USA 1998 · 154 min. · FSK: ab 16 Regie: Quentin Tarantino Drehbuchvorlage: Elmore Leonard Drehbuch: Elmore Leonard, Quentin Tarantino Kamera: Guillermo Navarro Darsteller: Pam Grier, Samuel L. Jackson, Robert Forster, Robert de Niro u.a. |
In der Ruhe liegt die Kraft. Heißt es jedenfalls. Ganz ruhig und geschmeidig bewegt sich das Laufband am Airport von Los Angeles. Mit ihm bewegt sich eine schöne Frau, von der man nur den Oberkörper sieht, und diese ungeschnittene, minutenlange Anfangssequenz, in der Quentin Tarantino uns Zuschauern Jackie Brown (Pam Grier), die Heldin seines neuen Films, präsentiert, gibt ausgiebig Gelegenheit, sie uns anzusehen. Leicht spöttisch scheint sie zu lächeln, vielleicht etwas unsicher, denn ganz jung ist sie sichtlich nicht mehr, aber letztlich doch selbstbewußt und in sich ruhend. Sie weiß offenbar, daß sie die ganze Zeit über angesehen wird, und das scheint ihr auch gar nicht unangenehm zu sein, im Gegenteil, fast erwartet man, daß sie der Kamera zuzwinkert. Aber dann blickt sie doch nach vorn und konzentriert sich auf den Weg, der vor ihr liegt. »Buenos Dias, Welcome on Board« ist das erste, was Pam Grier zu uns Zuschauern sagt.
Ruhig und selbstsicher, nur ein wenig zögernd, aber alles in allem im Bewußtsein der eigenen Stärken präsentiert sich wie seine Heldin auch Regisseur Quentin Tarantino in diesem langerwarteten, ersten eigenen Film nach Pulp Fiction. Es ist ein mit 12 Millionen Dollar vergleichsweise billiger Film geworden, für den sich der Regisseur fast vier Jahre Zeit gelassen hat.
Was tun, wenn alle
»Kult« erwarten ? Dies sind Tarantinos Werk und seine Person scheinbar so unwideruflich, daß er sich ziemlich alles leisten könnte, ohne seine Fans zu vergraulen, weil sie noch im dummdreistesten Auftritt irgendeine versteckte Ironie wittern würden, irgendeinen Gimmick, der ihnen genug Anlaß zu wissendem Schmunzeln geben würde.
Als wolle er selbst solcher Tarantinomania entgehen, hat Tarantino sich mit Jackie Brown auf diejenigen konzentriert, die ihm
bisher nicht wohlgesonnen waren. Immerhin hat es der 35jährige Regisseur mit zwei Filmen nicht nur geschafft, als Kult zu gelten und das Wort tarantinoesk ins Wörterbuch der 90er Jahre einzuschreiben, sondern auch alle diejenigen Gutmenschen gegen sich aufzubringen, die verlangen, daß ein Film gefälligst nicht »zynisch« zu sein hat. Will sagen: Blut darf zwar in Strömen fließen, soll aber nicht über Gebühr ins Bild kommen, Killer haben keinen Humor und dürfen böse Menschen sein, aber
gefälligst mit gutem unzynischen Kern, und Regisseure haben sich bitteschön an das Genre zu halten, in dessen Bahnen sie den Film einmal begonnen haben. Tarantino macht all das nicht, und dafür nennen ihn die Dummen unter seinen Verächtern dann eben »zynisch« und die Gebildeten unter seinen Liebhabern »postmodern«.
Zwar ist er weder das eine noch das andere, aber sicher werden wieder einige Pappenheimer mit ebendiesen Stereotypen um sich werfen, um schnell in der
Klischee-Schublade zu verwahren, wo man vor allem genauer hinschauen müßte.
Die Geschichte ist schnell erzählt, sie ist, wie so oft in Filmen der letzten Zeit, nur Nebensache und Anlaß für anderes. »Rum Punch« heißt Elmore Leonards Roman im Original, das dem Drehbuch zugrundeliegt. Es geht um eine Stewardeß in der Zwickmühle. Weil Jackie Brown dabei erwischt wurde, wie sie für ihren Exfreund, den Waffenhändler Ordell Geld schmuggelt, muß sie nun diesen, ein paar seiner
Gangsterkumpels, und die Polizei gegeneinander ausspielen, um zu überleben, und sich selbst eine zweite Chance zu geben.
Jackie Brown ist ein ruhiger Film. Ein langsamer, der sich Zeit nimmt, und viel, manchmal sogar zuviel Liebe auf Details verwendet. Atmosphärische Stimmigkeit ist das Ziel, und dies verlangt, daß Sound, Schauspieler und Tempo in rhythmischen Gleichklang kommen. Etwa wenn der Kautionsanwalt Max Cherry (Robert Forster) seine Klientin Jackie Brown zum ersten Mal sieht, als sie aus dem Gefängnis entlassen wird, erzählt Tarantino dies allein mit Bildern, die so präzise sind, daß sie alles sagen. Auch in anderen Momenten sitzt jeder Schnitt, und wir Zuschauer lernen, daß beim Film, wie beim Verbrechen, das richtige Timing einfach alles ist.
Vor allem ist dies aber ein Schauspieler-Film. Und Tarantino – das zeigt Jackie Brown so eindeutig wie bisher keiner seiner Filme – ist ein Schauspieler-Regisseur. Eigentlich müßten sie alle vor ihm auf den Knien rutschen, weil er sie so offensichtlich lieb hat, weil er ihnen die Chance gibt, sich genüßlich auszuleben vor der Kamera. Alle bekommen sie große Szenen, und hier bewähren sich Ruhe und Geduld des Regisseurs, die einem in anderen Momenten
auch einfach langatmig vorkommen kann. Den vielleicht schönsten Part hat Robert de Niro, der einen lahmarschigen Ex-Knacki spielt, der mit der schnellen Gegenwart aus Fernbedienung, Handy und automatischen Türöffnern nicht zurechtkommt. Und dann natürlich die nahezu vergessene Pam Grier, ein fast vergessener 70er Jahre-Zombie, die in der Titelrolle lebendiger wirkt, denn je.
Im Unterschied zu den Coen-Brüdern sind Tarantinos Schauplätze einfach real, keine ethnologischen
Laboratorien. Diese Menschen begegnen uns in einer Shopping-Mall, einer Tiefgarage und am Flughafen.
Natürlich ist Jackie Brown trotz alldem ein echter Tarantino-Film. Es gibt auch hier kurze, unvermittelte Gewaltexzesse, es gibt die Brüche gewohnter Erzählmuster, es gibt Genre-Mischmasch und eine allem zugrundeliegende Ironie, (die aber vielleicht gar nicht so subversiv ist, wie sie es gern wäre). All das ist sehr gut so, sonst wäre die Nostalgie, die durch diesen Film streicht, gar zu versöhnlich, die Ruhe gar zu langsam, und die Geschichte gar zu
konventionell.
Aber sichtlich geht es um Anderes. Tarantino zeigt, daß er mehr ist, als ein verspielter Provokateur und zitatengeiles Pseudogenie, das zuviele B-Movies gesehen hat. Mehr als zuvor erkennt man, daß hier einer letztlich Klassizität will, oder wie er selbst sagt: »Kino für die nächsten 40 Jahre machen«.