Deutschland/Österreich 2012 · 111 min. · FSK: ab 0 Regie: Sibylle Dahrendorf Drehbuch: Sibylle Dahrendorf Musik: Josep Sanou, Arno Waschk Kamera: Philipp Tornau, Ingo Brunner, Christoph Krauß Schnitt: Oliver Karsitz, Frank Brummundt |
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Christoph Schlingensief und sein Architekt Diébédo Francis Kéré |
Man sieht Flüge, Autofahrten, weite Steppen und das Brennen der Sonne. Dazwischen Opernklänge, Menschen, die miteinander reden, oft begeistert, manchmal mitreißend, charmant, werbend, dann wieder streiten sie sich. Dazwischen Menschen, die sich erklären. Vor allem einer, den alle kennen, die sich ein bisschen für Kunst interessieren, der energiegeladen und ungemein lebendig wirkt in diesem Film, obwohl er doch schon seit 20 Monaten tot ist. Aber Christoph Schlingensief (1960-2010), um den es hier geht, ist weiterhin präsent im deutschen Kulturleben, und die Tatsache, dass man sich noch immer schwertut mit der Vorstellung, dass er nicht mehr da ist, zeigt besser, als vieles, was mit ihm verloren ging.
Natürlich ist Sibylle Dahrendorfs Knistern der Zeit eine Schlingensief-Dokumentation. Sie lebt von seinem Elan, seinem Charme, davon, dass wir alle ihn hier noch einmal quicklebendig in Aktion erleben können, und wieder ein bisschen 'was Neues, eine weitere Facette seines Werks kennenlernen. Doch das ist unsere Wahrnehmung. Denn als Film ist dies zugleich das Gegenteil einer One-Man-Show: Ein Dokumentarfilm, wie er sein soll: Nüchtern, kühl, voller Lust an der Beobachtung und eben am Festhalten des Beobachteten. Und eben dadurch entwickelt er schnell einen Sog und eine ganz eigene Emotion und Poesie.
Das Projekt ist als solches spannend und wahnwitzig genug: Ein Operndorf, ausgerechnet in Afrika. Man wird sich auch nach diesem Film streiten, ob das wirklich sein muss, ob es nicht verrückt ist, oder gar obszön, oder nicht eben doch eher genial. Schlingensief hat solche Gedanken natürlich alle mitgedacht. Aber das Denken hat ihn nicht am Machen gehindert, und wie das aussah, das beschreibt ganz konkret dieser Film. Denn es geht hier nicht um Schlingensiefs Krankheit, es geht nicht um die richtige Form von Entwicklungshilfe, es geht um Kunst und um die Begeisterung und das Glück, das sie bringen kann.
Sybille Dahrendorfs »Knistern der Zeit – Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso« erzählt die Geschichte des scheinbar unmöglichen Projekts, von den Anfängen 2009 bis zur Schuleröffnung im Oktober 2011. Der Film begleitet Schlingensief hautnah und macht sein Kunstverständnis nachvollziehbar: Kunst für Schlingensief war existentiell, war vom Leben nicht zu trennen, und übernahm eher in einem altmodischen Verständnis die Funktion einer Ersatzreligion. Erlösen sollte sie, Trost spenden. Die Provokationen, mit denen er bekannt wurde, waren nur ein Mittel zum Zweck, und oft genug auch ein Aufschrei gegen die Gleichgültigkeit der Abgeklärten. All das sieht man hier, und begreift es besser.
Schlingensief schwebte in Afrika eine »Soziale Skulptur« vor, in der Kunst und Leben verbunden wären. Sein Operndorf war also keineswegs ein Sozialprojekt, sondern ein Kunstprojekt: Ein Operndorf in der Steppe von Burkina Faso. Alles wurde und wird mit Spenden finanziert. Richtig begonnen erst 2009 als Schlingensief schon schwerkrank war. Jetzt knapp zwei Jahre nach seinem Tod, ist der erste Bauabschnitt des Operndorfs fertig. Und es geht weiter. Die Grundidee war Kunst und Leben, Oper und Alltag zu vereinen, kein zweites Bayreuth in der Savanne, aber ein Gesamtkunstwerk im Sinne Wagners, und eine Erneuerung der von Schlingensief so geliebten Kunstform Oper, die auch auf die hiesigen Verhältnisse zurückwirken würde: Als, so der Opernexperte Holger Noltze, »Grundsatzkritik an institutionellen Gewissheiten«, oder wie Schlingensief sagte »Weg zur Rückgewinnung unserer Kreativität«. Motto: »Von Afrika lernen«.
Dazu gewann er den renommierten Architekten Francis Kéré, der ein Theater in Form eines Schneckenhauses entwarf, dazu ein Schulgebäude, dann Wohnhäuser, und ringsum eine komplette Infrastruktur mit Kneipen, Hospital, und einem Fußballplatz. Ein bisschen wie ein autonomes besseres Afrika, eine Arche Noah. Sehr ehrgeizig, sehr mutig, und unbedingt ernst. Schlingensief zielte leidenschaftlich aufs Ganze.
In Dahrendorfs Film kann man das erleben: Schlingensief, mit langem Haar, das wild in alle Richtungen absteht, großen Augen im schon schmal gewordenen Gesicht, erinnert am ehesten an einen modernen Fitzcarraldo, an diese Figur des ihm seelenverwandten Werner Herzog, der sogar Berge versetzt, oder Schiffe über Berge bringt – oder Opernhäuser nach Afrika.
PS: Die Website des Projektes.