Intruders

USA/GB/E 2011 · 100 min. · FSK: ab 16
Regie: Juan Carlos Fresnadillo
Drehbuch: ,
Kamera: Enrique Chediak
Darsteller: Clive Owen, Carice van Houten, Daniel Brühl, Pilar López de Ayala, Ella Purnell u.a.
Zwischen Wahn und Wirklichkeit

Die Abgründe der Phantasie

Das Monster im Schrank ist ein berüch­tigtes Schre­ckens­ge­spinst, das Kindern und Eltern seit Anbeginn der Zeiten schlaf­lose Nächte bereitet. „Es war doch nur ein Traum“, lauten dann oft die beschwich­ti­genden Worte des Vaters oder der Mutter, die mit mitlei­digem Blick auf der Bettkante ihres Schütz­lings sitzen. Ähnlich fällt auch die Reaktion der Eltern­paare in Intruders aus: den Kindern wird unter liebe­vollen, beschüt­zenden Umar­mungen klar­ge­macht, dass ihnen ihre kindliche Phantasie wieder einmal einen bösen Streich gespielt habe. Dabei wird dem Zuschauer deutlich vor Augen geführt, wie hauchdünn die Grenzen sein können zwischen dem, was in unserem Kopf geschieht, und dem, was wirklich passiert.

Im neuen Film des spani­schen Regis­seurs Juan Carlos Fres­na­dillo werden gleich zwei Kinder von einem gesichts­losen, in einen schwarzen Umhang gehüllten Monster heim­ge­sucht. Die Erleb­nisse des Jungen Juan wechseln sich dabei mit der Geschichte des Mädchens Mia ab. Neben dem gemein­samen Schre­ckens­bild fallen zunächst die großen Gegen­sätze zwischen den beiden Kindern auf. Juan lebt mit seiner allein­er­zie­henden Mutter in Spanien. Mia und ihre glück­li­chen Eltern sind Engländer. Auch die zeitliche Distanz der beiden Geschichten ist auffällig, da Juan circa 30 Jahre früher von dem grausamen Monster um den Schlaf gebracht wird. Die Paral­le­lität der beiden scheinbar vonein­ander unab­hän­gigen Hand­lungen fällt sofort als bewusster Kunst­griff der Filme­ma­cher auf, dessen Erklärung sich aber erst gegen Ende des Films erschließt.

Als ebenso kontro­vers stellt sich der Umgang der Eltern mit den Alpträumen ihres Nach­wuchses dar. Da die nächt­li­chen Angs­tat­ta­cken zunehmen, sehen sich sowohl Juans Mutter Luisa als auch die Eltern von Mia dazu gezwungen, externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. Während die aufge­klärten Engländer ohne Umschweife die Profes­sio­na­lität eines Psycho­the­ra­peuten bean­spru­chen, setzt die Mutter aus dem streng katho­li­schen Spanien – wie sollte es anders sein – auf die Macht Gottes. Der unter­schied­liche kultu­relle Kontext, in denen die beiden Hand­lungen ablaufen, tritt hier besonders in den Vorder­grund. Die welt­li­chen Hoff­nungs­träger in ihren weißen Mänteln, die Mia durch Sprechthe­rapie und andere psycho­lo­gi­schen Tricks zu helfen versuchen, scheitern. Der Priester Antonio, verkör­pert von Daniel Brühl, sieht sich jedoch ebenso machtlos gegenüber dem unbe­kannten Schrecken, der den Jungen Juan beherrscht. Der Kampf scheint nutzlos. Wo weder Ärzte noch Priester helfen können, herrscht die höhere Gewalt in unserem Inneren: die unserer Phantasie.
Das Monster, das die beiden Kinder Nacht für Nacht in Schrecken versetzt, erinnert dabei in seinem über­großen Mantel und dem schwarzen Nichts – anstatt eines Gesichtes – an die Demen­toren aus der Harry Potter-Welt. Man fürchtet sich nicht unbedingt, wenn das ganz offen­sicht­lich compu­ter­ani­mierte Gespenst auf einen zuschwebt; eine über­spitzte Illusion, die auf die ungeheure Spann­weite und Realitäts­fremde der kind­li­chen Phantasie hinweist.

Auch wenn die Musik mit ihren zahl­rei­chen Disso­nanzen typische Horro­r­ele­mente zu bedienen scheint, lässt sich Intruders nicht eindeutig diesem oder einem anderen Genre zuordnen. Für Momente noch Psycho­thriller, kippt schon die nächste Szene in gewalt­samen Horror um. Für Hardcore-Adepten beider Genres dürfte dieses Werk deshalb etwas ernüch­ternd aufstossen, während der indif­fe­rente Kino­be­su­cher die durchaus anspre­chende Hybrid­kom­po­si­tion beider Stile als angenehme Abwechs­lung goutieren dürfte.

Das, was Intruders jedoch vor allem sehens­wert macht, ist dessen Ende. Für dieje­nigen, die über die Qualität eines Films nach den ersten dreißig Minuten Bescheid zu wissen glauben, sei dies besonders betont. Die verwir­renden Strippen, die durch die paral­lelen Hand­lungs­stränge und auftre­tenden Wider­sprüche entstehen, offen­baren sich als derartig komplex durch­dachtes Geflecht, dass bestimmte Szenen eine Wieder­ho­lung vedient hätten. Der voll­kom­mene Schock aller­dings, wie man ihn viel­leicht kennt und liebt, findet in Intruders definitiv nicht statt.

Realität und Phantasie – das sind die defi­ni­tiven Pole, zwischen denen Intruders vehement hin- und herna­vi­giert. Der Kampf zwischen diesen beiden Mächten kann über ein glück­li­ches Leben entscheiden. Die Gefan­gen­schaft der beiden Kinder im Spin­nen­netz ihrer Träume macht ihren Familien aber gerade solch ein Leben unmöglich. Paral­lelen zur Wirk­lich­keit vieler Menschen, die unter Wahn­vor­stel­lungen und anderen krank­haften Phan­ta­sien leiden, die die Verbin­dung zum Hier und Jetzt verloren haben, sind unver­kennbar. Und bei diesen handelt es sich nicht nur, wie in Intruders, um Kinder, die schlecht geträumt haben. Der Film mahnt, jenseits von illu­sio­nis­ti­schen Monstern in Mänteln, vor allem vor einer Sache: dem allzu naivem Glauben an die Selbst­ver­s­tänd­lich­keit, immer die Kontrolle über das eigene Leben und die eigene Wirk­lich­keit zu haben. Diese Mahnung mag einfach sein, ist aber nicht minder wirksam.