Hostel

USA 2005 · 93 min. · FSK: ab 18
Regie: Eli Roth
Drehbuch:
Kamera: Milan Chadima
Darsteller: Jay Hernandez, Derek Richardson, Eythor Gudjonsson, Barbara Nedeljáková, Jana Kaderabkov u.a.
In der Folterkammer

Baumarkt der Schmerzen

oder: Der Ameri­kaner hat’s nicht leicht

So ein Russe geht doch schon sehr preis­günstig her. Aber auch klar: Da gibt’s so viele davon – fällt einer weniger nicht auf. Und es haben, wo der Kommu­nismus weg ist, ja auch viele nix mehr Sinn­volles zu tun. Ist dann viel­leicht auch subjektiv nicht groß schade drum.

Jetzt: Ein (West-)Europäer – schon schwie­riger. Die wollen von sich aus nicht so recht, und dann Freunde, Familie, Arbeits­kol­legen schauen doch auch viel mehr drauf, dass keiner abhanden kommt. Auch Polizei viel hart­nä­ckiger. Da muss man dann schon etwas mehr inves­tieren, wenn man so einen haben will – weil einfach seltener und aufwän­diger in der Beschaf­fung. Ande­rer­seits: Ist dann auch meist gepflegter, da hat man was für’s Geld, und mehr Spaß macht’s auch, wenn der nicht eh so hoff­nungslos ist.
Aber: Es geht doch nichts über einen Ameri­kaner. Das ist doch was Reelles. Jeder möchte einen Ami umbringen, weiß man doch. Das ist, wie sollen wir sagen, quasi wie bei der Safari. Wo: Gnu, Zebra, Okapi, Scha­b­ra­cken­tapir schon nett, aber so RICHTIG ist man doch erst zufrieden – oder gar: befrie­digt –, wenn man seinen Löwen oder Elefant erlegt hat. Edel-Großwild halt, gut im Futter stehend, wehrhaft, top of the food chain. Und, muss man sagen, das schlägt sich dann halt auch im Preis nieder.

Aber wir sind uns da eben wohl selbst etwas voraus­ge­eilt. Da weiß grade viel­leicht nicht jeder, wovon überhaupt die Rede ist. Drum nochmal ein bisserl zurück.
Also: In Hostel, dem neuen Film von Herrn Eli Roth, da sind zwei ameri­ka­ni­sche College-Boy-Ruck­sack­tou­risten mit einem islän­di­schen Freund in Europa unterwegs. Um jenen kultu­rellen Inter­essen eines aufge­schlos­senen Jung-Ameri­ka­ners nach­zu­gehen, die in der nicht mit solch einer Jahr­tau­sende zurück­rei­chenden Kultur-Historie ausge­stat­teten (und puri­ta­ni­schen) Heimat angeblich nicht so selbst­ver­s­tänd­lich zu befrie­digen sind. Als da wären: Saufen, Kiffen, Ficken.
Soweit alles klar? Gut.

Wenn Sie nun auch noch all die alten Horror­filme kennen, wo Reisende durch die verwun­schene »old country« ständig auf bucklige, zahn­lü­ckige, verschla­gene Einhei­mi­sche treffen, die verschreckt auf die Nennung dieses oder jenen »Grafen« reagieren, dann können Sie sich den Rest auch noch schön vorstellen. Das Osteuropa in Hostel ist im Endeffekt nur ein Update davon. Unsere Theorie: Herr Roth hatte als Reise­führer nur den für »Molvania«. Und nicht gemerkt, dass der eine Parodie ist. »A Land untouched by modern dentistry« (oder, für die deutschen Leser, »Land des schad­haften Lächelns«) – führwahr, führwahr. Viel­leicht ja aber wollte er den Humor-Best­seller ja auch wirklich verfilmen und hat die Rechte nicht bekommen. Und das Ganze dann als Horrofilm getarnt, damit’s keiner so schnell merkt.
Jeden­falls bezeich­nendes Detail: Ein Typ schickt die US-Back­pa­cker in eine Jugend­her­berge nahe Bratis­lava. Weil da die Mädels so ungeheur schön und willig sind. Und unbe­frie­digt. Weil die Männer fehlen. Und zwar, wir zitieren: »Because of the war.«
Wegen des Kriegs. Nahe Bratis­lava. 2005.
Aha.
Da denken wir jetzt mal drüber nach.
...
Nein, wir verstehen es immer noch nicht.
Außer eben: Da haben wir Herrn Roths Osteu­ro­pa­bild in einem Satz. Weil: Osteuropa – da war oder ist doch dauernd irgendwo irgendein Krieg. Da muss man doch nicht auch noch anfangen, groß nach LÄNDERN zu diffe­ren­zieren, mein Gott. Und ansonsten gilt das selbe wie in dem (schlechten) baye­ri­schen Witz von den Männern im Wirtshaus am Stamm­tisch, wo es furchtbar stinkt und alle rätseln warum, und einer meint, das müssten »de Hund unterm Disch« sein, worauf die anderen schauen und unter dem Tisch aber keine Hunde sehen und darob ihrem Unglauben gegenüber dieser olfak­to­ri­schen Theorie Ausdruck geben, aber nur die Erwie­de­rung erhalten: »Wer'n scho no kemma.« (Für unsere Hoch­deut­schen Leser: »Sie werden sich schon noch einfinden.«)
Irgend­wann wird auch nahe Bratis­lava schon wieder Krieg sein.

