Lebe lieber ungewöhnlich

A Life Less Ordinary

Großbritannien 1997 · 103 min. · FSK: ab 16
Regie: Danny Boyle
Drehbuch:
Kamera: Brian Tufano
Darsteller: Cameron Diaz, Ewan McGregor, Holly Hunter, Delroy Lindo u.a.

Diesmal setzt Regisseur Danny Boyle Himmel und Hölle in Bewegung. Den Himmel sieht man schon gleich zu Beginn, völlig in Weiß gehalten, in der Eröff­nungs­se­quenz. Die spielt nämlich im Büro des Erzengels Gabriel. Dort erhalten zwei Engel, O’Reilly (Holly Hunter) und Jackson (Delroy Lindo) den Auftrag, ein Paar zusam­men­zu­führen, das unglei­cher nicht sein kann.
Robert (Ewan McGregor) ist ein Looser, der in einer Putz­ko­lonne arbeitet und heimlich Groschen­ro­mane schreibt. Eines Tages wird er entlassen, seine Freundin verläßt ihn, und als noch ein paar andere Sachen schief gehen, entführt er kurzer­hand die Tochter seines Ex-Chefs, die ebenso verwöhnte wie hübsche Celine (Cameron Diaz). Aber auch als Kidnapper gehört Robert nicht zu den Erfolg­rei­chen im Leben, und so bedarf es schon der tatkräf­tigen Mithilfe seines Entfüh­rungs­op­fers, um heil aus der ganzen Ange­le­gen­heit heraus­zu­kommen.

Den ersten Film nach einem dermaßen geglückten und zu recht gefei­erten Werk wie Train­spot­ting zu drehen, ist eine schwere Bürde. Jetzt mußte Danny Boyle nach seinem Achtungs­er­folg Shallow Grave und eben Train­spot­ting beweisen, ob er nur Glück hatte und ein paar gute Ideen, oder ob er wirklich die neue Hoffnung des europäi­schen Films ist, für den ihn manche halten. Mit seinem neuesten Film A Life Less Ordinary zieht sich Boyle so elegant wie nur möglich aus dieser Affaire. Kein Schott­land, kein England, kein That­che­rismus, keine Drogen­sucht kommen darin vor. A Life Less Ordinary hat auch mit gar nichts zu tun, das man viel­leicht irgendwie für Gesell­schafts­kritik halten könnte.

Oder viel­leicht doch. Aber auf ganz andere Weise. War Train­spot­ting auch ein cool gestylter Pop-Movie gewesen, war sein Erfolg doch in erster Linie dem Ernst und der Bissig­keit, der bis zur Schmerz- und Ekel­g­renze realis­ti­schen Schil­de­rung von Verhält­nissen zu verdanken. Auf all das verzichtet A Life Less Ordinary. Zwar ist die grund­sätz­liche Haltung, aus der Boyle und sein Team (Autor John Hodge, Produzent Kevin MacDonald, Haupt­dar­steller Ewan McGregor) agieren, wieder die gleiche, die man von Boyles früheren Filmen gewohnt ist: Amora­lisch und verspielt bis an die Grenze zum Zynismus, mit konse­quentem Stil­willen und viel Gefühl für Dynamik wird die Geschichte erzählt. Aber der Film spielt in einem Amerika, das unter Boyles Blick zur Traum­land­schaft geworden ist, zur reinen Kulisse.

Nun sind Kulissen aber bei Boyle immer etwas einzig­ar­tiges: Das kann er wirklich. A Life Less Ordinary ist ein bis zu den Tiger­hand­schuhen von Cameron Diaz cool gestylter Film. In dem die Kostüme auf die Augen­farbe der Schau­spieler abge­stimmt sind. Alles stimmt, noch die Farbe auf jedem Wüsten­stein, und dabei hält er immer dann inne, wenn es droht, zu aufdring­lich zu werden.

