USA/FIN/GB 2025 · 96 min. · FSK: ab 6 Regie: Isaiah Saxon Drehbuch: Isaiah Saxon Kamera: Evan Prosofsky Darsteller: Helena Zengel, Willem Dafoe, Emily Watson, Finn Wolfhard, Razvan Stoica u.a. |
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Gleicher Blick, anderes Wesen... | ||
(Foto: Plaion Pictures / Studiocanal) |
»[…], denn es gibt keine Torheit der Tiere auf Erden, welche der Irrsinn der Menschen nicht unendlich weit übertrifft.«
– Herman Melville, Moby Dick
Für deutsche Kinobesucher und vor allem jene mit Kindern sollte vielleicht gleich eine Warnung ausgesprochen werden. Die Legende von Ochi ist kein weiterer Olchi-Film, also nicht etwa die Fortsetzung von Die Olchis – Willkommen in Schmuddelfing (2021). Aber ein Familienfilm ist es trotzdem und auch einer, in dem es um das »Andere« geht, Lebewesen, die irgendwie »menschlich« daherkommen, aber doch anders genug sind, um dem Menschen Angst einzujagen. Bei den Olchis ist es ihre Liebe zu Schmutz, bei den Ochis ist das gar nicht so einfach zu sagen. Denn die Angst vor den Ochis ist in Isaiah Saxons Spielfilmdebüt – er war bislang eher für seine Musik-Videos und Kurzfilme bekannt – so manifest, dass zu Anfang gar nicht klar ist, warum diese Angst sich überhaupt manifestiert haben könnte.
Was wir am Anfang stattdessen sehen, sind Menschen auf der Jagd nach Ochis, allen voran Willem Dafoe als Maxim, der zusammen mit seiner Tochter Yuri (Helena Zengel) und einer Gruppe verwahrloster Jugendlicher unter der Obhut von Maxim Ochis jagt, als wären sie auf dem Walfänger von Kapitän Ahab, denn so irre und blindwütig wie Ahab Moby Dick jagt, so jagt auch Maxim den Ochis hinterher. Erst als ein junger Ochi sich durch die Jagd verirrt und von Yuri gefunden wird und Yuri zum ersten Mal versteht, dass die fremden Wesen vertraute Wesenszüge besitzen, beginnt das bis dahin zementierte System zu schwanken, mehr noch, als Yuri beschließt, das junge Ochi zu seinen Eltern zurückzubringen und sich damit auch von einem übermächtigen Vater zu emanzipieren.
Das klingt im Kern natürlich stark nach Steven Spielberg und seinem großen Meisterwerk aus den frühen 1980er Jahren, E.T. – Der Außerirdische. So wie Spielberg zeigt auch Saxon eine dämonisierte Erwachsenenwelt, die dem »Fremden« feindlich gegenübersteht und die ganze Gesellschaft dementsprechend instrumentalisiert. Doch Saxon entfernt sich allein schon durch ein bizarres Setting in der rumänischen Bergwelt – es wurde in Transylvanien, den Apuseni-Bergen und am Bâlea-See gedreht – von der Spielberg'schen Kleinstadtidylle und erinnert im späteren Verlauf eher an die grotesken filmischen Annäherungen an das Anderssein von Tim Burton (Edward mit den Scherenhänden, Frankenweenie) und als plötzlich auch noch ein Gebiss im Mund von Helena Zengel auftaucht, lässt sich leicht die Assoziation zu einem anderen deutschen Film mit Gebiss ziehen, an Peter Simonischek in Maren Ades Toni Erdmann.
Überhaupt Helena Zengel. Nachdem sie in Systemsprenger (2019) bodenlos brilliert hatte, waren ihre letzten Rollen in Neues aus der Welt oder in der Serie DIE THERAPIE eher blasse Angelegenheiten gewesen. In der Legende von Ochi fährt sie mit Mitspielern wie Willem Dafoe, der hier so nuanciert wie schon lange nicht mehr spielt, und Emily Watson als die abtrünnige Mutter und Ehefrau Dasha wieder zu Höchstform auf. Das liegt natürlich auch an dem kreativen Drehbuch von Saxon, das zwar viele bekannte Motive aus Familienfilmen der letzten Jahrzehnte – nicht nur Narrative, auch Szenenbilder – kreativ ventiliert und damit die für Familienfilme wichtigen Erwartungshaltungen der Zuschauer bei aller Groteske auch bedient. Doch immer wieder traut sich Saxon kreative und sehr überraschende Aussetzer. Dazu gehören nicht nur die witzig-düsteren Beschreibungen der Kernfamilie, sondern auch die äußerst bizarren Gesellschaftsverhältnisse, die hier gezeigt werden. Und dann sind da noch die Ochis selber, die bei einem Produktionsbudget von gerade mal zehn Millionen Dollar schlichtweg ein kleines Wunder sind, wie übrigens der ganze Film.