Jeanne du Barry

Frankreich 2023 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: Maïwenn
Drehbuch: , ,
Kamera: Laurent Dailland
Darsteller: Maïwenn, Johnny Depp, Melvil Poupaud, Pierre Richard, Pascal Greggory u.a.
Zum Gemälde erstarrt: Johnny Depp
(Foto: Wild Bunch/Alamode/Central)

Schlechtwetter über Versailles

Maïwenn verwandelt die Mätresse von Ludwig XV. in eine tragische Gestalt und verhilft Johnny Depp zu einem faszinierenden Leinwand-Auftritt

Johnny Depp gibt einen wunderbar aura­ti­schen König. Nie kann man sich gänzlich sicher sein, was hinter der Fassade vor sich geht, obwohl eine ganze Meute im täglichen Ritual dabei zusehen darf, wie diese Fassade aufge­schminkt wird. Depp vermag es, den ganzen Frust eines banal gestrickten, aber dennoch eigen­sin­nigen Charak­ters in einen Augen­ver­dreher zu legen. König Ludwig wird seine Majestät zur Last. Die antrai­nierten Routinen schleppen sich so dahin. Eine Trau­rig­keit hat sich über die starre Maskerade gelegt, die Depp ganz hervor­ra­gend verkör­pert. Maïwenn an seiner Seite, sie spielt seine berühmte Kurtisane, gelingt nun mit ihrem entwaff­nenden Spiel, wieder Leben in den Alltag dieses Königs zu tragen.

Die Begegnung zwischen beiden sorgt für Spannung in der Luft. Unnah­bar­keit ist Ludwigs Stil, die Formel seiner Insze­nie­rung. Selbst dann, wenn man nur wenige Meter entfernt steht. Wenn Frank­reichs König vorbei­schreitet, sind behutsame Blicke gefragt. Da: Hat er einen gerade ange­schaut? Der erwiderte Augen­auf­schlag wird zum Skandalon. Blick­wechsel zwischen Ludwig und der Prosti­tu­ierten Jeanne mischen Versailles im 18. Jahr­hun­derts gehörig auf. Maïwenn, zugleich Regis­seurin, Ko-Autorin und Haupt­dar­stel­lerin, hat der histo­ri­schen Jeanne du Barry ein opulentes, würde­volles Porträt gewidmet. Es funk­tio­niert bestens als Gegen­s­tück zu Sofia Coppolas Marie Antoi­nette. Dort durfte Jeanne wenig mehr als die miss­trau­isch beäugte Persona non grata sein. Maïwenn wechselt nun die Perspek­tive.

Ihr sehens­werter Film arbeitet Jeannes Kindheit und Jugend im Schnell­durch­lauf ab: Aufwachsen in einfachen Verhält­nissen, Rauswurf aus dem Kloster, Einstieg in die Prosti­tu­tion und schließ­lich das arran­gierte Treffen mit dem König. Wie durch Zufall soll Ludwig XV. auf sie aufmerksam werden und tatsäch­lich – der Frus­trierte ist Feuer und Flamme für die junge Frau. Doch die neue Geliebte an der Seite des Königs ist vielen ein Dorn im Auge.

Maïwenn gräbt nach dem Mensch­li­chen unter Perücken, Kleidern, Puder­wolken. Das meint vor allem: das Hässliche des Menschen, seine bösar­tigen Seiten. Man tritt nach unten, hat man sich erst einmal in einem bestimmten Status einge­richtet. So golden die Gitter­s­täbe rund um Versailles schimmern, so dunkel dräuen Unwet­ter­wolken über dem Schloss. Jeanne du Barry nähert sich diesem Ort durch eine Reihe abge­schot­teter Kammern, hinter deren verzierten Türen irgendwo der König lauern soll. Als Jeanne an den Hof kommt, muss sie zunächst einen regel­rechten Parcours absol­vieren, um sich zu diesem Zentrum der Macht und der Welt vorzu­ar­beiten. Erst die gynä­ko­lo­gi­sche Musterung, dann das Studieren der Gepflo­gen­heiten. Anschließend gewährt man Jeanne Einlass in die Gemächer, wo der König im Halb­dunkel sitzt und sich noch immer kaum zu erkennen gibt.

