Marco

Indien 2024 · 145 min.
Regie: Haneef Adeni
Drehbuch:
Kamera: Chandru Selvaraj
Darsteller: Unni Mukundan, Yukti Thareja, Kabir Duhan Singh, Siddique, Jagadish u.a.
Marco
Unnahbar, banal und oberflächlich...
(Foto: Busch Media Group)

Eine neue Action-Ikone?

Marco sorgt schon seit Monaten aufgrund seiner Brutalität für Aufsehen. Der Film wird seinem Ruf gerecht!

Der Titelheld wird schon zur Legende, bevor er die Leinwand betritt. Gleich während des Vorspanns wird Marco besungen. Zittern und Lobprei­sung werden eins. »Ein wildes Land voller Schlangen und Bestien/ Wir brauchen einen Anführer/ Jemanden, der uns schützt und führt«, heißt es in dem Lied. »Unser Ziel ist Gerech­tig­keit und Rache/ Unser Weg ist die Vernich­tung des Feindes« Der brutale Kitsch solcher Lied­zeilen deutet bereits den Gestus des bevor­ste­henden Films an. Marco ist ein unge­bremstes Blut- und Waffen­spek­takel, das seinen (Anti-)Helden­kult auf nied­rig­schwel­liger Ebene zele­briert. Einer für die Familie, einer gegen den Rest der Welt. Einer, dem man sich eigent­lich nur unter­werfen kann, will man nicht selbst als Schlacht­vieh enden. Die ästhe­ti­sche Lust am Unmo­ra­li­schen treibt diesen Action­film von einem Kampf und einem Leiden­strip zum nächsten, bis rationale Gedanken ohnehin keine Rolle mehr spielen.

Marco führt in die Welt der krimi­nellen Clans und Fami­li­en­bünde. In seiner Handlung wuseln so viele Figuren durch­ein­ander, dass man lange kaum zwischen Statisten, Haupt- und Neben­fi­guren unter­scheiden kann. Eine Zuordnung, wer hier mit wem und warum im Bunde oder Clinch liegen soll – das mögen andere besser zusam­men­fassen können. Inter­es­sant ist dabei vor allem die glotzende Ästhetik. Menschen wirken schon in ihrer Expo­si­tion wie starre Statuen, als sei ihr Mythos immer schon in Stein gemeißelt. Es geht mehr um ein Bild als einen Charakter. Das sind vor allem Reprä­sen­tanten von Macht und ihrer Attitüde. Sie erscheinen in expres­siven Licht­würfen, thronen instal­lativ in Räumen. Die Kamera kreist um ihre Körper. Szenen werden dauernd in Zeitlupe verlang­samt. Figuren werden zu musealen Objekten, die nach und nach zerschlagen werden können.

Dabei ist das grund­le­gende Szenario eigent­lich ganz simpel und hane­büchen gestrickt, lässt man all die Verwick­lungen am Rande mal beiseite. Ein blinder junger Mann wird entführt und ermordet. Man wirft ihn in ein Säure­be­cken – diese frühe Szene ist grausam, aber ein vergleichs­weise harmloser Vorge­schmack – und nun sinnt sein geliebter Bruder Marco auf Rache. »Wer der Familie schadet, wird getötet. Egal, ob er von innen oder außen kommt.«

Toxische Liebe

Die eingangs besungene Legende verwan­delt sich also in eine perso­ni­fi­zierte Bedrohung. Marcos Potential eilt ihm voraus. Fast so, als handle es sich um eine ulti­ma­tive Super­waffe, deren Einsatz mit Bedacht geplant werden will. Gut eine Stunde lang bereitet einen der Film auf eine Entfes­se­lung vor, bis das Damo­kles­schwert endlich herab­saust. Was nicht heißt, dass man Marco, gespielt von Unni Mukundan, nicht schon in der ersten Film­hälfte einige herrlich bescheu­erte Auftritte verpasst. »Meine Toxizität und Obsession ist Liebe«, raunt er zu seiner Verflos­senen in der Kirche. Natürlich nur, um sich dann als der Poser, der er ist, in der nächsten Zeitlupe davon­zu­stehlen.

