Tschechien 1995 · 65 min. Regie: Sasa Gedeon Drehbuch: Sasa Gedeon Kamera: Milos Kabyl Darsteller: Tatiana Vilhelmová, Klára Issová, Robert Stepánek, Jirí Ployhar u.a. |
Ein Meer von Äpfeln, ein schwimmendes Meer von Äpfeln in einer Badewanne. Plötzlich gerät das Wasser in Bewegung und ein Mädchenkopf schnellt prustend und nach Luft schnappend hervor. Sie hält ein paar Sekunden lang inne, bevor sie sich wieder in die Unterwasserwelt gleiten läßt, aus der sie dann mit großen Augen durch das Wasser hervorschaut. Lange starrt sie so vor sich hin und greift dann nach einem Apfel, den sie gedankenverloren zu essen beginnt.
Klara ist 15, sehr still und ihrer Cousine Maria, mit der sie zusammen ihre Ferien bei der Oma auf dem Land verbringt, ziemlich lästig. Das einzige Vergnügen der beiden jungen Mädchen ist die allabendliche Freiluftdisco, bei der Maria selbstbewußt ihrem unbescheidenen Interesse an Jungs nachgeht. Nach der anfänglichen Abneigung gegen Klara überwindet sich Maria schließlich, ihr ein paar praktische Tips gegen ihre Verklemmtheit und für mehr Erfolg in der Männerwelt zu geben. Doch ihre Klara lernt unerwartet rasch und Maria muß mit ansehen, wie ihre Schülerin mithilfe ihrer eigenen Tricks zur gefährlichen Rivalin wird.
Diese für junge Mädchen typische Identifikationssuche setzt Sasa Gedeon mit ruhigen, starken Bildern und zwei außerordentlich begabten jungen Darstellerinnen sehr einfühlsam um. Den ständigen Wechsel in diesem kleinen Machtspiel inszeniert er geschickt durch entsprechende bildlich-formale Positionierung der beiden Rivalinnen, ohne überplakativ zu werden. Auch gelingt es ihm, die für einen Teenager geradezu existentiell peinlichen Situationen mit großer Ernsthaftigkeit darzustellen. Den zermürbenden Minuten eines schüchternen oder kribbelnden Schweigens, mit dem die Mädchen neben ihren Verehrern am Tisch sitzen, verleiht Gedeon eine einleuchtende weltbewegenden Tragweite – ein wahres Kunststück, wenn man bedenkt, wie die schiere Unentrinnbarkeit solcher Situationen im Nachhinein banal und lächerlich erscheint.
Das Verständnis für die Befindlichkeit der jungen Mädchen zeigt sich in diesem Film vor allem durch seine ruhigen Bilder, durch das Nicht-Ausgesprochene. Wenn wir mit Klara vom Boden der Badewanne aus die surreal anmutenden hin und her schwappenden Äpfel betrachten, so sollte man nicht versuchen, diese Szenen mit der krampfhaften Suche nach Symbolismus zu vergewaltigen. Denn auch Klara selbst kennt nicht den genauen Grund für ihre Handlung. Es ist ein ähnlicher Moment des langsamen Verstehens, der ihr auch widerfährt, als sie so eindringlich in den Spiegel starrt und hinter der neuen Frisur vergeblich den gewohnten Menschen sucht.
Indian Summer ist ein Film über die Momente, die man nicht direkt erklären kann, und in denen man doch zu verstehen beginnt – Augenblicke, mit denen man so verdammt häufig zu kämpfen hat, wenn man dabei ist, erwachsen zu werden. Sasa Gedeon gelingt es, diese großen kleinen Momente einzufangen, ohne sie zu banalisieren oder sie in pathetische Bildsprache zu zwängen. Er zeigt sie so, wie sie sind: mit demselben Erstaunen, mit dem auch die Jugendlichen sie erleben, und bleibt dadurch ganz nah an deren Erlebniswelt und Sichtweise. Ein Film, der auch Erwachsene nicht losläßt.