I Am Mother

Australien 2019 · 114 min. · FSK: ab 12
Regie: Grant Sputore
Drehbuch:
Kamera: Steve Annis
Darsteller: Clara Rugaard, Hilary Swank, Tahlia Sturzaker u.a.
Die Tochter und die Bot-yonen

Fürchterlich fürsorglich

Künst­liche Intel­li­genzen und Roboter befinden sich auf dem Vormarsch! Längst vorbei sind die Zeiten, in denen man Roboter nur in Form plumper Arme aus Auto­mo­bil­pro­duk­ti­ons­stätten kannte. Heute ersetzen Künst­liche Intel­li­genzen zunehmend Anwälte und Ärzte, und in Japan betreuen Roboter bereits alte Menschen und Kinder. Aber wie sehr sind diese Maschi­nen­wesen tatsäch­lich für solche Betreu­ungs­auf­gaben geeignet und wohin soll diese Entwick­lung noch führen?

Wenn man den heutigen Stand nur ein wenig weiter in die Zukunft hinein denkt, dann landet man schnell in einem Szenario wie in I Am Mother. Der Debütfilm des Austra­liers Grant Sputore zeigt ein Forschungs­labor, in dem 63.000 mensch­liche Embryos darauf warten, die Erde nach dem Verlö­schen der Mensch­heit neu zu besiedeln. Da sie das alleine nicht können, setzen einige Maschinen zunächst einen später nur noch als »Mutter« bezeich­neten Roboter zusammen. Dieser übernimmt die Auswahl und die spätere Erziehung und Pflege des ersten neuen Menschen.

Die namenlose Tochter (Clara Rugaard) lernt Origami und erhält Ethik­un­ter­richt. Dabei gibt letzterer spätes­tens dann zu denken, wenn ein Problem durch­ge­spro­chen wird, bei dem sich ein Mensch für fünf weitere aufopfern soll. In solchen Momenten fragt man sich als Zuschauer, wie weit die Mutter­ge­fühle von »Mutter« tatsäch­lich schon gediehen sind. Noch genauer ist es die Frage danach, wie mensch­lich die sich so mensch­lich gebende Künst­liche Intel­li­genz tatsäch­lich ist.

Dass es damit anders aussehen kann, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, wissen Kino­gänger spätes­tens seit dem heraus­ra­genden Sci-Fi-Kammer­spiel Ex Machina (2014). Und viel davon steckt auch in I Am Mother. Der Film ist eine Versuchs­an­ord­nung mit drei Variablen. Außer »Mutter« und »Tochter« erscheint irgend­wann noch eine Frau (Hilary Swank) von außen. Das wirft natürlich Fragen auf. Schließ­lich wurde Mutter zufolge sämt­li­ches mensch­liche Leben auf der Erde ausgelöscht.

Da wird nicht nur Tochter miss­trau­isch. Auch der Zuschauer fragt sich, was hinter dem einen runden Auge von Mutter, das verdächtig an HAL aus 2001 – Odyssee im Weltraum (1968) erinnert, tatsäch­lich vor sich geht. Denn so einschmei­chelnd mütter­lich die Stimme des Androiden auch sein mag, so sehr vermutet man hinter dem ausdrucks­losen Äußeren der Künst­li­chen Intel­li­genz eine geheime Agenda, die mögli­cher­weise weit weniger menschen­freund­lich ist, als die sich sehr verständig gebende Mutter sich selbst darstellt.

Und dieser Zwiespalt gibt genügend Stoff und Spannung für knapp zwei Stunden Film. Immer neue Wendungen geben nach und nach wichtige Zusatz­in­for­ma­tionen, die das bisher Gesehene stets in ein völlig neues Licht rücken. Dabei ist es Grant Sputore und dem Dreh­buch­autor Michael Lloyd Green hoch anzu­rechnen, dass I Am Mother selbst dann nicht seinen kammer­spiel­ar­tigen Charakter verliert, wenn stre­cken­weise imposante Szenerien von dem Geschehen außerhalb der Forschungs­sta­tion zu sehen sind.

