USA 2020 · 103 min. · FSK: ab 6 Regie: Jon Stewart Drehbuch: Jon Stewart Kamera: Bobby Bukowski Darsteller: Steve Carell, Rose Byrne, Chris Cooper, Brent Sexton, Will Sasso u.a. |
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Die Einsamkeit der Wahlkampfstrategen | ||
(Foto: Universal) |
»You gotta remember the smartest thing the Congress did was to limit the voters in this country. Out of 3 1/2 to 4 million people, 200,000 voted. And that was true for a helluva long time, and the republic would have never survived if all the dummies had voted along with the intelligent people.« – Richard Nixon zu John Ehrlichman, White-House-Tapes (1971)
»The politicians in Washington have concluded that the system can’t be all that bad because, after all, it produced them.« – DeForest Soaries, ehemaliger Vorsitzender der Election Assistance Commission
Wenn überhaupt, dürfte Jon Stewart dem deutschen Publikum als Host der US-amerikanischen Comedy-Nachrichtensendung »The Daily Show« bekannt sein, die unter seiner Leitung ab 1999, bis sie 2015 der Südafrikaner Trevor Noah übernahm, von einer rein satirischen Sendung zu einem wichtigen, zwar immer noch komödiantisch verpackten Sprachrohr avancierte, das aber zunehmend von ernstem investigativen Journalismus und kritischer politischer Berichterstattung geprägt wurde.
Diesen Erfahrungsschatz und Genre-Spagat lässt Stewart auch in Irresistible – Unwiderstehlich mit einfließen. Stewart bedient sich dafür der fiktiven Gestalt des demokratischen Wahlkampfstrategen Gary Zimmer (Steve Carell), der nach der verlorenen Wahl 2016 nach neuen Möglichkeiten sucht, die Demokraten zu reanimieren. Als seine Mitarbeiter ihm das viral gegangene Video einer Wahlkampfveranstaltung im republikanisch regierten Kaff Deerlaken, Wisconsin zeigen, in dem der Ex-Marine Jack Hastings (Chris Cooper) gegen den republikanischen Bürgermeister aufbegehrt, sieht Gary seine Chance gekommen, reist nach Deerlaken und überzeugt Jack und seine Tochter Diana (Mackenzie Davis), Jack dabei unterstützen zu dürfen, der kommende Bürgermeister zu werden und damit gleichsam ganz Amerika deutlich zu machen, dass die Demokraten fähig sind, nicht nur alte republikanische Bastionen und einen der klassischen Swing-States gleich mit einzureißen, sondern auch eine ganz neue, authentische, basisnahe Politik zu verkörpern.
Stewarts Stärke liegt nicht unbedingt in der Abgründigkeit des Plots und wirklich schwarzem, bösem Humor. Denn die Überraschungen, die Gary nicht nur von den vermeintlichen Hinterwäldlern, sondern auch von den Republikanern bereitet werden, sind recht vorhersehbar und wirken ein wenig wie mühsam gelernt und schnell aufgesagt. Klassiker wie Bill Forsyths Local Hero (1983) oder Barry Levinsons Wag the Dog (1997) haben die hier angeschnittenen Themen mit weitaus mehr Originalität, Humor, Gefühl und Tragik aufbereitet. Das liegt aber auch daran, dass Stewart weniger an den Menschen, als an einem dezidiert systemischen Ansatz interessiert ist, der allerdings durch sein auf ganzer Linie überzeugendes Ensemble »menschlich«, wenn auch nicht perfekt, so doch ganz passabel funktioniert.
Zu wirklicher Stärke läuft Stewart jedoch in seiner Kritik am politischen System der USA auf. Wie er über die Dichotomie seiner Protagonisten den unüberwindlichen Graben zwischen politischen Ideen und politischer Realität skizziert, wie er deutlich macht, dass die beiden Großparteien in den USA den Bezug zur demokratischen Basis im Grunde völlig verloren haben, nicht zuletzt durch eine dünkelhafte, selbstgerechte politische Elite in Washington, wie er die fast schon groteske Manipulation von sozialen Medien bloßlegt und wie er nicht zuletzt die »Kunst« bzw. die »Wirtschaft« des Wahlkampfs zelebriert und vorführt, das ist großes, bitterböses, satirisches Kino, für das es sich allein schon lohnt, diesen Film zu sehen. Und das nicht nur, um die im November anstehenden Wahlen in den USA besser zu verstehen, sondern auch, um einmal ganz humorlos zu hinterfragen, ob Deutschland und Europa trotz größerer Parteienvielfalt nicht an einem sehr ähnlichen politisch-populistischen Identitätskonflikt angelangt sind.
Anders als Jason Reitman in seinem hintergründigen Der Spitzenkandidat (2018) interessiert Stewart allerdings weniger, wann und wie der Verlust der Unschuld nicht nur in der amerikanischen Wahlkampfpolitik (und wohl in der Politik grundsätzlich) stattgefunden hat. Denn Stewart will wie in seiner Zeit für die »Daily Show« nicht nur analysieren und kritisieren, sondern auch versöhnen. Das gelingt mit dieser Melange aus Parabel, Märchen und Politsatire zwar überzeugend, hinterlässt aber doch auch das schale Gefühl, dass eigentlich noch viel mehr möglich gewesen wäre.