The Last Showgirl

USA 2024 · 89 min. · FSK: ab 12
Regie: Gia Coppola
Drehbuch:
Kamera: Autumn Durald Arkapaw
Darsteller: Pamela Anderson, Kiernan Shipka, Jamie Lee Curtis, Dave Bautista, Brenda Song u.a.
The Last Showgirl
Kunst-Werk aus Strass, Boa und falschen Wimpern
(Foto: Constantin Film)

Illusion und Selbstverblendung

Gia Coppola erzählt mit ihrem Las-Vegas-Film »The Last Showgirl« von einer Revuetänzerin, die nach 30 Jahren Bühnen-Glamour vor dem Nichts steht. Auf berührende Art macht ihre Geschichte das Authentische des Scheins spürbar

Die Razzle-Dazzle-Show in Las Vegas, das ist Shellys (Pamela Anderson) einziger Lebens­in­halt. Seit 30 Jahren ist sie als Tänzerin in der eroti­schen Revue aufge­treten, in ihren knappen Kostümen eigent­lich nackt, nur mit etwas Strass, ein paar Federn und Engels­flü­geln ausge­stattet, irgendwo zwischen brasi­lia­ni­schem Karneval und Pariser Moulin Rouge. Der Inbegriff des Las-Vegas-Casino-Show­busi­ness, in dem sich billiger Glamour und erotische Aura unauf­lös­lich vermählen.

Shelly hat nie etwas anderes gemacht und ist mit ihren mitt­ler­weile gut 50 Jahren aus dem Zentrum immer mehr an den Rand und in die zweite Reihe des Bühnen­per­so­nals gerückt: aber sie iden­ti­fi­ziert sich ganz und gar mit dieser Rolle.

Nun soll die Show abgesetzt werden, es trifft sie wie ein Donner­schlag, ihre jüngeren Kolle­ginnen nehmen es mit Fassung, ihnen winken neue Enga­ge­ments, doch Shelly sieht sich mit dem Nichts konfron­tiert.

Zeit also, Bilanz zu ziehen und – die letzten Reserven zu mobi­li­sieren, die sie die ganzen Jahre an dieses Geschäft glauben ließen. Sie klammert sich krampf­haft an die Über­zeu­gung, dass das alles große Kunst war, der sie ihr ganzes Leben verschrieben hat. Der sie schmerz­liche Opfer gebracht hat, wie sie in jeder Künst­ler­bio­gra­phie an der Tages­ord­nung sind. Die Tochter Hannah (Billie Lourd) etwa wuchs bei einer Adop­tiv­mutter auf. Jetzt, in der krisen­haften Situation der letzten Tage der Show, sucht Shelly wieder den Kontakt zu ihr. Doch Hannah kann in der Show, die sie, um der Mutter eine Gefallen zu tun, angesehen hat, nur eine schnöde Nackt­revue erkennen. Das empfindet Shelly als narziss­ti­sche Kränkung.

So steht sie nun eigent­lich vor einem exis­ten­ti­ellen Scher­ben­haufen. Sie hat alles auf die Karte von Jugend, Schönheit und Attrak­ti­vität gesetzt und mit einem Firnis künst­le­ri­scher Selbst­ver­wirk­li­chung verbrämt: doch das, was man im Barock (dem Zeitalter der Experten des Scheins) Vergäng­lich­keit des Irdischen und vanitas genannt hätte, wird nun zum unge­rechten Schick­sals­schlag für sie.

Auch die Ersatz­fa­milie aus dem Umfeld der Show kann das nur bedingt auffangen. Mit Eddie (Dave Bautista), dem Inspi­zi­enten, war sie früher mal zusammen. Die anderen, jüngeren Showgirls, sehen in ihr eine mütter­liche Freundin. Als jedoch eine von ihnen, Jodie, ihren Beistand braucht, da wimmelt sie sie ab. Sie habe gerade Wich­ti­geres zu tun, nämlich in ehrgei­ziger Selb­stü­ber­schät­zung an einer eigenen Choreo­gra­phie zu arbeiten, was sie aber so nicht zugibt. Damit wird die Egozen­trik des Kunst­an­spruchs von Shelly deutlich gemacht. Das ist denn auch die atem­be­rau­bende Grat­wan­de­rung, auf die sich Gia Coppolas Film einlässt: an der Selbst­ver­blen­dung Shellys empa­thisch teil­zu­haben, ohne sie zu denun­zieren. Das ist ehrenwert und herz­er­wär­mend.

