Deutschland 2000 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Christian Petzold Drehbuch: Harun Farocki, Christian Petzold Kamera: Hans Fromm Darsteller: Barbara Auer, Richy Müller, Julia Hummer, Bilge Bingül, Günther Maria Halmer u.a. |
Es stimmt schon: Auch das Private ist politisch. Zum Beispiel Jeanne. Irgendwie verloren, nicht gerade kontaktfreudig, aber voller versteckter, immer spürbarer Sehnsucht und Neugier auf andere Menschen sitzt das junge Mädchen da im Meereswind. Die 15jährige streunt am Strand umher, irgendwo in Portugal, und es dauert eine Weile, bis man begreift, was wirklich mit ihr los ist: Nie ging sie zur Schule, sie hat weder Freunde noch ein Zuhause. Denn ihre Eltern sind untergetaucht. Früher waren sie Terroristen, die mit Gewalt die Welt verändern wollten, heute fristen sie ihre armselige Existenz als autistische Parias des digitalen Kapitalismus. Ohne Ziel, ohne Hoffnung, mit mürbe gewordenen Idealen werden die drei aus Geldmangel zur Rückkehr nach Deutschland gezwungen.
Das ist riskant, nicht nur, weil keiner von ihnen noch die Kraft hat, dieses Leben länger weiterzuführen. Sondern vor allem, weil die Logik der einstigen Ideale längst zerplatzt ist, bei den Eltern und bei den einstigen Kampfgenossen. Und weil ein Leben, in dem Flucht den einzigen Sinn darstellt, nicht zu ertragen ist. Indem Jeanne um ihr eigenes Leben kämpft, gefährdet sie zugleich das ihrer Eltern.
Barbara Auer und Richy Müller spielen dieses Elternpaar in all seiner Verlorenheit. Die eigentliche Entdeckung des Films ist aber die großartige Julia Hummer. Nuancenreich und ernsthaft ist ihr Spiel, trifft genau und gradlinig ins Herz dieser traurigen Figur, die viel zu jung Verantwortung für ihre Eltern übernehmen muss, und doch eigentlich nur endlich Kind sein will.
Christian Petzolds Die innere Sicherheit knüpft da an, wo Schlöndorffs achtbarer Die Stille nach dem Schuss aufhört. Petzold schildert nicht nur verschiedene Formen des Überlebens der ehemaligen RAF-Generation, er hat vor allem einen Film über die Einsamkeit eines jungen Mädchens gemacht. In kargen, lakonischen Bildern zeigt er die nackte Verzweiflung – und so gelingt ihm einer der eindrucksvollsten und mutigsten deutschen Filme seit langem. Das Drehbuch schrieb Harun Farocki, selbst Filmemacher und einer der Rebellen im deutschen Kino der 70er-Jahre.
Politisch steht Farocki der 68er-Bewegung nahe, um die man jetzt wieder debattiert. So irrational da argumentiert wird, so notwendig ist doch der Streit. Auch das nicht zuletzt beweist Die innere Sicherheit. Petzold gelingt eine kluge, hochsensible Reise in die Vergangenheit einer Bundesrepublik, die so alt ist wie die ungültigen Geldscheine, die Richy Müller aus einem Versteck ausgräbt, und so aktuell, wie die Frage nach Gründen und Grenzen politischer Gewalt. Der Regisseur urteilt nur indirekt mit seinen Bildern, vor allem beschreibt er, wie manchmal einfach etwas passiert, wozu andere dann schlaue Interpretationen nachliefern.