Kiss of the Dragon

USA/F 2001 · 98 min. · FSK: ab 16
Regie: Chris Nahon
Drehbuch: , ,
Kamera: Thierry Arbogast
Darsteller: Jet Li, Bridget Fonda, Tchéky Karyo, Ric Young u.a.
Wer will nochmal, wer hat noch nicht?

Der schnellste Mann von Hong Kong in Paris

Der Mann braucht keine Waffen. Er IST eine Waffe. Es steckt eine explosive Gewalt in diesem flüchtig besehen so unschein­baren Körper; dieser Kerl – man ahnt es viel­leicht, wenn man sein charis­ma­ti­sches Gesicht näher betrachtet, seinen unendlich festen, ruhigen, tiefen Blick – ist eine wandelnde Hand­gra­nate. Nur dass die Zündung bei ihm schneller erfolgt. Bis eine Kugel nur den Lauf verlassen hat, ist Jet Li schon zehnmal losge­schossen und hat seine tödlichen Kicks und Schläge ins Ziel gebracht.

Es gehört nicht zu den geringsten Freuden dieses Films, fiebernd den Moment zu erwarten, an dem dies zum ersten Mal passiert. Man weiß: dieser elegante, höfliche Mann WIRD deto­nieren. Aber Regie-Debutant Chris Nahon und Produzent/Autor Luc Besson lassen genüßlich eine gute Vier­tel­stunde lang den Deckel auf dem siedenden Topf. Erhöhen immer mehr die Tempe­ratur, häufen die möglichen Anlässe zum ersten Ausbruch der Gewalt, lassen die Kamera sinnlich gleiten und den Puls steigen. Um die Entladung dann in einem um so furio­seren Gewitter einer Action-Sequenz einher­don­nern zu lassen.

Zweimal konnte man Jet Li schon wahr­nehmen, auch wenn man nicht über den engen Teller­rand abend­län­di­schen Main­streams hinaus­lugt. Er ist dabei, sich neu hoch­zu­dienen im Westen, auch wenn er es nicht wirklich nötig hätte – in Asien ist er längst und hoch­ver­dient ein wahrer Superstar, vor allem dank Tsui Harks gran­dioser Once Upon a Time in China-Reihe.
Aber in Hollywood zählt Ruhm keinen Cent, wenn er nicht haus­ge­macht ist. Und so musste Jet Li in Lethal Weapon 4 den Bösewicht geben (eigent­lich überhaupt nicht sein Ding) und auch noch so tun, als hätte Mel Gibson im Nahkampf eine Chance gegen ihn (was zu den beacht­lichsten schau­spie­le­ri­schen Leis­tungen der letzten Jahre zu rechnen sein sollte). Musste im deutlich gelun­ge­neren Romeo Must Die erst mal an die Blax­ploi­ta­tion-Front – oder das, was davon übrig­ge­blieben ist, seit auch hier Film-Groß­kon­zerne mit Multi-Millio­nen­bud­gets das Feld besetzt haben. Denn das Blax­ploi­ta­tion-Kino hatte schon in den 70ern eine KungFu-Connec­tion; das afro-ameri­ka­ni­sche Publikum verstand als erstes in den USA, das Hong Kong-Kino zu würdigen. (Blade ist nur eine der Spät­folgen davon.) Da gab es dann Aaliyah an Lis Seite und jede Menge Compu­ter­grafik, um die knackenden Knochen sichtbar zu machen.
In Frank­reich freilich war man mit der Entde­ckung des asia­ti­schen Kinos schon immer weiter (siehe Chris­tophe Gans' Crying Freeman und Le pacte des loups). Und von da kommt nun auch der bisher über­zeu­gendste Auftritt des mehr­fa­chen Wushu-Meisters.

Besson und Nahon haben weit­ge­hend kapiert, was der eine wahre Grund ist, sich einen Jet Li-Film anzusehen: Die Kampf­szenen. (Was nicht heißen soll, dass seine Hong Kong-Werke nicht auch anderes zu bieten haben!) Der Plot ist aus altem, stabilen, zuver­läs­sigem Genre-Holz geschnitzt: Ein chine­si­scher Under­cover-Cop kommt nach Paris, gerät dort in das Komplott eines korrupten Polizei-Inspek­tors, muss unter­tau­chen, lernt eine Hure mit Herz aus Gold kennen, rettet schließ­lich sich, sie und ihre Tochter und bringt den Schurken zur Strecke. Nur im Mittel­teil des Films nimmt sich die Handlung mal eine Weile lang zu wichtig, reihen sich unnötig viele Dialog-Sequenzen anein­ander. Das trägt trotzdem, weil Tchéky Karyo und Bridget Fonda Figuren, die sehr nah am Klischee hätten gebaut sein können, erstaun­lich viel Dimension und Authen­ti­zität verleihen. Karyo nimmt man den abgrund­bösen Fiesling sowieso jedesmal auf den ersten Blick ab; besonders Fonda aber schafft ein echtes emotio­nales Gegen­ge­wicht zu all der physi­schen Action. Ihre Seelen-Blessuren wirken nicht minder fühlbar schmerz­haft als die ganzen Fight-Frakturen.