Anders als in Spek­ta­keln wie Alex Proyas Dystopie I, Robot (2004) geht es in I Am Mother bis zum Ende um die Mutter-Kind-Beziehung zwischen einem Menschen und einem Androiden. Und diese Beziehung bleibt bis zum Schluss konse­quent ambi­va­lent. Denn anstatt ab einem bestimmten Punkt eine Moral der Geschichte laut heraus­zu­schreien, bleibt es in I Am Mother dem Zuschauer über­lassen, sich seinen eigenen Reim auf die Geschichte zu machen. Bestimmte Deutungs­ten­denzen sind zwar von Grant Sputore und Michael Lloyd Green angelegt. Aber sie lassen dem Zuschauer trotzdem die Denk­frei­heit, diese für sich auszu­buch­sta­bieren.

In Austra­lien gibt es die Idee, dass das Austra­li­sche Kino ein bestimmtes Problem habe. Demzu­folge »wissen« die meisten austra­li­schen Filme einfach nicht, welchem Genre sie zugehören wollen. Und tatsäch­lich kann man bei vielen, selbst gelun­genen Filmen aus Down Under fest­stellen, dass diese eine gewisse Unent­schie­den­heit kenn­zeichnet.

Auch in I Am Mother gibt es dieses Schweben zwischen den Stühlen. Ab einem bestimmten Punkt öffnet sich beispiels­weise in dem Film im wahrsten Sinne des Wortes das Tor zu einer neuen Dimension. Aber anstatt sich konse­quent in diese Richtung weiter­zu­ent­wi­ckeln, zieht sich der Film bald erneut in sich selbst – und somit zu seiner anfäng­li­chen Proble­matik – zurück. Doch hier ist dies ein Glücks­fall.

Menschen machen

Die Biologie hatte ihre Chance.
Es mag blas­phe­misch klingen, aber auch nur wenn man davon ausgeht, dass die Götter keinen Sinn für Verän­de­rung und Wandel haben, bzw. diesen nicht ohnehin immer schon inten­diert haben, ergo also sicher nicht über­rascht sind, bei all dem was da gerade passiert. Nur wenn sie die Kontrolle abgegeben haben, könnte es so etwas geben wie eine über­raschte Gött­lich­keit, eigent­lich auch ein sympa­thi­sches, mensch­li­ches Bild.

Die Mensch­heit bekommt eine zweite Chance.
I Am Mother beginnt scheinbar nach der Mensch­heit, an einem Ort, an dem sich zuerst kein einziges Lebewesen befindet, bis die Popu­la­tion auf 1 anschwillt, d.h. ein orga­ni­sches Wesen die Station betritt: die Tochter. Vor der Tochter wird aber erst einmal die Mutter aktiviert. Sie definiert sich schon im Titel als Subjekt, als ich und als Mutter. Dieses Ich, ein huma­no­ider Roboter (weder Android noch Gynoid), funk­tio­niert trotz minimaler Mimik erstaun­lich gut, das liegt auch daran, dass es nie versucht etwas anderes zu sein, als das was es ist: nicht-organisch. Es liegt aber auch an der warmen, weib­li­chen Stimme, die diesem eigent­lich nicht-geschlecht­li­chen Körper quasi ein Geschlecht zuweist. Eigent­lich ist das nicht nötig, ergibt sich aber wahr­schein­lich aus ihrer Program­mie­rung und Ziel­stel­lung, die eben dann doch in irgend­einer Form »konser­vativ« ist. Denn wozu brauchen Roboter sonst ein Geschlecht, außer wenn sie mit Menschen zusam­men­leben, die sich davon nicht lösen können?

Die Mutter ist Herr­scherin über eine Vielzahl von Embryonen, die nach Geschlecht geordnet sind, aus diesen wählt sie die Tochter (als Ältere: Clara Rugaard), lässt sie sich in einer ausge­la­gerten, künst­li­chen Frucht­blase entwi­ckeln und zieht sie nach der »Geburt« groß. Das ist keine biolo­gi­sche, sondern eine Art tech­ni­sche Mutter­schaft und auf jeden Fall eine soziale.