Man kommt kaum umhin, sich auf die Sensation der Gewalt einzu­lassen, denn sie bestimmt irgend­wann fast alles in dem Film. Schon lange wurde Marco das Label »brutalster indischer Film aller Zeiten« in der Presse und im Marketing verpasst. Und egal, ob man nun in der indischen Film­land­schaft bewandert genug ist, um einen Vergleich anzu­stellen: Marco ist in der Tat ein hoch­gradig extremer Film, der ein destruk­tives Körper­spek­takel nach dem anderen zeigt. Nach ein paar Faust­kämpfen und Messer­ste­che­reien wird dann etwa eine Ketten­säge einge­setzt. Eine insze­nierte Falle könnte glatt aus einem der SAW-Filme stammen. »Das ist Säure« – »Ich weiß. Ich bin Chemiker« Mit einer Gatling-Gun werden Horden an Feinden platt­ge­macht, dass deren Leiber nur so platzen. Und ein Fami­li­en­mas­saker in den heimi­schen vier Wänden treibt die Gren­zü­ber­schrei­tungen zuvor schon auf die Spitze.

Körper­kunst und Körper­lo­sig­keit liegen dabei eng beisammen. In die Choreo­gra­fien der Kämpfe von Mensch und Kamera bluten digitale Effekte hinein. Körper­in­neres wird ersetzt von trick­tech­ni­schen Fremd­kör­pern. Animierte Flecken ersetzen den mensch­li­chen Lebens­saft. Menschen fliegen schwe­relos durch die Luft. Digitale Prothesen werden an Körper geheftet, um umso aufrei­zender wieder entfernt zu werden. Marco ist ein Kino des Ekels und des Exzesses in jeder Hinsicht, aber es ist ein ebenso lähmendes, entfrem­dendes. Ästhe­tisch kennt das ohnehin nur den Modus des Expli­ziten und des Vulgären. Formal wird damit wenig Inter­es­santes ange­stellt, außer dem Publikum einen reiße­ri­schen Schauwert nach dem anderen ins Gesicht zu drücken. Das macht Marco irgend­wann so eintönig. Allein die Über­trei­bung taugt noch zur Attrak­tion.

Brutale Seherfah­rung

Inter­es­sant wird der Film dann, wenn er danach strebt, die eigene Media­lität selbst zur Gewalt­geste zu formen oder sie mit dieser Geste zu verknüpfen. Marco ist nicht der erste Film, der das versucht, aber ihm gelingen einige wenige, tatsäch­lich schwer vergess­liche Eindrücke. Es gibt eine Action­se­quenz, in der man sich so fühlt, als würde man von Marco persön­lich durchs Trep­pen­haus geprügelt werden. Der Prot­ago­nist kloppt und hackt sich darin von Etage zu Etage und schaltet einen maskierten Feind nach dem anderen aus. Die Kamera folgt ihm quasi in Echtzeit auf Schritt und Tritt. Sie wackelt, zoomt, schwenkt, vibriert, steht Kopf, wird wie von Zauber­hand nach oben gereicht, bis man jede Orien­tie­rung verliert. Sie kippt mit dem Ermor­deten zur Seite, über­schlägt sich im Taumel des Kampfes, fährt vor, zurück, während einzelne Glied­maßen im Bild fuchteln und das Blut die Wände bespritzt.

Eine solche Sequenz bleibt eine Spielerei von vielen, eine Nummer in einem Film, der ein tonales und erzäh­le­ri­sches Chaos kreiert und dabei kindliche Freude an den Tag legt. Das würde in der Tat zur ironi­schen Kleine-Jungs-Fantasie taugen, spätes­tens wenn dort vor spru­delnden Säure­fon­tänen gekämpft wird und die zuvor schmerz­haft verarz­teten Muskel­berge aus dem Hemd heraus­platzen. Unentwegt hämmern die musi­ka­li­schen Beats dazu.

Aber für das Unschul­dige und Augen­zwin­kernde erliegt Marco schon wieder zu unsen­sibel dem auto­ri­tären Faszi­nosum und der machis­ti­schen Insze­nie­rung seines Prot­ago­nisten, der abwech­selnd Martyrien durch­leidet, dem Tod von der Schippe springt oder die eigene Dominanz auf Leichen errichtet. Es ist ein obszönes, selten brüchiges Helden­bild, das der Film immer wieder abruft und bedient. Anzug, Uhr, Sonnen­brille und Zigarre gehören ebenso dazu. Die Ikone bleibt damit ebenso unnahbar, banal und ober­fläch­lich wie der ganze Film. Zu einer echten Action-Legende gehört dann doch etwas mehr Charakter dazu!