Keine Sorge, mir geht's gut

Je vais bien, ne t'en fais pas

Frankreich 2006 · 95 min. · FSK: ab 6
Regie: Philippe Lioret
Drehbuch: ,
Kamera: Sacha Wiernik
Darsteller: Mélanie Laurent, Kad Merad, Isabelle Renauld, Julien Boisselier, Aïssa Maïga u.a.
Lili sucht Loic

Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt

Alles ist bestens, so scheint es. Lili hat die Schule abge­schlossen, ein paar tolle Wochen in Barcelona hinter und ihr Studium vor sich. Doch dann stellt sich heraus: Ihr Bruder. Loic, ist verschwunden. Ihr Zwilling, der Mensch, der ihr am nächsten steht. Einfach abgehauen, nach einem Streit mit dem Vater und ohne eine Nachricht für Lili, so scheint es.

Ein paar Tage verstrei­chen, dann eine Woche. Lili will wissen was passiert ist, die Eltern aber mauern, und der Klet­ter­kumpel des Bruders weiß auch nicht mehr, hat nur den letzten Song des Bruders für sie, der heißt Lili.

Und sagt, dass sie endlich loslegen soll, hinaus­gehen soll, vor die Tür, in die Welt, beginnen soll zu leben. Doch Lili macht genau das Gegenteil. Para­ly­siert von den Mauern, gegen die sie rennt, das Schweigen ihrer Eltern und ihres Bruders, hört sie auf zu essen. Er muss tot sein, sagt sie, bei mir hätte er sich doch gemeldet, nach all den Nach­richten auf der Mailbox, die er nicht einmal abhört, was sie weiß, denn die ist voll. Die Hoffnung schwindet und mit ihr Lili, die zusam­men­bricht und in einer Anstalt landet, wo man ihr aus erzie­hungs­the­ra­peu­ti­schen Gründen das Handy wegnimmt, die letzte spinn­web­feine Faser, die sie noch mit dem Bruder verbindet, der Hauch einer Hoffnung, dass er noch lebt und sich meldet, irgend­wann.

Was sich so drama­tisch liest, erzählt Filme­ma­cher Philippe Lioret ohne Pathos. Statt­dessen setzt er auf Fein­ge­fühl, leise, manchmal komische Momente und den Ausdruck im Gesicht seiner Darsteller, allen voran Melanie Laurent, die für ihr Spiel mit dem Cesar, ausge­zeichnet wurde.

Die Hoffnung, so lehrt der Film eine alte Weißheit, stirbt zuletzt – und wenn sie stirbt, stirbt auch der Mensch. Nehmt mich mit, ich sterbe hier, sagt Lili zu Léa und ihrem Freund, dem Meteo­ro­logen Thomas, die sich heimlich, gegen die Anweisung der Ärzte in ihr Kran­ken­zimmer geschli­chen haben. Das Handy aber muss natürlich mit, das letzte Manifest der Hoffung. Doch als Thomas den Spind aufbricht, wird er ertappt, und der Flucht­ver­such scheitert. An diesem Tiefpunkt keimt dann endlich doch noch Hoffnung: kein Anruf, aber eine Karte von Loic trifft ein.

Lili kehrt zurück ins Leben, oder besser, in ein Zwischen­reich zwischen Lebensmut und tödlicher Verzweif­lung.

Statt zu studieren nimmt sie einen Job im Super­markt an, und wären da nicht Lea und Thomas würde sie völlig aus der Welt fallen, so scheint es. Lili beginnt, in die Städte zu reisen, aus denen die Post­karten kommen, kreuz und quer durch Frank­reich. Doch Loic, einem Phantom, einer flüch­tigen Chimäre gleich, ist immer schon fort, wenn sie auftaucht. Erst als Lili sich wieder auf das Leben einlässt, klärt sich auch das Rätsel um ihren Bruder, und löst sich in einer Wendung, die die Geschichte, sekun­den­schnell in eine andere Dimension kata­pul­tiert.

Der Film ist kein Thriller, wie oft fälsch­lich ange­kün­digt, auch kein echtes Fami­li­en­drama. Vielmehr geht es darum, eine zutiefst mensch­liche Geschichte zu erzählen, von Hoffnung und Verlust, von Liebe und den Verlet­zungen, die in ihrem Namen begangen werden, von Vergebung, Vers­tändnis und Neuanfang.

Als Lili noch in der Klinik liegt, schenkt Thomas ihr ein Buch. Es erzählt von einer Reise ans Meer. Lili ist sich nicht sicher, ob die Geschichte gut endet – oder nicht. Irgendwie sowohl als auch so scheint es. Und ihrgendwo dazwi­schen diffun­diert auch dieser Film. Wie das Leben, eben.