Mir ist kein Film mit einer künst­li­chen Mutter oder einem Vater bekannt, zumindest keiner, bei dem sie orga­ni­sche Kinder haben. Vater ist z.B. Bender aus »Futurama«. Trinker, Ketten­rau­cher, Spieler und sex-süchtiger Roboter (»Yeah, well, I’m going to build my own themepark, with blackjack und hookers, in fact: forget the park!«), der sowohl Affären mit Fem-Bots als auch mit orga­ni­schen Frauen hat. In einer Folge bekommt er auch ein Kind, das aber tech­ni­scher Natur ist – soweit man das so schreiben kann. In vielen Science-Fiction-Filmen dagegen geht es in die andere Richtung, also um »künst­liche« Kinder, die auf der Suche nach ihrem Vater, ihrem Konstruk­teur, einer Art zwei­köp­figer Mutter-Vater-Figur sind, z.B. die Repli­kanten in Blade Runner, David in A.I. – Künst­liche Intel­li­genz oder Sonny in I, Robot. Die Suche endet fast immer mit einem Vatermord.

Ein kurzer Exkurs zur künst­li­chen Eltern­schaft: 1970 hat die Radi­kal­fe­mi­nistin (ein Begriff, den ich eigent­lich nicht verwenden würde, aber hier nutze, um sie auch im femi­nis­ti­schen Kontext einzu­ordnen) Shulamith Firestone »The Dialectic of Sex: The Case for Feminist Revo­lu­tion« (deutsch: »Frau­en­be­freiung und sexuelle Revo­lu­tion«) geschrieben. In dem Text ruft sie die Frauen dazu auf, die Kontrolle über die Repro­duk­tion in Besitz zu nehmen, sie also nicht mehr als Werkzeug für die Unter­drü­ckung durch den Mann dienen zu lassen. Die Technik sieht sie dabei als Chance, denn inzwi­schen sei es möglich, die Repro­duk­tion der Mensch­heit nicht länger nur durch natür­liche, sondern auch durch künst­liche Fort­pflan­zung (z.B. medi­zi­ni­scher Fort­schritt als evolu­ti­onärer Vorteil: Dazu zählen auch künst­liche Befruch­tung, Kaiser­schnitt, Vorsor­ge­un­ter­su­chungen und und und, ist das nicht schon Biohacking?) sicher­zu­stellen. Dies erlaube, die »Tyrannei der biolo­gi­schen Familie« zu zerschlagen und die Entfal­tungs­mö­g­lich­keiten von Frauen zu vergrößern, weil sie u.a. von der biolo­gi­schen Notwen­dig­keit des Gebärens befreit werden. Wham, also eine befreite Gesell­schaft? Oder doch das Gegenteil? Das ist radikal und natürlich ist die Frage, ob man das will und was das bedeutet (die Repro­duk­tion der Mensch­heit scheint in Zeiten der Über­be­völ­ke­rung ohnehin sicher­ge­stellt).

Zurück zu I Am Mother, denn solche Ideen formu­lieren nicht nur teilweise die Aufhebung der biolo­gi­schen Unter­schiede der Geschlechter, sondern können auch weiter gedacht werden, wie Donna Haraway 1985 in ihrem »A Cyborg Manifesto«. Haraway plädiert dafür, die künst­li­chen Grenzen zwischen Natur und Kultur, Mensch und Tier sowie Mensch und Technik (eben auch Roboter) aufzu­heben. Denn Macht­ausü­bung wird erst durch die Konstruk­tion von Diffe­renzen, einem »Anderen« möglich (siehe auch Simone de Beauvoir). Die Cyborg ist ein Gedan­ken­spiel, eine Erzählung mit gren­zü­ber­schrei­tenden Möglich­keiten. Sie ist hybrid und unein­deutig. Neue Allianzen werden dabei nicht über Identität, sondern über Affinität gefunden – denn was bedeutet Identität auch noch in einer post­mo­dernen Welt?

Mutter und Tochter leben an einem unde­fi­nierten, fast asep­ti­schen Ort, einem Zusam­men­schluss von Räumen, der ein wenig an 2001 – Odyssee im Weltraum erinnert und diesen auch mit seinen zentral­per­spek­ti­vi­schen Einstel­lungen immer wieder zitiert. Die Räume sind ganz offenbar für mehr Bewohner*innen ausgelegt, aber die beiden bleiben erst einmal allein. Die Tochter wird von der Mutter unter­richtet und erzogen, sie bastelt viel und guckt die »Tonight Show«.
Dann kommt das Unbe­kannte in den geschützten, unwirk­li­chen Nicht-Ort. Zuerst ist es eine Maus und dann eine Frau (Hilary Swank), die verletzt um Einlass bittet. Sie gibt den Impuls, erzählt von einem Außen und die Tochter muss sich entscheiden, wem sie hilft und wer die Wahrheit sagt: Ihre Mutter oder die Fremde.

