USA 2015 · 118 min. · FSK: ab 6 Regie: Terrence Malick Drehbuch: Terrence Malick Kamera: Emmanuel Lubezki Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Natalie Portman, Brian Dennehy, Antonio Banderas u.a. |
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Arme auf und reinspringen: dieser Film ist philosophisches Gefühl |
Ein Erdbeben steht gleich am Anfang. Verwackelte Bilder erschüttern auch das Publikum in seiner Sicherheit, die Hauptfigur des Films erst recht, und zwar nicht nur äußerlich.
Von den ersten Sekunden an wirft einen dieser Film hinein in unsicheres Gelände: Ein Mann in der Wüste, ein Einsiedler, ein Moses, oder vielleicht ein Kreuzritter? Auf dieses erste Bild folgt ein Blick aus dem Weltraum auf die Erde. Kein Mensch kann so blicken, sondern nur ein Schöpfer – ein Gott möglicherweise. Oder ein Satellit und mit dieser künstlichen Erweiterung des Menschenauges dann eben doch der Mensch.
Das Erhabene und das Technische, Erscheinung und
übersinnliche Welt liegen immer wieder nahe zusammen bei Terrence Malick – und wer sich davor scheut, oder es nicht vermag, die Bilder jenseits ihrer Oberflächen zu entziffern, der wird vor der Verbindung aus Heiligem und Konkretem kapitulieren.
Ein göttlicher oder gottgleicher Erzähler setzt ein. Dieser berichtet von einem Vater, der seinen Sohn in ein unbekanntes Land schickte. Dieser Sohn sei ein Fürst, ein Ritter, ein Pilger, er sei bestimmt, »auf dem Grunde des Ozeans eine Perle zu finden«. Zur Erzählung dieser Fabel, die biblische Motive mit Elementen der Kreuzzugsgeschichte mischt, sehen wir einen Mann im Hier und Heute. Am Strand, in Luxusappartements, mit schönen Frauen. Aus dem Off erklingt bald auch seine Stimme. Später hören wir noch weitere Erzähler.
Burnout, Midlife-Crisis, Depression – man könnte das, was diesem Mann geschieht, je nach aktueller Mode in medizinischen, oder psychopathologischen Kathegorien beschreiben.
Worum es hier aber wirklich geht, ist etwas Grundsätzlicheres: Keine Krankheit, sondern eine philosophische Frage: Die nach dem Sinn des Lebens. Der Amerikaner Terrence Malick ist seit jeher ein Regisseur, der es ernst meint. Der zwar Filme von außerordentlicher sinnlicher Schönheit dreht, mit Stars und an spektakulären Schauplätzen. Trotzdem liegen sie denkbar weit entfernt von allem Mainstreamgeschmack. Die Themen und Fragen, die der Regisseur völlig unironisch behandelt, könnten anspruchsvoller und »größer« kaum sein: Es geht um Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern, zwischen Geliebten. Alles kommt in diesem Film von ungeheurer Dichte vor, und manchmal erzählt Malick in Szenen von wenigen Minuten, Dramen, für die andere Regisseure einen ganzen Film brauchen.
Die Form in der er das tut, erinnert sowohl an die großen Erzählbögen eines modernen Romans, in ihren inneren Monologen, gesprochen vor allem von einer Figur, aber immer auch gebrochen durch Vielstimmigkeit. Schließlich ist die Form auch musikalisch, symphonisch vor allem: In großen Bögen, mit wiederkehrenden Leitmotiven.
Der Titel Knight of Cups bezeichnet eine Figur des mittelalterlichen »Marseiller Tarot«, eines Kartenspiels, mit dessen Hilfe manche glauben, das Schicksal erraten zu können. Darauf zu sehen ist ein Ritter mit einem goldenen Kelch. Dieser »Ritter der Kelche« gilt als ein Künstler, ein Abenteurer, ein Romantiker. Die Karte steht für Offenheit, für Gelegenheiten, für Möglichkeitssinn. In den folgenden zwei Stunden deckt der Regisseur wie ein Weissager immer neue Schicksals-Karten seiner Figuren vor dem Zuschauer auf: In acht Kapiteln, die heißen wie andere Tarot-Blätter: »Der Gehenkte«, »der Turm«, »die Hohepriesterin«, »der Tod«.
Das alles geschieht in dem für Terrence Malick so typischen, fesselnden, einmaligen Stil: Fast ohne Dialoge, dafür in ständigen, aus dem Off präsenten, inneren Monologen erzählt. Zugleich ist die Kamera-Arbeit an abstrakte Malerei und Photographie der Klassischen Moderne angelehnt: Es sind betont subjektive Bilder, die durch die Welt und das Leben der Protagonisten flanieren, die so die individuelle Perspektive eines einzelnen Menschen einnehmen. Die virtuosen Bilder Emmanuel
Lubetzkis arbeiten auch immer wieder mit Verzerrungen und Unschärfen.