Es ist ja oft so, daß Filme bei denen die Erwar­tungen mit guten Gründen hoch­ge­schraubt waren, nicht ganz so gut werden, wie erhofft. Auch hier ist das der Fall. Aber kein Zweifel: A Life Less Ordinary ist trotzdem ein guter Film. Und ein intel­li­genter. Offenbar hat Boyle vor, Stück für Stück die ganze Film­ge­schichte durch­zu­r­at­tern: nach Hitchcock und Kubrick in den früheren Filmen, war jetzt Howard Hawks dran. Denn ganz nebenbei hat er hier eine Komödie im alten, klas­si­schen Hollywood-Sinn gedreht, die voller altmo­di­scher Remi­nis­zenzen steckt, und den Mut zu einer Alberheit hat, die man noch heute bei Katherine Hepburn und Cary Grant nost­al­gisch beglückt begrüßt.
Natürlich sprechen wir trotzdem von einem Film der späten 90er Jahre. Bei O’Reilly und Jackson, dem von Holly Hunter und Delroy Lindo gespielten wunder­baren Engels­paar muß man einfach an Vincent und Jules, das Killer-Team aus Pulp Fiction denken. Überhaupt Holly Hunter. Bizarr und intensiv spielt sie hier eine ihrer besten Rollen. Sie ist der heimliche Star von A Life Less Ordinary.

Der ganz offen­sicht­liche Star ist Cameron Diaz. So wie Celine ihre Opfer­rolle umkehrt, und die Entfüh­rung übernimmt, beginnt sie auch den Film zu kontrol­lieren. In ihren besten Augen­bli­cken sieht sie aus, wie die Tochter von Marylin Monroe und John F. Kennedy. Wer einmal gesehen hat, wie sie einkauft, wie sie eine Bank überfällt, wird begeis­tert sein von dieser Schau­spie­lerin. Cameron Diaz ist komisch und kann gar nicht anders als komisch zu sein. Ihr Duett mit Ewan McGregor funk­tio­niert gut, beide zusammen zele­brieren locker und elegant den Abschied von der Wirk­lich­keit. Ein Höhepunkt ist die Szene, wo beide Tequila trinken, und anschließend eine surreale Karaoke-Version »Somewhere Beyond the Sea« singen, sie gehört zum Besten, was im letzten Jahr auf Kino­lein­wänden zusehen war.

Bisher war nur vom Himmel die Rede. Die Hölle in diesem Film, das sind die Fehler die das Drehbuch während der letzten halben Stunde macht. Da fällt der gut funk­tio­nie­rende Film kraß ab, da scheint Hodge und Boyle urplötz­lich die Puste ausge­gangen zu sein. Um Haar hätte es den ganzen Film herunter gerissen, doch am Schluß naht gemeinsam mit dem Erzengel Gabriel noch Rettung im letzten Augen­blick.

A Life Less Ordinary ist ein unge­wöhn­li­cher Film. Und alles in allem ein guter Film, an dem vieles bewun­derns­wert ist, lustig oder einfach schön. Sein Stil ist großartig, Kamera und Sound­track stimmen, sind aber konven­tio­neller als von Boyle gewohnt.

Ande­rer­seits kommt man nicht restlos glücklich aus dem Kino. Das mag daran liegen, daß man NOCH mehr erwarten konnte, daß das Niveau von Train­spot­ting nicht ganz erreicht wurde. Es mag auch daran liegen, das der Film manches NICHT ist, was er durchaus hätte sein können: Ein Film über das zerfal­lende American Empire zum Beispiel (es dieselbe Welt, die Paul Schrader in Touch zeigt, die die Brüder Coen in Fargo zeigten, die Tarantino in Pulp Fiction zeigt. Aber der Brite Boyle ist nach­sich­tiger, und offenbar distan­zierter, als die ameri­ka­ni­schen Regis­seure. In seinem Road Movie bleibt noch ein Rest der Utopie des ameri­ka­ni­schen Traums). Die »great American trash novel«, an der Robert schreibt, ist es nicht geworden.

