USA 2019 · 109 min. · FSK: ab 16 Regie: Robert Eggers Drehbuch: Max Eggers, Robert Eggers Kamera: Jarin Blaschke Darsteller: Willem Dafoe, Robert Pattinson, Valeriia Karaman u.a. |
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Das sind keine Bilder aus denen man abgebildete Informationen liest, das ist etwas Haptisches, Leibhaftiges... |
Wir müssen uns diesen Sisyphos als wahrhaft unglücklichen Menschen vorstellen.
Da fängt dieser ehemalige Holzfäller als Quereinsteiger sein neues Leben an als Hilfsleuchtturmwärter auf einer winzigen Insel vor Neuengland, die schon mehr Meer ist als Land.
Dafür sein Vorgesetzter mehr Urgestein, Urgewalt denn Mensch. Wie verwachsen mit, erwachsen aus dem rauhen Ort. Wie ein knorriger Baum, in den der Blitz eingefahren ist – dem aus den Astlöchern noch die Götterglut
glimmt.
Ein strenger Lehrmeister, der durchaus eine perfide Freude daran hat, seinem Gesellen seine niedere Position aufzuzeigen.
Mal lässt er ihn mühsam den Felsbrocken einen Berg – pardon: das Lampenölfass die enge Wendeltreppe hinaufzerren, mal scheucht er ihn durch schier herkuleanische Arbeiten: das Ausmisten der Zisterne des Augias, die Vertreibung der Stymphalischen Möwen.
Manches an dem alten Leuchtturmwächter zeugt von Zeus, manches – Have him clash
with the god of the oceans – von Poseidon. Wie überhaupt auf wundersame Weise an diese Insel vor Neuengland des 19. Jahrhunderts immer mehr Treibgut der griechischen Mythologie angespült wird.
Hier sitzt er, der Odysseus, auf seinem einsamen Felsen und wartet sehnsüchtig auf seine Sirene.
Einstweilen be- und vergnügt er sich ein- und eigenhändig mit einem kleinen Holztotem.
Dass der ködernde Gesang des ewig Weiblichen ständig latent durch The Lighthouse hallt, liegt aber mehr an gutem, altem Freudianismus als an Altphilologie.
»Nothing good happens when two men are trapped in a giant phallus«, verkündet Regisseur Robert Eggers in fast
jedem Interview zu seinem Werk.
Was auch bedeutet, dass der Film sich der ewigen Frage nicht nur mythologisch, sondern auch anatomisch nähert: Wie funktioniert denn das, mal so rein technisch, mit Menschenmännchen und Meerjungfrau?
Eggers wäre nicht Eggers, wenn er die Klärung nicht mit historischen und (meeres)biologischen Quellenstudien angegangen hätte.
Erstaunlich schlüssiges Resultat: Ornamentales von Austern und Krustentieren, kombiniert mit – laut
Eggers – erstaunlich menschlich wirkender Vulva vom Hai. (Der von einem Puppenspieler auf dem möglichen Höhenpunkt seiner Karriere das bebende Leben eingehaucht wurde.)
Der erfahrene, alte Seebär und der junge, eifrige Lehrling, der sich auf dessen Territorium begibt:
Die Dynamik zwischen den beiden Filmfiguren hat ihre Entsprechung in der Dynamik zwischen den beiden Darstellern.
Dafoe, der niemandem mehr etwas beweisen muss, der eine Tiefenentspannung in sich trägt, wie sie nur einer haben kann, der über Jahrzehnte keine schauspielerische Erfahrung ausgelassen hat, aber jede neue Aufgabe mit genüsslicher Neugierde angeht. Der bei
jeder Gelegenheit betont, wie wenig er sich psychologisch in seine Figuren versenkt. Sondern sich allein auf die im Moment auszuführende physische Aktion konzentriert.
Pattinson, der sich zwar freigeschwommen hat vom Image des glitzernden Teenie-Schwarms – dessen Suche nach möglichst großen, mutigen Herausforderungen (u.a. für Cronenberg, Herzog, Denis, die Safdie Brüder) aber den Beigeschmack hat, dass er immer noch gegen den alten Sog anstrampelt, zumindest sich
selbst noch etwas beweisen will. Der sich als Method Actor geradezu rauschhaft, bis zur Entgrenzung in seine Rollen wirft. Der bei den Bacchanalen der beiden Leuchtturmwärter mitunter tatsächlich trunken gewesen sein soll.
Sehr freimütig spricht Pattinson inzwischen darüber, dass die Dreharbeiten für ihn keine angenehme Zeit waren – er aber genau das als produktiven und notwendigen Teil des Prozesses empfindet.
Und in der Tat ist etwas in das filmische Resultat
eingebrannt, das sich so durch das meisterhafteste Schauspiel nicht erreichen ließe:
Da rumort tief in den Eingeweiden der Bilder eine angespannte Energie. Da spürt man beklemmende Druckverhältnisse, darin wie die Körper den Raum einnehmen. Das ist das Aufeinandertreffen eines unbeweglichen Objektes und einer unwiderstehlichen Kraft.
Neuengland ist Heimat von zwei der Gründungsmythen der USA: Die Ankunft der Pilgerväter und die Unterzeichnung von Unabhängigkeitserklärung und Verfassung.
