Die Liebe der Kinder

Deutschland 2009 · 86 min. · FSK: ab 12
Regie: Franz Müller
Drehbuch:
Kamera: Christine A. Maier
Darsteller: Marie-Lou Sellem, Alex Brendemühl, Katharina Derr, Tim Hoffmann, Michael Sideris u.a.
Hier gehts den Erwachsenen noch gut. Im Hintergrund: Die Kinder

Der Auszug aus dem Paradies

Wenn das Kino von der Liebe erzählt, dann geht es um Passionen, um Bedin­gungs­lo­sig­keit, um Erschüt­te­rung. Es geht um große Leiden­schaft, tiefste Wahrheit, es geht auch um die Lügen, die dann schlimmste Folgen haben, die bestraft werden, manchmal mit dem Tod. Große Leinwand braucht große Gefühle – glaubt man. Gerade im Hollywood-gläubigen Deutsch­land. Wenn das Kino von der Liebe erzählt, dann geht es immer ums große Ganze. Die Liebes des Kinos, die ist ein Paradies.

Aber warum eigent­lich? Sind doch alles Mythen. Alles Kino­lie­besideo­lo­gien. Alles Lügen. Fromme, schöne Lügen, stimmt schon – aber eben nicht die Wahrheit, die wir doch alle kennen. Viel­leicht gehen wir deswegen ja so gern ins Kino. Wie aber wäre es, wenn das Kino 'mal vom Leben erzählen würde. Von dem Leben, dass bekannt­lich seit Adam und Eva nicht mehr im Paradies statt­findet, sondern auf der Erde. Dem Leben, das wir alle leben.

Am Anfang steht in diesem Fall ein Blind Date: »Du bist genau so, wie ich mir Dich vorge­stellt habe...« – »Und das soll ich Dir glauben? Machst Du das öfter?«
Maren und Robert kennen sich flüchtig aus einem Chatroom im Internet. Dort haben sie sich fürs »real life« verab­redet, und obwohl es sich äußerlich um sehr ungleiche Menschen handelt – sie ist eine Bildungs­bür­gerin, er Hand­werker – wird eine Beziehung daraus. Sie ziehen schnell zusammen, und sie bringen jeweils ein Kind in die Beziehung mit. Eine Patchwork-Familie ist entstanden.

Das geht eine Weile gut, doch bald verlieben sich auch die Kinder inein­ander – und diese Liebe der Kinder wird zum Spiegel für das Liebes­ver­hältnis der Eltern. Ein Spiegel, der Erkenntnis bringt, der aber auch zum Zerr­spiegel wird. Und zur massiven Belastung. Es ist nebenbei bemerkt, natürlich übrigens kein Zufall, sondern ein filmi­sches Zeichen, dass Maren Evolu­ti­ons­for­scherin ist. Sie kämpft dabei gleich­zeitig für das Über­se­hene, für die Evolu­tio­nisten neben Darwin – also gewis­ser­maßen gegen dessen Weltbild, das sich immer nur das Stärkere, Bessere durch­setzt und dessen Vulga­ri­sie­rung zum Recht des Stärkeren.

Mit Die Liebe Der Kinder ist Regisseur Franz Müller ein hoch­span­nender Liebes­film gelungen. Müller, der bereits vor neun Jahren mit (Kein) Science Fiction ein fulmi­nantes Debüt hinlegte, wirft nun in seinem zweiten Spielfilm einen struk­tu­ra­lis­ti­schen Blick auf die Liebe. Der Titel ist nur ironisch zu verstehen, denn es geht hier vor allem um die Liebe der Erwach­senen. Die aller­dings manchmal auch ganz schön kindisch sein kann.

In Form eines frag­men­ta­ri­schen, anti­psy­cho­lo­gi­schen Erzählens bietet der Regisseur Bausteine einer Sprache der Liebe und zeigt ihre Facetten. Müller erzählt von der subtilen Dynamik, die jede Beziehung hat, von der Evolution der Gefühle, von ihrem Altern in einer Beziehung. Zu der natürlich auch Routine gehört, stink­nor­male alltäg­liche Meinungs­ver­schie­den­heiten. Und Lange­weile. Und Unzu­frie­den­heit.
»Irgendwas fehlt immer« sagt zwar Robert. Aber es fällt schwer, in der Praxis von manchen Ideal­bil­dern Abschied zu nehmen. Das alles passt natürlich gar nicht in die Ideologie der Liebe, die wir aus dem Kino kennen. Das normale Leben ist manchmal viel schwie­riger, als das Paradies.

In dem leben die Kinder. Sie träumen noch die großen Träume dem einen, ewigen Glück: Zusammen wegfahren ins Nirgendwo. Allein leben, ohne die Eltern, ohne die ganze Welt, nur von Luft und Liebe... In Kontrast zur Liebe der Eltern zeigt Franz Müller auch die Liebe ihrer Kinder. Vor allem die unglaub­liche Arroganz der Kinder gegenüber den Erwach­senen – die ja natürlich auch eine Arroganz des Unwissens ist. So steht Unschuld gegen Wissen.

Eine Weile mag es scheinen, als biete uns Müller im Ergebnis ein Mittel­stands­drama ohne Drama, das überdies eine recht konser­va­tive, anti-utopische Botschaft verkündet, nach der Blut am Ende eben doch dicker ist, als Gefühle für Wahl­ver­wand­schaften, für Fremde, für die Liebe.

Aber dann bekommt dieser hervor­ra­gende Film, der im Übrigen mit dem hier­zu­lande völlig unbe­kannten Alex Bren­de­mühl und mit Marie Lou Sellem zwei hervor­ra­gende Haupt­dar­steller hat, auch in dieser Hinsicht die Kurve – und widerlegt gerade alle solche mora­li­sie­renden, biederen, altba­ckenen Lesarten. Auch Die Liebe der Kinder erzählt am Ende von einem unwahr­schein­li­chen Glück. Der Film entfaltet die Utopie, die in der Norma­lität liegt, im ganz prag­ma­ti­schen Hier- und Jetzt. Die Utopie, die im Kompro­miss liegt, im Arran­ge­ment. Die Liebe der Kinder zeigt, das es so etwas gibt: Einen gelas­senen Liebes­film. Das ist wunderbar.

Mit alldem, das so ganz anders ist, als was wir sonst aus dem Kino gewohnt sind, bietet uns Franz Müller zugleich sogar die Vorstel­lung eines anderen Kinos – also eine ästhe­ti­sche Utopie. Die Idee eines Kinos, dass nicht Emotionen behauptet und mit viel Musik, mit viel Kame­ra­ge­schwurbel künstlich erzeugt, so wie Geschmacks­ver­s­tärker den Joghurt am Ende nach Erdbeeren schmecken lassen, obwohl keine drin sind, sondern ein Kino, das echte Gefühle zeigt, das nicht eines der großen Leiden­schaften ist, sondern der kleinen. Die Idee eines Kinos, das dem Leben zuschaut, wie es ist. Könnte doch aufregend sein...