Kostüm­kino der alten Schule

Es gehört Selbst­be­wusst­sein dazu, einen solchen Kostüm­schinken so ganz ohne post­mo­derne Spie­le­reien, ohne größere Meta-Ebenen in seiner geschlos­senen Illusion zu insze­nieren. Ironische Brüche bringt höchstens das verschmitzte Spiel von Maïwenn und Johnny Depp in den Film. Irgend­wann turteln sie durch ihre eigene Paral­lel­welt, die permanent unter Beob­ach­tung steht. Jeanne du Barry umschifft trotz konser­va­tiver Ästhetik dennoch das Anti­quierte. Da gibt es immer noch jede Menge zu entdecken im Mythos Versailles! Maïwenn schärft den Blick auf seine Mecha­nismen, die all das dekadente Schau­spiel durch­dringen. Klug werden dabei Distanzen einge­nommen: Hinter einem Einweg­spiegel beob­achtet Jeanne die groteske Morgen­rou­tine des Königs, wie Sipp­schaft und Gefolge in das Schlaf­zimmer drängen. Privates und Öffent­li­ches werden im Fluss insze­niert. Unter­su­chungen werden vorge­nommen, Kleider angelegt, Puder aufge­tragen. Dann geht es – Klack, Klack, Klack – rückwärts trappelnd wieder aus dem Zimmer. Dem König bloß nicht den Rücken zukehren! Jeanne du Barry lässt die ganze Befremd­lich­keit des Hofze­re­mo­ni­ells, die malträ­tie­renden Körper­prak­tiken von Versailles studierbar werden.

Selbst­dis­zi­pli­nie­rung, Zügelung, Kontrolle – das sind die Maßgaben für das eigene Auftreten und sie sprechen ebenso aus den strengen Formen der Gärten und Wege, die der Film in starren Aufnahmen zeigt. Innendrin sind Zimmer­wände mit Panoramen und anderen Malereien verziert. Man will die Dimen­sionen des Raums aufsprengen, während all das Geröll, all der Prunk und Protz, der Plüsch, die Himmel­betten und Kande­laber erdrü­ckender kaum sein könnten. Tanzt man hier aus der Reihe, ist man des Spottes gewiss. Jeanne sorgt nicht nur für Mode­skan­dale. Man hält sie für eine obszöne Frau. Und die Fronten am Hof verhärten sich, als die junge Marie Antoi­nette als Gegenpol nach Versailles kommt.

Im Schatten leben

Einer zentralen Frage muss sich der Film jeden­falls stellen: Wie reprä­sen­tativ sind solche Lesarten histo­ri­scher Gestalten tatsäch­lich für eine eman­zi­pa­to­ri­sche, kritische Erzählung im 21. Jahr­hun­dert? Maïwenn versucht, gewisse zeitlose Dynamiken von Sexismus, Klas­sismus, Rassismus abzu­bilden. Erstaun­lich ist jedoch, dass sie anhand von Jeannes Aufbe­gehren kein Erbau­ungs­kino strickt, sondern vielmehr dessen Scheitern vorführt. Das ist trotz aller Necke­reien und Unbe­schwert­heit, die die Prot­ago­nistin verströmt, ein tief­trau­riges Werk!

Jeanne sucht nach Teilhabe und Aufstieg in der Welt: »Ihr Schicksal war es, im Schatten zu leben.« Maïwenn insze­niert irgend­wann die zerfal­lende Liebe zweier, deren Beziehung nur Utopie bleiben kann. Als der König zu sterben droht, greift Angst um sich, wieder in der Versen­kung zu verschwinden. Und natürlich wird nicht Jeanne, sondern Ludwig der Höhepunkt des Film gewährt. Viel­leicht ist diese Grau­sam­keit in der Fokus­ver­schie­bung der eindrück­lichste Kommentar, den er vornehmen konnte. Sollte es Jeanne du Barry überhaupt um eine struk­tu­relle Reform gehen, sieht man hier ihr Zerschellen an fehlender Soli­da­rität.

