USA 2013 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Kenneth Branagh Drehbuch: Adam Cozad, David Koepp Kamera: Haris Zambarloukos Darsteller: Chris Pine, Keira Knightley, Kevin Costner, Kenneth Branagh, Lenn Kudrjawizki u.a. |
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Reichlich antiquiert |
Die wohl bekannteste Schöpfung des 2013 verstorbenen Schriftstellers Tom Clancy dürfte der CIA-Analyst Jack Ryan sein, der nicht nur in diversen Romanen in Erscheinung trat, sondern auch für das Kino nutzbar gemacht wurde. Seit Jagd auf »Roter Oktober« tauchte der Geheimagent, von unterschiedlichen Schauspielern verkörpert, bereits vier Mal auf der Leinwand auf, wobei jeder Film einer konkreten Vorlage Clancys entsprang. Anders verhält es sich nun mit dem fünften Auftritt des Datenanalysten, der zu den Anfängen der Figur zurückführt, sie gleichzeitig aber auch endgültig ins 21. Jahrhundert transportieren will. In eine hochkomplexe, global vernetzte Finanzwelt, die Terroristen ganz neue Angriffsmöglichkeiten bietet. Die angestrebte Modernisierung des Protagonisten bleibt jedoch nur ein vordergründiges Versprechen. Was den von Kenneth Branagh inszenierten Spionagethriller vor allem auszeichnet, sind unverstellter amerikanischer Patriotismus und das undifferenzierte Aufwärmen alter Feindbilder und Genre-Muster.
Auf den ersten Blick scheint Jack Ryan (Chris Pine) im Vergleich mit anderen Leinwandkollegen ein ungewöhnlicher Agent zu sein. Privat ist er fest gebunden. Glücklich liiert mit der hübschen Ärztin Cathy Muller (Keira Knightley), die nichts von seiner CIA-Tätigkeit ahnt. Als Undercover-Analyst, der verdächtige Transaktionen aufspüren soll, jongliert er an der Wall Street mit abstrakten Zahlen. Gefährliche Abenteuer liegen ihm seit einer schweren Kriegsverletzung, die er bei einem Militäreinsatz in Afghanistan erlitten hat, fern. Jacks Zurückhaltung zeigt sich auch, als er bei seiner täglichen Arbeit auf versteckte Konten des russischen Oligarchen Viktor Cherevin (Kenneth Branagh) stößt und von seinem Mentor Thomas Harper (Kevin Costner) den Auftrag erhält, nach Moskau zu reisen, um dem zwielichtigen Geschäftsmann auf die Finger zu schauen. Nur ungern macht sich der Schreibtischtäter auf den Weg ins ferne Russland, wo er schon kurz nach der Ankunft in einen tödlichen Zweikampf verwickelt wird, der ihn sichtlich aufgewühlt zurücklässt.
Derartige Abweichungen vom üblich kolportierten Agentenbild können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die erzählte Geschichte aus bekannten Versatzstücken zusammengebastelt ist und sich zudem einer Schwarz-Weiß-Malerei bedient, die an längst überwundene Genre-Zeiten erinnert. Auch wenn Jack Ryan als verträumter Student eingeführt wird, ist seine patriotische Haltung überdurchschnittlich ausgeprägt, wie im Prolog seine Reaktion auf die ersten Nachrichtenbilder von den Anschlägen des 11. September zeigt. Mit einem einzigen Schnitt wandelt sich der vormals unschuldige junge Mann in einen aufrechten Kämpfer, der das angeschlagene Selbstbewusstsein der amerikanischen Nation in Afghanistan wiederherstellen will, durch seine Verwundung im Kampfgebiet jedoch sehr bald auf den Boden der Realität zurückgeholt wird. Die Aufnahme seiner CIA-Tätigkeit ist vor diesem Hintergrund nichts anderes als eine Umlenkung seiner patriotischen Gesinnung auf sicheres Terrain. Immerhin kann er dem eigenen Land auch vom Schreibtisch aus große Dienste erweisen.
Weitaus problematischer als die bei genauem Hinsehen recht oberflächliche Zeichnung des Protagonisten ist die Darstellung der russischen Gegner, die den Zusammenbruch des weltweiten Finanzwesens mit einem Terroranschlag in den USA herbeiführen wollen. Antagonist Cherevin ist ein von Rachegelüsten zerfressener Mann ohne Skrupel und Moral. Ein Veteran der sowjetischen Intervention in Afghanistan (1979-1989), den das damalige Verhalten der Vereinigten Staaten zu einem rasenden Amerika-Hasser werden ließ. Die Schatten früherer Konflikte wirken nach. Der Eiserne Vorhang ist für ihn und seine Mitstreiter, zu denen auch führende Politiker zählen, noch lange nicht gefallen. Passend dazu verzichtet der Film darauf, auch nur eine einzige russische Figur von Belang aufzubieten, die halbwegs positiv gezeichnet ist. Als wäre das nicht schon Aussage genug, wird der Zuschauer auf dialogischer Ebene mehrfach daran erinnert, dass sich Jack Ryan und seine CIA-Kollegen in Russland auf gefährliches Terrain begeben, das mit westlichen Zivilisationsstandards nicht viel gemein hat.
Vorgehen und Ziele der Amerikaner sind freilich über jeden Zweifel erhaben, dienen sie doch dem Wohl der kapitalistischen Welt. Weshalb sich Jacks anfangs ahnungslose Freundin nach ihrem plötzlichen Auftauchen in Moskau – Grund ist ein halbherzig konstruierter Fremdgehverdacht – ohne Umschweife von Thomas Harper für die eigene Sache rekrutieren lässt. Vaterlandsliebe und Lust am Agentenspiel siegen hier über jegliche Vernunft. Mehr als eine attraktive Funktionsträgerin ist die Figur der jungen Ärztin jedoch nicht. Ihre Bedeutung für den Handlungsverlauf ist klar festgelegt. Das kann der Film spätestens im letzten Drittel nicht mehr verbergen, wo Cathy ganz plötzlich an den Rand der Geschichte gedrängt wird, nachdem sie ihre Drehbuchschuldigkeit getan hat.
Wäre dieser beliebige, wenig anspruchsvoll inszenierte Agententhriller vor 30 Jahren entstanden, hätte er das Publikum gewiss nicht sonderlich überrascht. Heute allerdings, da sich selbst die Welt eines James Bond einfachen Einteilungen entzieht, wirkt Branaghs Neuauflage der Jack-Ryan-Figur reichlich antiquiert und dürfte so manchen Betrachter verwundert zurücklassen.