Jenseits des Sichtbaren – Hilma af Klint

Deutschland 2018 · 98 min. · FSK: ab 0
Regie: Halina Dyrschka
Drehbuch:
Kamera: Alicja Pahl, Luana Knipfer
Schnitt: Antje Lass
Großflächige Malaktion
(Foto: mindjazz pictures)

Neu entdeckte Visionärin

Die Schwedin Hilma af Klint malte 1906 ihr erstes gegen­stands­loses Gemälde. Das war fünf Jahre vor Wassily Kandin­skys von ihm selbst als erstes abstraktes Gemälde der Welt bezeich­netem Bild von 1911. 1908 traf Rudolf Steiner beide Künstler. Er besaß Fotos von Hilma af Klints Gemälden. Wurde Kandinsky durch Hilma af Klint inspi­riert?

Die Doku­men­ta­tion Jenseits des Sicht­baren – Hilma af Klint begibt sich auf eine faszi­nie­rende Entde­ckungs­reise in das Werk einer bisher kaum gewür­digten Pionierin der Modernen Kunst. Im Rahmen einer großen Schau der Abstrakten Kunst unter­schlug das MoMA die Künst­lerin, von der das Museum kein einziges Werk besitzt. Verwun­dern tut dies weniger, wenn man weiß, dass Hilma af Klint ihre abstrakten Bilder zu Lebzeiten kaum öffent­lich zeigte und zudem verfügte, dass die Werke erst 20 Jahre nach ihrem Tod öffent­lich zugäng­lich gemacht werden dürfen.

Auf einer Seeka­det­ten­schule lernte Hilma af Klint Navi­ga­tion und Astro­nomie. Auf einer Kunst­aka­demie lernte sie zusammen mit erstaun­lich vielen anderen Frauen Akt- und Porträt­zeichnen. Porträts und Land­schafts­bilder bestimmen ihr Frühwerk. Von der Natur entlehnt erscheinen auch viele Formen ihrer sich ab 1906 anschließenden abstrakten Gemälde: Immer wieder Kreise und Ovale, Schleifen und Spiralen und an Blüten­blätter erin­nernde Formen­schöp­fungen. Dazu kommen noch zahl­reiche Strahlen, die an Darstel­lungen aus dem Bereich der Atom­physik erinnern. Hilma af Klint beschäf­tigte sich auch mit der Rela­ti­vi­täts­theorie und der Quan­ten­physik.

Das ist ein Aspekt des »jenseits des Sicht­baren« ange­sie­delten Werks. Hinzu kommt die Beschäf­ti­gung mit Spiri­tua­lität und Theo­so­phie. Die Künst­lerin hat nicht nur über 1000 Gemälde hinter­lassen, sondern auch über 25.000 Seiten an Notiz­büchern. In diesen äußert sie sich über Dinge, wie die Idee, dass sie ein Atom im Universum sei. Solche philo­so­phi­schen Betrach­tungen tauchen in Jenseits des Sicht­baren immer wieder auf. Sie enthüllen, dass die Schöp­ferin leuchtend bunter abstrakter Gemälde nicht nur äußerst kreativ, sondern auch sehr nach­denk­lich war.

Doch natürlich rücken die Bilder selbst immer wieder ins Zentrum der Doku­men­ta­tion, sei es, dass das Malen eines besonders großen Gemäldes nach­ge­stellt wird, sei es, dass die Werke von Hilma af Klint mit denen ihrer wesent­lich bekann­teren Kollegen wie Kandinsky und Klimt vergli­chen werden. Die direkte Gegenü­ber­stel­lung zeigt, dass Hilma af Klint in Hinblick auf Radi­ka­lität keines­wegs gegenüber ihren berühmten Kollegen zurück­stand.

Immer wieder sehen wir die Gemälde der Künst­lerin: ausge­stellt an der Wand und in Nahauf­nahme. Dazwi­schen äußern sich verschie­dene Personen zu der großen Bedeutung der zu Unrecht noch weitest­ge­hend unbe­kannten Künst­lerin. Nicht wenige sehen in diesem Umstand einen Ausdruck der Unter­drü­ckung, mit der Frauen noch immer in der Kunstwelt zu kämpfen haben. Auch der Unwille, die einmal fest­ge­legte Kunst­ge­schichte umzu­schreiben, kommt zur Sprache. Hilma af Klint erscheint als eine für das Esta­b­lish­ment unbequeme Künst­lerlin, mit der nicht nur die Kuratoren des MoMA wenig anzu­fangen wissen.

Die Künst­lerin selbst arbeitete äußerst ziel­strebig an ihrem Werk. Nur von 1908 bis 1912 legte sie eine vier­jäh­rige Schaf­fens­pause ein, in der sie sich unter anderem um ihre erblin­dete Mutter kümmerte. Ansonsten reichte die Hingabe an das eigene Werk jedoch so weit, dass Hilma af Klint sich als nicht für Ehe und Familie geeignet ansah. Der Umfang ihres Werks zeigt, wie weit diese Widmung reichte. Es ist beein­dru­ckend, was sie erschaffen hat. Anfangs konnte Hilma af Klint gut von ihrer Kunst leben. Ihre Porträts und Land­schaften verkauften sich gut. Doch die meisten ihrer abstrakten Bilder blieben unver­kauft. Das war zum Teil wohl auch so gewollt. Das Werk sollte beisammen bleiben. Entspre­chend prekär war Hilma af Klints spätere Lebens­si­tua­tion.

Jenseits des Sicht­baren – Hilma af Klint ist eine weitest­ge­hend konven­tio­nelle Doku­men­ta­tion, die der unkon­ven­tio­nellen Künst­lerin aber aufgrund ihrer Einfühl­sam­keit trotzdem gerecht wird. Es reihen sich Gemälde, Archiv­fotos und Inter­view­partner und Aufnahmen aus der Gegenwart anein­ander. Aber alles ist auf so fein­füh­lige Weise mitein­ander verwoben, dass der Geist der Künst­lerin mit der Zeit immer heller aufleuchtet.