und das Buch des Lebens eben diesen besonders farbenfrohen Festlichkeiten und zelebriert dabei das mexikanische Brauchtum und die Durchlässigkeit zwischen den Welten der Lebenden und der Toten.
Um den Einstieg in das fremde mexikanisch geprägte Universum der wilden Ornamente, unsterblichen Liebe und hoch pokernden Todesgottheiten zu erleichtern, wird die Handlung des Animationsfilms von einem Museumsbesuch einiger Kinder eingerahmt, bei dem ihnen eine engagierte Museumsführerin aus dem Buch des Lebens die ereignisreiche Lebensgeschichte Manolos vorliest und die kleinen Museumsbesucher damit für ein Reich begeistert, in welchem menschlich erscheinende Marionetten den Spielchen von intriganten Gottheiten ausgeliefert sind: Drei befreundete Kinder aus einem kleinen mexikanischen Dorf – der leidenschaftliche Gitarrenspieler Manolo, der ungestüme Joaquin und die süße Maria – werden Teil einer unverantwortlichen Wette, in welcher es um die Herrschaft in zwei grundverschiedenen Todesreichen geht. So wettet die schöne Todesgöttin La Muerte, die das kunterbunte Reich der Erinnerungen verwaltet, mit dem düsteren Herrscher des Landes des Vergessens Xibalba, ob Maria ihr Herz letztlich Manolo oder Joaquin schenken wird. Während La Muerta sich aber an die Regeln hält und auf den gutherzigen Manolo und seinen Charme vertraut, steckt Xibalba seinem Kandidaten Joaquin ein Medaillon zu, das ihn quasi unbesiegbar macht und somit zum umjubelten Helden der Stadt aufsteigen lässt. Alles läuft auf das Werben der beiden Freunde um die sich als Erwachsene extrem feministisch gebende und dann doch in die Rolle des lebendigen Pokals zurückfallende Maria hinaus.
So wie der Tag der Toten verbindet auch der visuelle Stil des Debütfilms von Jorge R. Gutiérrez makabre mit beschwingten Elementen und entführt in eine berauschende Welt aus bunten Farben, verspielten Ornamenten und strahlenden Totenschädeln. Insbesondere die beiden Totenwelten, die fröhliche Welt der Erinnerungen, in welchem die Verstorbenen eine Fiesta nach der anderen feiern, und die düster-trübselige Welt der Vergessenen sind animationstechnisch wunderbar umgesetzt und sprühen vor Einfallsreichtum. Die unglaublich verspielte, opulente Optik des Werkes unterstreicht dabei trefflich die schräg-unheimlichen Aspekte der Totenkultgeschichte.
Während die Story sich in vorhersehbaren Bahnen bewegt, geht der Film in puncto Figurendesign eigene Wege und vertraut auf eine innovative Holzfigurenoptik, welche die Marionettenhaftigkeit der Menschen in Anbetracht der göttlichen Macht unterstreicht und den klar gegliederten, eckigen Figuren einen eigenwilligen Charme verleiht. Doch trotz visueller Verspieltheit und ironischem Umgang mit mexikanischen Traditionen und Stereotypen wie Machismo, Stierkampf oder Mariachi-Musik, vermag der rasant inszenierte Animationsfilm trotzdem nicht wirklich zu fesseln, was an seiner überhastet-unsteten Erzählweise liegt. So fehlen bei Manolo und das Buch des Lebens die ruhigen Momente – die Verschnaufpausen, in denen das Geschehen einmal reflektiert werden könnte. Statt etwas Zeit in die genauere Betrachtung der spannenden Totenwelten oder in die Charakterentwicklung der drei zentralen Figuren zu investieren, drückt Gutiérrez beständig auf das Tempo und lässt ein wahres Heer an albernen Sidekicks auftreten, die am laufenden Band Sprüche und One-Liner in das Geschehen einwerfen, ohne dabei wirklich einen humorvollen Nerv zu treffen. Den durch das farbenprächtige Szenario hetzenden Holzfiguren kann so kein wirkliches Leben eingehaucht werden.
Auch wird versäumt der allgegenwärtigen Todesthematik bei aller Ausgelassenheit noch das nötige Fünkchen Ernst einzuimpfen, was Regisseur Tim Burton in dem ebenfalls zwischen Leben und Tod hin- und her springenden Corpse Bride weitaus besser gelang. Gutiérrez lässt dagegen im Laufe seines Filmes die Verbindungspunkte zwischen den Parallelwelten der Lebenden und der Toten immer durchlässiger und unlogischer werden, was dem Tod irgendwann tragischerweise etwas Belangloses verleiht. Dabei geht es beim mexikanischen Brauchtum rund um den Tag der Toten, trotz bunter Dekorationen und vordergründiger Ausgelassenheit, doch gerade nicht um eine Banalisierung des Todes, sondern soll durch eine bewusstere Erinnerungskultur eine stärkere Einbindung der geliebten Verstorbenen in das Leben der Hinterbliebenen ermöglicht werden. So kommen die durch eine überhastete Inszenierung eilenden hölzernen Figuren in Manolo und das Buch des Lebens letztlich auch nur im Jenseits des qualitativen Mittelmaßes an.