Letztere freilich kommen in diesem Film endlich einmal wieder unge­bremst, nun ja... knackig zur Geltung. Lang hat man keinen Action-Film mehr gesehen, der sich so kompro­misslos zur nötigen Härte bekennt. Hier wird nicht zu jedem Toten ein lustig Späßle nach­ge­reicht, hier hinter­lassen Füße und Fäuste merkliche Spuren der Verwüs­tung. Und wer bisher dachte, Akupunktur sei gesund, wird sein blutiges Wunder erleben.
Jet Li ist den klas­si­schen Film-Fightern verpflichtet, allen voran selbst­ver­s­tänd­lich Bruce Lee (als deren legitimer Erbe er manchmal gehandelt wird), aber beispiels­weise auch einem Sonny Chiba. In Kiss of the Dragon bleibt er auch konse­quent am Boden, erinnert daran, dass man in Hong Kong nicht nur Wire-Stunts beherrscht, wie sie seit The Matrix mit 30 Jahren Verspä­tung nun auch im Westen populär geworden sind.
Er kickt sich durch immer heraus­for­dernde Riegen von Gegnern (und manch Mobiliar), zeigt ein schönes Spektrum seiner unglaub­li­chen Technik. Die Regie der Fight-Sequenzen hat Lis lang­jäh­riger Wegge­fährte Cory Yuen – leider aber nicht das Sagen über den Schnitt. Da nämlich offenbart sich leider doch wieder eine der grund­sätz­li­chen Vers­tänd­nis­lü­cken der west­li­chen Filme­ma­cher: Auch wenn Jet Li sonst in einer anderen Tradi­ti­ons­linie steht als Jackie Chan mit seiner komö­di­an­tisch-tänze­ri­schen Akrobatik, so betreiben doch beide rech­tei­gent­lich die Fort­set­zung des Musicals mit anderen Mitteln.
Nicht umsonst hat Fred Astaire für seine Nummern einen filmi­schen Stil entwi­ckelt, in dem möglichst wenig geschnitten wurde, die Einstel­lungen meist so lang wie möglich waren. Denn die Attrak­tion besteht ja gerade darin, dass da einer etwas atem­be­rau­bend Kunst­volles vorführt, das er jenseits aller filmi­schen Hilfs­mittel tatsäch­lich beherrscht. Das ist ein Art von Kino, die eben nicht davon lebt, dass sie die Möglich­keiten des Mediums ausschöpft, um Illu­sionen zu erzeugen. Hier ist die Kamera idea­ler­weise wirklich nur ein Aufzeich­nungs­gerät.
Bei einer guten Jet Li-Fight-Nummer kommt der Rhythmus, kommt das enorme Tempo erstmal von Jet Li selbst – der ja nicht umsonst als schnellster Kämpfer Hong Kongs gilt. Kiss of the Dragon behandelt ihn aber leider (wie bereits Romeo Must Die), als wäre er einer dieser west­li­chen Action-Stars vom Schlage Stallone, Schwar­ze­negger, Willis – man läßt ihn kaum zwei Treffer am Stück landen, ohne zu schneiden, gibt dem Publikum nie Gele­gen­heit, in Ruhe sein phäno­me­nales Können zu genießen. (Wenn man sich an west­li­chen Action-Helden orien­tieren wollte, dann wäre die Riege derer, die auch tatsäch­lich von den martial arts zum Film kamen – Van Damme, Segal, Dudikoff – der bessere Vergleichs­punkt gewesen.)
Das ruiniert den Film keines­wegs, aber es schadet ihm doch ein wenig. Sehen wir’s positiv: Es muss ja auch noch Raum für Verbes­se­rungen geben, für Jet Lis nächsten west­li­chen Film. Er ist ja grade erst auf dem Weg zum Superstar der ganzen Welt.