Inside

GB/D/B/CH/GR 2023 · 105 min. · FSK: ab 12
Regie: Vasilis Katsoupis
Drehbuch:
Kamera: Steven Annis
Darsteller: Willem Dafoe u.a.
Was wiegt schwerer: Das Leben oder die Kunst?
(Foto: Squareone/24 Bilder)

Robinson Crusoe in New York

Ausbruch statt Einbruch: Vasilis Katsoupis variiert in Inside das Heist-Genre im Kunstsektor in einem radikalen Kammerspiel auf unkonventionelle Weise

»I’m pretty much fucked. That’s my consi­dered opinion. Fucked.« – Andy Weir, The Martian

Bei all dem ausge­nu­delten Heist-Genre-Hype à la Haus des Geldes mag manch einer schon gar nichts mehr davon hören, geschweige denn sehen, sind es dann eher schwer einzu­ord­nende Klassiker wie Wim Wenders' Der ameri­ka­ni­sche Freund oder über­ra­schende Gegen­warts­spiel­wiesen wie Das schwarze Quadrat, die noch über­ra­schen. Das liegt auch daran, dass sie Kunst mit krimi­neller Energie verbinden und dadurch eine weitere Rezep­ti­ons­ebene ermö­g­li­chen als nur die simple Archi­tektur des »Überfalls«.

So ist es auch um Vasilis Katsoupis' Spiel­film­debüt Inside bestellt, das erst vor wenigen Wochen auf der 73. Berlinale in der Sektion Panorama seine Premiere feierte und das klas­si­sche Heist-Narrativ gleich in den ersten Minuten wohltuend umdreht. Denn was zuerst noch wie ein spek­ta­ku­lärer Einbruch in das mit üppiger Gegen­warts­kunst bestückte New Yorker Appar­te­ment eines Star-Archi­tekten anmutet, kippt schon ein paar Minuten später in das Gegenteil, als Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe) fest­stellen muss, dass die mani­pu­lierte Alarm­an­lage nicht das tut, was sie tun soll, und Nemo plötzlich einge­sperrt ist, aus dem Einbruch also ein Ausbruch wird. Und aus dem Thriller nach und nach und immer mehr eine fast schon philo­so­phi­sche Robin­so­nade wird.

Denn was Robinson die Insel ist oder in einer neuen Version dem Marsianer Mark Watney der Mars, ist Nemo sein Appar­te­ment, das durch die lange Abwe­sen­heit seines Besitzers sehr ähnliche Quali­täten einer abge­schie­denen Insel hat. Doch statt einem Schiff, das weit entfernt vorbei­zieht, ohne ihn zu sehen, ist es die Putzfrau auf der anderen Seite der Tür, die Nemo über die noch funk­tio­nie­rende Videoü­ber­wa­chung sieht und fast fühlt, ohne dass sie seine Anwe­sen­heit auch nur ahnt. Und mit dem Essen ist es nicht viel anders als mit Mark Watney in Ridley Scotts Verfil­mung – es ist letzt­end­lich die mensch­liche Krea­ti­vität und Ausdauer, die darüber entscheidet, wer überlebt.

Katsoupis lässt es jedoch nicht bei dieser an sich schon span­nenden Trans­fer­leis­tung, sondern baut sein extremes Kammer­spiel mit einem über­ra­genden Willem Dafoe noch weiter aus. Dafoe, der ja bereits in Robert Eggers Leucht­turm klaus­tro­pho­bi­sches Allein­sein in der Zwei­sam­keit trai­nieren durfte, leistet hier nun wahre Schwerst­ar­beit. Nicht nur darf er alle Stadien der Verzweif­lung durch­laufen, die auch Robinson Crusoe, Mark Watney oder das Kunst­diebduo in Das schwarze Quadrat erlebt haben, sondern so wie Bernd Schütz als Kunsträuber Vincent Kowalski in Peter Meisters Heist-Film darf auch Nemo sich über seine Vergan­gen­heit und der Beschäf­ti­gung mit Kunst nun tatsäch­lich mit der ihn umge­benden Kunst ausein­an­der­setzen und fast so etwas wie eine äußerst ambi­va­lente Symbiose damit eingehen, während das wahre Leben über die Videoü­ber­wa­chung weiterhin an ihm vorbei­zieht wie ein Stummfilm aus einer anderen Zeit.

Diese Ausein­an­der­set­zung mit der Kunst führt dann auch unwei­ger­lich zu einer exis­ten­ti­ellen Ausein­an­der­set­zung mit dem Leben und was Kunst letzt­end­lich bedeuten kann, ob sie tatsäch­lich den Mehrwert gegenüber dem wahren Leben hat, der so oft behauptet wird. Diese Versuchs­an­ord­nung spielt Katsoupis so gnadenlos wie souverän aus und verleiht damit auch dem Titel des Films eine exotische Note, ist das »Inside« eben nicht nur das Einge­schlos­sen­sein in der Wohnung, sondern auch die Intro­spek­tion Nemos in immer neue Erkennt­nis­di­men­sionen, in denen Wider­spruch als Kern wahrer Freund­schaft ebenso erkannt wird als auch grund­sätz­liche Fragen wie: Ist niemand eine Insel oder jeder eine Insel? nicht nur eruiert, sondern exem­pla­risch und fast schon psycho­dra­ma­tisch ausge­spielt werden.

Dass das auch nach 105 Minuten in seiner formalen Strenge noch funk­tio­niert, ist sowohl Katsoupis als auch Dafoe hoch anzu­rechnen, dürfte aber auch an dem konse­quenten, kathar­ti­schen Drehbuch von Ben Hopkins liegen, der dem Ernst der Situation nicht nur das Spiel mit dem Genre unterlegt, sondern den zunehmend erodie­renden, hand­lungs­be­tonten Monolog des einzigen Prot­ago­nisten mit genug Stil­ele­menten aus dem absurden Theater würzt und damit eine nahezu beckett­sche Dimension somnam­buler Verzweif­lung erreicht.