Einmal die fehlende Soli­da­rität unter den Frauen, die die männliche Herr­schaft verin­ner­licht haben und am Hof ihre Regeln durch­setzen. Sie machen Jeanne als Stör­faktor aus. Und schließ­lich die fehlende Soli­da­rität einer ganzen Klasse, die in der Barry eine Verrä­terin sehen wird. Das ist besonders hinsicht­lich der Geschlech­ter­frage ein etwas schlichtes, über­holtes Bild von Femi­nismus: Er scheitert vermeint­lich nur, weil andere Frauen nicht mitziehen wollen, während Männer bloß ihre Füße still­halten müssen. Aber sein diskur­sives Potential rettet diesen Film überhaupt davor, sich in seiner histo­ri­schen Welt und all ihrer üppigen Ausstat­tung zu verbar­ri­ka­dieren. Seine erbar­mungs­lose Unter­gangs­ge­schichte öffnet ihn mit Brisanz für die Gegenwart.

Eine Frauenphantasie

Regisseurin Maïwenn erzählt von einer Frau, die mit Stolz ihren Körper und ihren Geist verkauft

»Ich lernte auf einem neuen Instru­ment zu spielen – dem Publikum.«
Pola Negri, 1920 über ihre Haupt­rolle in Madame Dubarry

»Provo­ka­tionen sind etwas Gutes. Sie bringen die Leute dazu, über die Welt und über sich selbst nach­zu­denken. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles rosa, sauber und heraus­ge­putzt ist, die Vorstel­lung finde ich wider­wärtig.«
Maïwenn

Barbie­land oder Berlin-Prenz­lauer-Berg sind offen­sicht­lich nichts für die Welt der Du Barry und die ihrer Regis­seurin. Mit der Feier von Liber­ti­nage, Neugier, »Grace« (also Anmut) setzt dieser Film grund­sätz­lich die richtigen Zeichen. Er ist eini­ger­maßen unzeit­gemäß. Denn er zeigt das Leben der Menschen nüchtern und kühl, sozusagen anti-idea­lis­tisch: Als ein Leben, in dem es um Geld geht, um Macht und Karriere; es ist ein sehr unver­blümtes mensch­li­ches Streben nach Überleben und Genuss, das hier nicht durch Moralor­na­mente ummäntelt wird.

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Wenn ein Kind kurz weint, dann kann das ein treff­li­cher, besonders schöner Film­mo­ment sein. In Jeanne du Barry bekommt die Titel­figur, die Mätresse Royale vom König ein Geschenk. Das große Paket öffnet sich, erst langsam, daraus erhebt sich dann ein schwarzer Junge von etwa sechs Jahren. Er wird der Hofmohr der könig­li­chen Favoritin werden, und später – aber das ist nicht mehr im Film – wird er sie verraten, denun­zieren beim Wohl­fahrts­aus­schuss der Revo­lu­tion, und auslie­fern an die Guil­lo­tine, mit der die Anwälte einer besseren Zukunft die Gegenwart säuberten.
Aber noch hat man Mitleid, noch sieht man ein verun­si­chertes, ange­sichts der Hofge­sell­schaft einge­schüch­tertes Kind. Ein paar Tränen kullern da über das schwarze Bäckchen. Eine heraus­ra­gende Szene in einem durch­schnitt­li­chen Film.

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Es gibt Paral­lelen zu größeren Vorbil­dern: Natürlich denkt man bei Jeanne du Barry, dem neuen Film der Regis­seurin Maïwenn, der im Mai das dies­jäh­rige Cannes-Film­fes­tival eröffnete, an Stanley Kubricks Barry Lyndon – aber damit hat das alles nichts zu tun. Natürlich denkt man auch an Marie Antoi­nette von Sofia Coppola, aber auch damit hat es nur sehr sehr wenig zu tun. Obwohl die histo­ri­sche Figur der öster­rei­chi­schen Prin­zessin, die 20 Jahre später als Königin auch ihren Kopf verlieren wird, auch in diesem Film vorkommt.