An dieser Stelle muss man mit dem Nacher­zählen der Story aufhören, um nicht etwas über den Clou zum Schluss zu verraten und die Volten, die dieser Film schlägt.

I Am Mother ist die Geschichte von Repro­duk­tion, Erziehung, alter­na­tiven Fami­li­en­formen und Eman­zi­pa­tion von den Eltern, erzählt nur mit Frauen (wenn wir die Mutter auch so einordnen wollen). Klas­si­scher­weise ist es ein männ­li­cher Held, der aufbricht in das Unbe­kannte, der sich tran­szen­diert, aktiv wird und seine Grenzen ausdehnt (siehe: Simone de Beauvoir und ihre Unter­schei­dung von Tran­szen­denz als Attribut des Mannes und Immanenz als Attribut der Frau), um schließ­lich, nach Selbst­er­fah­rung, Kampf, Leid und Sieg wieder zu einer Einheit zurück­zu­kommen. Der Mensch-Mann der Zukunft in den unbe­kannten Weiten, der in Dark Star alleine auf den Wellen des Univer­sums surft, der den einsamen Cowboy im Western ablöst, als eine Art visua­li­sierter, männ­li­cher Prototyp.

Aber das ist nicht mehr haltbar, denn was man von vielen Science-Fiction der 80er Jahre nicht unbedingt behaupten kann, allen voran der erste Termi­nator und RoboCop (na ja, bei Iron Man ist es nicht besser), so ist heute doch oft auch in der Zukunft die Gleich­be­rech­ti­gung ange­kommen. Bei Inter­stellar rettet neben dem Vater auch seine nerdige Tochter die Welt, bei Gravity schwebt neben Sandra Bullock zwar auch George Clooney herum, aber sie ist die Haupt­person und bei A World Beyond muss sich derselbe George in einer Art verkitschter Utopie-Version neben zwei sehr toughen, gleich­be­rech­tigen Mädchen auf die Suche nach Träumern (oder Visi­onären) machen – damit Dystopien nicht schon aufgrund ihrer schieren Allge­gen­wart Realität werden: Ein sehr dankens­werter Ansatz. Thema bei allen genannten Science-Fiction-Filmen ist die Natur des Menschen, aber auch die Befragung unserer Beziehung zur Technik und Speku­la­tionen darüber, wie unsere Zukunft aussehen könnte.

Philo­so­phie, Ethik, Logisches Denken, Neugierde, Vertrauen in die eigenen Fähig­keiten, aber auch tech­ni­sches Verständnis, die Tochter wird von der Mutter zu einem »guten« Menschen erzogen. Man könnte I Am Mother auch als Coming-of-Age-Film bezeichnen, was die Mensch­heit betrifft (ja, das ist jetzt leider doch zu groß für den Film, aber das ist sein Impetus) oder auch als klas­si­scher Lehrer*in-Schüler*in-Film, bei dem der Erfolg des Lehrenden dadurch eintritt, dass sich der Schüler/die Schülerin eman­zi­piert.

Die Frage, die am Ende des Filmes bleibt: Ist das, was man da gerade gesehen hat, nun eine Utopie oder eine Dystopie?

Zum Schluss noch ein Blick auf den Stab: Regie mit Grant Sputore, Kamera, Story, Drehbuch: alles Männer, ja selbst in der Mutter steckt ein Mann (Luke Hawker. Stimme: Rose Byrne, also hier vermi­schen sich immerhin die Geschlechter). Natürlich können Männer auch Filme mit weib­li­chen Heldinnen machen und umgekehrt (immerhin kommt dieser Film ohne Probleme durch den Bechdel-Test), trotzdem ist das schade, dass wieder einmal von Männern aufge­nommen wird, was an Relevanz und Bedeutung in der Luft liegt – selbst wenn es um »unsere« Frauen-Sache geht. Ich weiß, es gibt Science-Fiction über Frauen von Frauen, aber doch sehr wenige (ein Beispiel ist die Netflix-Produk­tion »Advan­ta­geous« von Jennifer Phang). Es sollte da mehr Diver­sität in alle Rich­tungen geben, gerade weil es um die Zukunft geht.