Mars Attacks!

USA 1996 · 106 min. · FSK: ab 12
Regie: Tim Burton
Drehbuch:
Kamera: Peter Suschitzky
Darsteller: Jack Nicholson, Glenn Close, Annette Bening, Pierce Brosnan u.a.

Es gibt Zeiten im Leben eines Cineasten, in denen man an seiner Berufung zu zweifeln beginnt. Man schaut sich brav alle neuen Filme an, aber nichts vermag noch zu begeis­tern. Alles scheint schon mal über­zeu­gender dagewesen, alles wirkt leer dort, wo es wirklich zählt. Nur Film­mu­seum und Werk­statt­kino halten einen dann moralisch über Wasser, und man beginnt sich zu fragen, ob alle großar­tigen Filme schon gemacht sind, oder ob man selbst nur schon zu alt und abge­stumpft ist, um sich jemals noch für etwas so zu begeis­tern, wie man es als Kind bei fast jedem Film konnte.
Und dann kommt Mars Attacks!, und das Leben als Cineast hat wieder einen Sinn.

Der Titel ist Programm, und mehr braucht man auch nicht an Inhalts­an­gabe. In Tim Burtons neuester Groß­pro­duk­tion (nach dem kleinen, aber nicht minder wunder­baren Ed Wood) fallen die Marsianer über eine Welt her, die aussieht, als hätten bereits die ‘50er Jahre eine erfolg­reiche Invasion gestartet, die aber offen­sicht­lich unserer heutigen gleicht, da sie von macht- und geld­gie­rigen, inkom­pe­tenten Idioten beherrscht wird.

Mars Attacks! hat alles, was ein Bier... äh, Film braucht:

SPAß: In reich­li­chen Mengen und in jeder Gewichts- und Güte­klasse. Dazu Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (sorry, Ch.D. Grabbe), und was sonst noch einen Kino­be­such vergnüg­lich macht. Es ist lange her, daß ich mich bei einem Film schlicht und einfach so königlich amüsiert habe.

STARS: Jack Nicholson, Jack Nicholson (nein, ich habe ausnahms­weise nicht zuviel getrunken; der gute Jack hat eine Doppel­rolle), Glenn Close, Annette Bening, Pierce Brosnan, Danny DeVito, Martin Short, Sarah Jessica Parker, Michael J. Fox, Rod Steiger, Lukas Haas, Natalie Portman, Jim Brown, Pam Grier, Lisa Marie, Barbet Schroeder, Tom Jones (ja, DER Tom Jones – als Tom Jones)... noch Fragen (außer: wo ist Kevin Bacon)?

AUßERIRDISCHE: In rauhen Mengen, schönstem 50'er Jahre Design, und allesamt compu­ter­ani­miert – was anfangs etwas irritiert, dann aber die surreale Comic-Atmo­s­phäre über­zeu­gend vervoll­kommnet.

SUSPENSE, TERROR & EXCITEMENT: sowieso – ich meine, AUßERIRDISCHE BEDROHEN DIE WELT!!! Was wollen Sie noch mehr? Brennende Kuhherden? Chihuahas mit Frau­en­köpfen? Jodelnde Cowboys? Na sehen Sie, das gibt’s alles auch!

SEX & ROMANCE: Na gut, hier könnte es ein bißchen mehr sein – aber immerhin gibt es Burtons Lebens­ge­fährtin Lisa Marie als Marsianer in höchst verfüh­re­ri­scher Verklei­dung – va va va voom!

Was der Film definitiv nicht hat ist hingegen
RESPEKT: Tim Burton hat einen Heiden­spaß daran, auf allem herum­zu­tram­peln, was dem guten Ameri­kaner hoch und heilig sein sollte. Die Flagge wird verbrannt, die Führer der Nation sind allesamt Hohlköpfe, Geld, Macht und Patrio­tismus zählen einen feuchten Kehricht, wenn’s ums Überleben geht, Hunde werden dahin­ge­met­zelt (ja, wirklich! In einem Hollywood-Film!!!), und am Schluß steht eine Gruppe mexi­ka­ni­scher Mariachi in den Ruinen Washing­tons und spielt die Natio­nal­hymne.
Und noch besser: Burton macht auch nicht vor den Gesetzen des Star­sys­tems halt. Lang ist’s her, daß jemand sich mit solch offen­sicht­li­cher Freude solch unwürdige Schick­sale für große Namen Holly­woods ersonnen hat.

Aber so zynisch Mars Attacks! sein kann, hat er doch auch ein
HERZ: Und zwar, wie immer bei Tim Burton, für die Außen­seiter, die Verges­senen, Verstos­senen und Verdrängten. Die Sympa­thie­träger und Gewinner des Films sind dieje­nigen, die in jedem anderen Film sofort als stereo­type Loser zu erkennen wären und im Bestfall am Ende den großen, weißen Helden dafür anhimmeln dürften, daß er ihr unbe­deu­tendes Leben gerettet hat.
Ganz besonders schön für Cineasten ist dabei, daß auch Sylvia Sidney als Grandma mithelfen darf, die Welt zu retten; eine Schau­spie­lerin, die schon seit 70 Jahren im Film­ge­schäft ist und unter Regis­seuren wie Hitchcock, von Sternberg und Fritz Lang gespielt hat.

Und schließ­lich, so kindlich, bizarr und überdreht der Film an der Ober­fläche ist, hat er doch auch
HIRN: und zwar nicht nur in Form der Riesen-Zerebren der Aliens. Bei allem Klamauk und allem bunten Spaß scheint mir doch auch immer wieder ein Subtext aufzu­leuchten, in dem es auf gar nicht naive Art um unseren Umgang mit dem Fremden und mit der Vergan­gen­heit geht. (»Cahiers du Cinéma«, anyone? O.K., ich hör auf, bevor jemand den Intel­lek­tu­ellen-Alarm auslöst.)

Tim Burton ist es hervor­ra­gend gelungen, die Begeis­te­rung, die die alten Invasion-aus-dem-Weltall B-Pictures in jungen Jahren bei ihm ausgelöst haben, in dieser ironi­schen Hommage wieder­zu­er­we­cken. Im Gegensatz zu einem gewissen anderen, großen »Die Aliens greifen an!«-Film der letzten Zeit, dessen einziges Verdienst es war, ähnliches zu voll­bringen, muß man aber bei Mars Attacks! nicht sein Hirn an der Kinokasse abgeben, um Spaß zu haben. Mars Attacks! ist glück­li­cher­weise frei­willig komisch, und darüber­hinaus noch intel­li­gent genug, um seine Nostalgie und sein Retro-Design reflek­tiert einzu­setzen, anstatt nur den Eindruck zu erwecken, seiner Zeit ein paar Jahr­zehnte hinten­nach zu sein.

Daß ein großes Hollywood-Studio dafür $70 Mio. ausge­geben hat, ist ein kleines Wunder. Daß der Film in Amerika ein kommer­zi­eller Mißerfolg war, braucht hingegen nicht zu verwun­dern. Sorgen wir dafür, daß diesem poppigen Meis­ter­werk wenigs­tens in Europa Gerech­tig­keit wider­fährt und schauen wir ihn uns alle wenigs­tens fünfmal an.

Ich geh' dann schon mal vor.