Doch hat sich dieser Teil der Ostküste in der Populärkultur nie recht durchgesetzt als der Ort der First Frontier. Das gewalttätige Ringen um Zivilisation und Identität trägt man westwärts bis Kalifornien aus.
Sieht man von den turnusmäßigen Neuverfilmungen von „Scarlet Letter“ und
Lederstrumpf ab, wurde Neuengland etabliert als herbstlichtdurchflutete, herbstblätterbunte Kulisse für die häuslichen Dramen reicher, beiger New Yorker. Und über allem der Duft „Indian Summer“ von Priscilla Presley.
Freilich gibt es neben dieser Welt von Updike und John Irving auch eine andere, dunklere Tradition, die von Hawthorne über Poe und Lovecraft bis zu Stephen King reicht, in der man etwas Altes, etwas Verdrängtes spürt. Aber die meisten ihrer Verfilmungen
ignorieren die Bedeutsamkeit derer geographischen Verankerung.
Es ist bezeichnend, wenn einer der wenigen Filme, die sich bewusst in diesem Setting mit dem Gründungsmythos auseinandersetzen, THE ADDAMS FAMILY VALUES ist.
Robert Eggers Debut The Witch trug schon offensiv
den Untertitel „A New England Folktale“.
Und schon da lässt er die Erinnerung wiederauferstehen an einen Raum, wo die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation gerade erst ausgekämpft wird. Was dort die Wand des Waldes, sind nun die sich aufbäumen Fluten des tobenden Meeres.
Eggers Arbeiten sind in jedem Aspekt durchtränkt von Historie. Die Grundkonstellation von The Lighthouse navigiert entlang der sogenannten Smalls Lighthouse
Tragödie. Wo zwei zerstrittene Männer namens Thomas auf einer Leuchtturminsel vom Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten waren und in psychische Ausnahmezustände gerieten.
Die Sprache beider Filme speist sich aus zeitgenössischen Quellen, aus Tagebüchern, Logbüchern, Zeitungen. Sie hat nicht die bloße künstliche Patina auf alt getrimmter Filmdialoge, sondern fühlt sich gelebt und eingetragen wie ein geerbtes Paar bester Lederschuhe an.
Diese historischen Quellen fließen
zusammen mit literarischen Strömen, bei Lighthouse unvermeidlich aus dem Sprachmeer Herman Melvilles. Es zwängt sich in die menschliche Hülle von Dafoes Thomas des Älteren zu dem griechischen Götterchor auch noch – Send him on a quest with Melville’s Captain – die Stimme Ahabs, des humpelnden Einbeinigen und seiner Besessenheit.
Aber all diese Elemente, mit penibler Obsession zusammengetragen, sind nicht passgenau gefräste
Puzzleteilchen im Masterplan eines Schöpfers – sondern nährende Ursuppe für Entstehen und Gedeihen von etwas Organischem, Unreduzierbaren.
Sie sind wie Keime, um die sich Ablagerungen legen, bis sie sich zu schillerndem, vielfacettigem Perlmutt formen.
Dieses Wühlen durch die Sedimente zurück in die von der Zeit beerdigten Schichten durchwirkt auch das Filmische. Jeder technische Aspekt ist nicht eine klinische oder konventionelle Entscheidung, sondern Teil des Gewebes. Trägt dazu bei, dass man die Räume des Films geradezu zu riechen, schmecken glaubt, dass man an den Fingern einen Grind kleben und knirschen spürt, selbst wenn man die Stube frisch gebohnert erblickt. Das sind keine Bilder aus denen man abgebildete Informationen
liest, das ist etwas Haptisches, Leibhaftiges.
Das Licht musste durch Baltar-Linsen aus den 1930er Jahren, die selbst dem erklärten Linsen-Nerd Robert Eggers und seinem Director of Photography Jarin Blaschke neu waren, bevor es das seit 1959 nicht mehr weiter entwickelte Double-X Filmmaterial erreichte. Selbst das Bildformat wurde vom aus der Mode gekommenen 1:1,33 zum obskuren, klaustrophobischen 1:1,19 eingeengt.
Das Tosen des Windes, das Krachen der Wellen, das Knarzen
der Dielen, das Raunzen der Dialoge hin oder her: The Lighthouse ist der lauteste Stummfilm.
Das mag sich alles furchtbar und gewollt sperrig anhören, stellt sich dem Publikum aber genau nicht in den Weg. Es geht nicht um besserwisserisches Aussortieren von unwürdigen Banausen, sondern um aus tiefstem Inneren gewachsene Notwendigkeit, ein Bauchgefühl zu vermitteln.
Der menschliche Drang, den Göttern das Geheimnis des Lichts, den Funken des Lebens zu entreißen, treibt nicht nur Eggers, sondern animiert auch seinen Protagonisten, Thomas, den Anderen.
Aus Sisyphos wird ein moderner Prometheus. Der verbotene Erleuchtung erringt, aber mit den Konsequenzen leben muss.
P.S.: Außerdem werden Sie nach diesem Text überrascht sein, wie viel in diesem Film gefurzt wird.