Colonos

Los colonos

Argentinien/Chile/GB/Taiwan/D 2023 · 100 min. · FSK: ab 16
Regie: Felipe Gálvez Haberle
Drehbuch: ,
Kamera: Simone D'Arcangelo
Darsteller: Camilo Arancibia, Benjamin Westfall, Mark Stanley, Alfredo Castro, Marcelo Alonso u.a.
Die apokalyptischen Reiter des chilenischen Genozids
(Foto: MUBI)

Zivilisation und Barbarei

Im Stile eines knalligen 70er-Jahre-Westerns zeigt Felipe Gálvez in Los colonos die gewaltsamen Praktiken des kolonialen Zivilisierungsprozesses im chilenischen Patagonien Anfang des 20. Jahrhunderts

Harte Männer bei der Arbeit in der wilden Natur: Weide­zäune werden gezogen, um das Gebiet für das weiße Gold, die Schafe, einzu­hegen, über das der Groß­grund­be­sitzer und Vieh­züchter José Menéndez (Alfredo Castro) im äußersten Süden Chiles, in Feuerland, verfügt. Es ist Anfang des 20. Jahr­hun­derts, auch die letzten Lände­reien sollen den ganz in den Süden abge­drängten Indigenen genommen werden, um der Zivi­li­sa­tion der Weißen mehr Raum zu verschaffen. Dabei geht es mehr als barba­risch zu, wie sich zeigt, als einem der Männer beim Spannen der Drähte mit kaltem Sirren ein Arm abge­trennt wird. Alexander MacLennan (Mark Stanley), der Mann fürs Grobe in Diensten von Menéndez, zaudert nicht lange, er gibt dem nicht mehr verwend­baren Arbeiter einfach den Gnaden­schuss.

Der Brite im roten Solda­ten­rock, er schreibt sich den Rang eines Lieu­tenants zu, soll auch einen Kund­schaf­ter­trupp durchs Terri­to­rium der Indigenen führen und die Gegend von den »Indios säubern«, wie José Menéndez ihm aufträgt. Er möchte für seine Vieh­herden eine sichere Passage zum Atlantik.

Er gesellt dem Briten einen Cowboy bei, Bill (Benjamin Westfall), der seine zynische Expertise in Sachen India­ner­jagd aus Texas mitbringt. Aus den anwe­senden Weide­zaun­ar­bei­tern rekru­tiert MacLennan dann noch den »mestizo« Segundo (Camilo Arancibia) über einen Schieß­wett­be­werb als ziel­si­cheren Scharf­schützen. Segundo steht zwischen den Weißen und den Indigenen, eine enig­ma­ti­sche Gestalt zwischen Selbst­ver­leug­nung und Subver­sion, der gegenüber der Ameri­kaner Bill von vorn­herein sein offen rassis­ti­sches Miss­trauen ausdrückt. Dieses Trio macht sich nun auf in die Land­schaft Pata­go­niens im äußersten Süden des latein­ame­ri­ka­ni­schen Konti­nents. Ihr gewalt­voller Trip führt sie letztlich ins Herz der Fins­ternis, wenn sie auf den obskuren schot­ti­schen Feldherrn Colonel Martin (Sam Spruell) treffen, der sich mit seinem Trupp als eine Art Frei­beuter auf einem Privat­feldzug befindet.

Brutale Über­griffe auf die Indigenen erzählt der Film nicht aus, sondern verdichtet sie in prägnanten Szenen. Was dabei an Tötungen und Verge­wal­ti­gungen zur Darstel­lung kommt, ist freilich fürch­ter­lich genug. Los colonos erzählt von dem histo­risch verbürgten Genozid an den indigenen Selk'nam im Süden Chiles: Alexander MacLennan und José Menéndez haben wirklich existiert.

Um den Stoff überhaupt erzählbar zu machen, bedienen sich Regisseur Felipe Gálvez und Bild­ge­stalter Simone D’Arcangelo klas­si­scher Motive und Erzähl­muster des Westerns, eine recht schlüs­sige Gestal­tung, die die raum­grei­fende Expan­si­ons­be­we­gung der Kolo­ni­sie­rung im Norden und Süden Amerikas als Teile desselben großen Narrativs erkennbar macht.

Ganz im Sinne des Genres wird dabei die Land­schaft zu einem weiteren Prot­ago­nisten. Der über­wäl­ti­gende Eindruck, mit dem die Erha­ben­heit der Natur hier ins Bild gesetzt wird, hat aller­dings etwas Erschre­ckendes und kündet vor allem von der Gewalt, die der Mensch in die Natur mit seiner Anwe­sen­heit einschreibt.

Das gewählte Bild-Format 1.5:1 schafft mit einer Anmutung von Breitwand scheinbar mehr Raum als das klas­si­sche 4:3-Format, bleibt aber letztlich ähnlich beengt. Die Totalen, bei denen die Reiter sich in der Land­schaft verlieren, werden in schroffer Montage mit Nah-und Groß­auf­nahmen kontras­tiert, in denen Pferde- und Menschen­köpfe aus dem Raum­zu­sam­men­hang heraus­ge­schnitten werden. Mit gleicher Wucht werden die knallig roten Lettern der vier Kapi­tel­ü­ber­schriften in die Leinwand hinein­ge­stanzt. So schlägt sich in der filmi­schen Form nieder, wie die angeblich zivi­li­sa­to­ri­sche Mission ihren Ausdruck als Barbarei findet, die Mensch und Natur angetan wird.

Im letzten Kapitel des Films wird dann die schein­hei­lige Perfidie der Siedler im kolo­nialen Idyll des Groß­grund­be­sit­zers Menéndez noch auf die Spitze getrieben. Ganz im Gewande bürger­li­cher Kulti­viert­heit zeigt man sich von dem Stolz beseelt, in der Wildnis auf heroische Weise lediglich die zivi­li­sa­to­ri­schen Belange der Haupt­stadt zu vertei­digen. Die Demontage dieser selbst­ge­rechten Kultur­lüge ist Felipe Gálvez mit dem vorher Gezeigten aufs Eindring­lichste gelungen.