Lubetzkis Kamera vermeidet arrangierte Einstellungen, schwebt, tänzelt, driftet, kreist, blickt nicht so wie Kameras, sondern so, wie Menschen blicken. In diesem Fall wie ein Mann.
Rick, die von Christian Bale verkörperte Hauptfigur, der Mann vom Anfang in der Salz-Wüste, dessen Position sich der Film zu eigen macht, ist ein Hollywood-Drehbuchautor. Er ist reich, erfolgreich – einer von den oberen Zehntausend zwischen Los Angeles und Las Vegas, den beiden territorialen Angelpunkten dieses Films. Dies ist ganz offensichtlich jener Ritter, der auch ein Pilger ist, im fremden Land, beseelt von einer Mission und zugleich erfüllt von Melancholie, von Sinnlosigkeitserfahrungen. Weder seine Arbeit, noch die Liebe trösten ihn. Ein Schlafwandler, der immer wieder neue Träume träumt, wie es einmal heißt, aber eben auch ein Mensch auf der Suche nach dem Sinn im Leben, und damit der Prototyp von uns allen.
Malicks Denk- und Sehstil ist assoziativ, seinem Kino als Bewusstseinsstrom genügen kurze Andeutungen für Handlungselemente, für die andere Regisseure einen ganzen Film brauchen: Ein gravierender Vaterkonflikt, der Selbstmord des Bruders, die Unerfülltheit der Hauptfigur in seiner Arbeit und seiner Ehe. Denn vor allem geht es hier um die Suche eines Menschen nach Sinn, also nach einem Gott und nach Liebe.
Malick erzählt von der Vergänglichkeit unserer Welt, von der Dekadenz der Partys der Reichen und Berühmten, von der inneren Leere der modernen Hofgesellschaften. Und von der Verdammnis, die, wie es auch einmal heißt, einen im Alter ereilt, wenn die Stücke des eigenen Lebens sich zusammenfügen.
Demgegenüber steht sinnliche Gewissheit: Die der grandiosen Architektur von Los Angeles, die ein eigener Hauptdarsteller in diesem Film ist. Und die der Natur: Der Körper, des Wassers, des Meeres, der Tiere. Der unmittelbaren Allpräsenz des Spirituellen in der Welt. Und die der Liebe.
Terrence Malick begann seine Karriere bekanntlich als Philosoph. In seinem siebten Film lehnt sich jenes seltene Exemplar eines amerikanischen Autorenfilmers an die Dramaturgie eines der wichtigsten Werke der Philosophiegeschichte an: Wie in Hegels »Phänomenologie des Geistes« durchläuft hier die Hauptfigur stellvertretend für uns alle diverse Erkenntnisstufen. Diese Evolution des Wissens und des Selbst-Bewusstseins materialisiert sich in den Frauen, denen Rick begegnet, die er liebt: Helen (Freida Pinto), mit der er eine längere Affaire hat, seine Exfrau Nancy (Cate Blanchett), und vor allem seine große Liebe Elizabeth (Natalie Portman), die verheiratet ist, von ihm schwanger wird, sich aber entschließt, das Kind nicht zu bekommen.
So befindet sich Rick in einer Art Vorhölle und sucht leidet an dem Gefühl der Entfremdung, der Sinnlosigkeit seines Daseins: Dies ist auch ein kulturkritisches Manifest: »Niemand kümmert sich mehr um Realität«, bringt eine Frau es einmal auf den Punkt.
Mit Knight of Cups ist Terrence Malick ein grandioser Film gelungen, wunderschön anzusehen und geistreich, anspruchsvoll in seinen Anspielungen, die von Plato bis Spinoza reichen, von Beethoven bis Arvo
Pärt. Zugleich ist alles direkt, klar und sinnlich: Ein Film über die Zärtlichkeit der Welt.
Schönheit ist hier überall. Aber Schönheit wird hier nie ausgestellt, nicht konsumhaft inszeniert, sondern beiläufig vorbeigleitend wahrgenommen. Die Unfähigkeit, dieser Schönheit gerecht zu werden, ist das Thema des Films. Malicks schlafwandlerische gleitende monologisierende Filmsprache hat in der Scheinwelt der Traumfabrik, zwischen Sonnenlicht und Noirstimmung, Euphorie und Depression ihren passenden Gegenstand gefunden.
Das letzte, achte Kapitel trägt den
Namen: »Freiheit«. Der Kunst nutzt es, wenn einer frei ist.