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Und man denkt an Lubitsch: Ernst Lubitsch und nicht zuletzt sein Produzent Paul Davidson hatten unmit­telbar nach dem ersten Weltkrieg gegen heftigste Skepsis der übrigen Film­wirt­schaft einen histo­ri­schen Monu­men­tal­film insze­niert, mit immensem Aufwand, um mit den Italie­nern und Ameri­ka­nern auf dem Weltmarkt zu konkur­rieren. Im Dezember 1920 lief Madame Dubarry unter dem Titel Passion als erster deutscher Film in New York an. Er wurde die Sensation am Broadway, spielte in den USA eine Million ein und etablierte den deutschen Film nach dem verlo­renen Weltkrieg wieder weltweit. Emil Jannings und Pola Negri wurden zu sehr frühen inter­na­tio­nalen Stars. In Deutsch­land erschien die Geschichte eines einfachen Mädchens aus dem Volk, das zur Mätresse des Königs von Frank­reich aufsteigt und durch seine unbeküm­merten Gunst­ver­gaben schließ­lich die fran­zö­si­sche Revo­lu­tion auslöst, schon früher, zu einer Zeit, in der gerade die Revo­lu­tion auf Deutsch­lands Straßen tobte.

Das zeit­genös­si­sche Publikum wollte im Kino aber lieber die Wirt­schafts­mi­sere und die Polit­wirren vergessen; es rannte eher wegen des Liebes­me­lo­drams in die Kinos. Lubitsch spielte geschickt mit höfischem Prunk des Rokoko und den raffi­niert und detail­voll choreo­gra­phierten Massen­szenen histo­ri­scher Gegen­welten, die zum Inbegriff des damaligen Infla­ti­ons­kinos wurden. Kino: Bigger than life. »Heute«, schrieb später Bodo Fründt in der SZ, »bewundern wir eher den genauen Lubitsch-Blick, der die Aris­to­kraten am Hofe ebenso erbar­mungslos zeichnete wie die Revo­lu­ti­onäre aus dem Volk.«

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Dieser Film nun ist einfach ein anstän­diger Film – als ganzer nichts Beson­deres. Aber er besitzt immerhin sehr viele einzelne schöne Details, szenische Edel­steine, die für sich genommen tolle Kino-Momente sind.

Dies ist auch ein Film voller Ironie, der in seinen besten Momenten unserer Gegenwart einen sehr scharfen, sehr fremden Spiegel vorhält: Radikales Form­be­wusst­sein gegen die Form­lo­sig­keit vieler heutiger Verhält­nisse; Genuss gegen Puri­ta­nismus; Groß­zü­gig­keit und Mensch­lich­keit gegen Klein­geis­tig­keit und Cancel-Lust unserer Gegenwart.

»Le Bien Aimé«, den »Viel­ge­liebten« nannte man Ludwig XV. doppel­sinnig: Ein Lebemann, ein König, der sehr viele Mätressen hatte, der den Liber­ti­nage gefeiert hat, und über dessen Regime die Menschen, jeden­falls die der soge­nannten »besseren Kreise«, damals sagten, dass es sich um eine der glück­lichsten Epochen der Mensch­heits­ge­schichte gehandelt habe. Ludwig hat sich selbst das Leben schön gemacht, daran könnte man sich so oder so ein Beispiel nehmen. Und er hat auch dafür gesorgt, dass es seine Unter­tanen ebenfalls möglichst friedlich und gut hatten. Den Umständen entspre­chend.

Johnny Depp spielt diesen König. Und dies ist tatsäch­lich der Film von Johnny Depp: Es gibt ein paar Momente, in denen er richtig aus dem Vollen schöpft, in denen sich witzige Kontraste und Paral­lelen zwischen der Schau­spieler-Persona und der Rolle ergeben. Hier sieht man eben auch einen Filmstar, der sich lustig macht über den Star-Betrieb und den Film­be­trieb, der bekannt­lich auch viele höfische Seiten zeigt.

Alles in diesem Film ist Form, alles ist nur Theater, nur Perfor­mance. Es geht unentwegt auch auf der Leinwand um Insze­nie­rung, und alles ist große Insze­nie­rung: Versailles selbst, der Auftritt des Königs und seiner Mätressen dort und der diversen verschie­denen Figuren bei Hofe.
Aber auch der Film selbst mit einer Regis­seurin, die auch noch die Haupt­rolle spielt – und das zu eitel, und oft etwas über­for­dert.

Wenn nicht eine Frau den Film insze­niert hätte, dann würde man von einer Männer­phan­tasie sprechen: Denn die Heldin ist eine Frau, die ihren Körper und ihren Geist verkauft, die alles einsetzt, um aufzu­steigen, und die damit aber überhaupt kein Problem hat.
Die Männer­phan­tasie wird zu einer Frau­en­phan­tasie.