Fazit: A Life Less Ordinary ein cleverer, dabei sehr poeti­scher Nonsense, aber keine Komödie für jedermann.

PS: Wer kann, sollte sich den Film auf Englisch anschauen, auch die restliche Synchro­ni­sa­tion ist so, wie die Über­set­zung des Titels.

Dieser Film hält ein paar inter­es­sante Erkennt­nisse für uns bereit:
1. Der Himmel ist eine große weiße Poli­zei­sta­tion.
2. Engel würden für unser Seelen­heil sogar töten.
3. Die Liebe ist eine Himmels­macht.
Zumindest im letzten Punkt geht Lebe lieber unge­wöhn­lich mit den abend­län­di­schen Vorstel­lungen konform. Aber um diese Liebe auf Erden zu etablieren bedarf es gehöriger Holz­ham­mer­me­thoden, wie eben in Punkt zwei ange­spro­chen. Die beiden Engel Jackson und O’Reilly (Delroy Lindo & Holly Hunter) erhalten von Petrus persön­lich den Auftrag, der Liebe zum Sieg zu verhelfen, und ausge­rechnet zwar im Falle der verzo­genen Millionär­s­tochter Celine (Cameron Diaz) und des naiven Hilfs­ar­bei­ters Robert (Ewan McGregor). Im Konzern von Celines Vater arbeitet Robert als Putzkraft, und als er eines Tages wegen allge­meiner Spar­maß­nahmen entlassen wird, erklimmt er zornig die Chefetage, um sich beim obersten Boss persön­lich zu beschweren. Dort kommt es zu großem Geschrei und Durch­ein­ander, und Celine, die gerade dabei war sich mit ihrem Vater zu streiten, drängt sich dem wild herum­pro­tes­tie­renden Robert quasi als Geisel auf. Die Folge ist eine etwas umständ­liche Entfüh­rung der verwöhnten Zicke durch den urharm­losen, kleinen Träumer, wobei das Opfer dem Täter die Grund­lagen seines Verbre­chens, wie Droh­an­rufe oder Löse­geld­for­de­rungen, erst beibringen muß. Und so soll allmäh­lich zusam­men­wachsen, was zusam­men­gehört. Jackson und O’Reilly sind dabei zuständig, jegliche Hinder­nisse, besonders Celines wutschnau­benden Vater (Ian Holm) aus dem Weg zu räumen, und so müssen erst diverse makabere Kämpfe über­standen werden, bis das komische Pärchen glücklich vereint ist.

Nach Kleine Morde unter Freunden und Train­spot­ting hat Regisseur Danny Boyle seinen Star, den allseits beliebten Mädchen­schwarm Ewan, diesmal mit dem allseits beliebten Männ­er­traum Cameron kombi­niert, und die beiden ergeben ein allseits beliebtes Duo. Es ist ein geradezu empörend netter Stil, mit dem die drei Briten – Regisseur Danny Boyle, Dreh­buch­autor John Hodge und Produzent Andrew MacDonald, vom Verleih das Train­spot­ting-Team genannt – ihre kleinen Film­par­ties feiern. Ohne seicht zu werden, aber wie gewohnt mit Lust an derben und absurden Späßen, gelingt ihnen hier ihr bisher fami­li­en­freund­lichster Wurf. McGregor darf der Vielfalt seiner Rollen diesmal einen herz­er­wei­chenden Naivling hinzu­fügen, und die ameri­ka­ni­schen Stars fügen sich trefflich drein; Cameron Diaz sowieso, aber auch Dan Hedaya als Petrus, der Spike-Lee-Star Delroy Lindo als pflicht­be­wußter Engel und vor allem Holly Hunter, die als toughe, feixende Engelin ihre alten Fans von Das Piano gehörig über­ra­schen wird.