Man geht da gerne mit, doch die Lebens­lüge, der sie aufsitzt, hat auch ihre Beschrän­kung. Die Frage, wem diese Grenz­zie­hung zuzu­schreiben ist, umgeht der Film letztlich. Ist es das exploita­tive Show­busi­ness, das das erotische Kapital der jugend­li­chen Sexy-Körper hemmungslos der imaginären Gier zur Beute vorwirft? Oder ist es Shellys eigene Naivität? Die Über­höhung der ganzen Unter­hal­tungs­in­dus­trie zu einem Gesamt­kunst­werk aus Beiträgen der kreativen Selbst­ver­wirk­li­chung ist eine vertrackte List des Systems. Ideo­lo­gie­kri­tiker der guten alten 70er-Jahre-Linken können da nur müde lächeln (und Paul Verhoeven hat ihnen auf raffi­nierte Weise mit seinen Showgirls und ihren perfiden Intrigen in die Hände gespielt).

Doch die besondere Dynamik des Imaginären, die Gia Coppola zur Trieb­kraft ihres Films macht, hatten die nicht unbedingt auf dem Zettel. Nichts kann Shellys unauf­lös­liche Verstri­ckung ins Imaginäre nämlich besser vermit­teln als die Kame­ra­ar­beit von Autumn Durald Arkapawa, die The Last Showgirl einen unver­gleich­li­chen Look gibt.

Gedreht wurde auf analogem 16mm-Film, mit einem Spezi­al­satz von anamor­pho­ti­schen Linsen, die das 16mm-Material in spek­ta­kuläre Scope-Dimen­sionen aufblähen, was den inhä­renten Größen­wahn von Shellys künst­le­ri­schen Ambi­tionen nicht besser verbild­li­chen kann. Und es schaut vor allem großartig aus, speziell in den Szenen, in denen Shelly am meisten bei sich sein kann, auf den Dächern von Las Vegas, immer wieder im Gegen­licht der tief­stehenden Sonne mit dem Panorama auf die Kulisse der Vergnü­gungs­me­tro­pole.

Raffi­nierte Unschär­fe­zonen, Licht­re­flexe und Blur-Effekte machen diese Einstel­lungen zum Medium der Spie­ge­lungen und der Entfal­tung des Scheins, die die Illu­si­ons­ma­schi­nerie des Las-Vegas-Enter­tain­ment-Betriebs und der Traum­fa­brik Holly­woods ausmachen. Eine besondere Über­zeu­gungs­kraft gewinnt The Last Showgirl aus einem Spie­ge­lungs­ef­fekt, der über die Besetzung ins Spiel kommt.

Pamela Anderson kann als Shelly das Authen­ti­sche des Scheins besonders gut zur Geltung bringen: Mit der Serie »Baywatch« ist sie als Rote-Schwimm­anzug-Trägerin ikonisch geworden und dann offensiv Opfer ihres Image geblieben.

Auch in der Rolle von Eddie kann sich Dave Bautista mit seiner Wrestler- und Body­builder-Vergan­gen­heit gut einbringen. Doch daneben sticht Jamie Lee Curtis hervor, die als beste Freundin Annette von Shelly einen beson­deren Auftritt hat. Als Cock­tail­ser­vie­rerin in einem Spiel­ca­sino wird sie mitt­ler­weile nur noch in den weniger frequen­tierten frühen Tages­schichten einge­setzt. Sie spielt das Spiel der Eitel­keiten nicht mehr mit: in einer souver­änen Tanz­nummer zu einem Bonnie-Tyler-Song exponiert sie ihren geal­terten Körper provo­kativ und beweist so eine fröhliche Unab­hän­gig­keit von der Jugend­fi­xie­rung des Show­busi­ness, zu der Shelly in ihrer Befan­gen­heit in den Illu­sionen noch nicht gefunden hat.