Aber: Die Preis­liste. Wollten wir ja eigent­lich erklären, was es mit der auf sich hat. Hätten wir uns fast ein wenig verfranst.
Als denn: Bis hierher Hostel nun also vergleichs­weise erschöp­fend beschreibbar als Porky’s In Trans­syl­va­nien.
Aber dann: Wo im US-Horror­film die Erektion wächst, wächst Gefahr auch. Oder: Auf Sex (plus Saufen plus Kiffen) folgt Gewalt.
Drum: Und Hämmer, und Bohr, und Säg, und Schnippel! Bevor man sich’s versieht (na ja, eigent­lich eher, nachdem man sich schon fragt, wann’s in dem Film denn nunmal losgeht...), sind der Isländer und die Ameri­kaner in handliche Einzel­teile zerlegt.
Bzw. (oder, um es mit der treff­li­chen Formu­lie­rung des kleinen Sohns eines Bekannten von uns zu sagen: »Das stimmt nicht! Du hast gelügt!«): Einer der Ameri­kaner dann eben doch nicht, weil sonst wäre der Film schon vorzeitig aus.
Was jetzt von uns aus auch völlig okay gewesen wäre. Aber der Regisseur hängt halt doch dran...
Es ist nämlich so, dass die hübschen, willigen Osteu­ropäe­rinnen mit dem kriegs­be­dingten Männer­mangel in Wahrheit gar nicht so notgeil sind, sondern vielmehr (Trick!) die Geilheit der Touristen ausnutzen, um diese, schwupp, in eine tödliche Falle zu locken. Als die da wäre: Ein verlas­sener Fabrik­kom­plex etwas außerhalb der Stadt, wo sadis­ti­sche Do-it-yourself-Killer gegen Geld Opfer zur freien Verfügung gestellt bekommen und diese dann – für reich­hal­tige Instru­mente-Auswahl ist gesorgt – ganz nach Gusto quälen und metzeln dürfen. Stellen Sie sich einfach vor: OBI trifft Abu Ghreib.

Womit wir dann, hurrah!, endlich bei unserer Preis­liste sind. Weil nämlich der noch nicht gleich verein­zel­zer­teilte Ameri­kaner, nachdem er seiner Folter­zelle entkommen konnte, einmal just jener Liste ansichtig wird, die zeigt, was der geneigte Kunde denn so hinblät­tern muss für sein eigen­wil­liges Vergnügen – gestaf­felt nach Opfer-Herkunft. Wobei der junge Mann schon vorher am eigenen Leibe erfahren hat, welch zwei­fel­hafte Ehre es ist, in dieser Todes­fa­brik ein Ami zu sein. Brauchen Sie nämlich nicht glauben, dass sein Folterer da keinen Wert drauf gelegt hätte. Aber hallo! Das wurde schon genau geprüft, mit Ausweis vorzeigen und allem. Und dann aber: Der Schreck, die Enttäu­schung, dass der junge Ameri­kaner Deutsch kann! Hat der doch glatt gelernt – Gemein­heit! Italie­nisch hätte man ja noch einge­sehen. Aber ausge­rechnet Deutsch – diese Sprache der Verräter aus der bösen Koalition der Unwil­ligen.
Was aber nur beweist: Man tut den Ameri­ka­nern Unrecht. Die sind ja dem »alten Europa« gar nicht so abhold. Die wären ja gesprächs­be­reit. (Was in der Szene dann auch den Unter­schied zu dem deutsch­spra­chigen Folterer ausmacht. Der greift einfach zum Knebel.)

Und also: Wenn Hostel sonst schon nicht viel taugt (und, nein, sonst taugt er wirklich nicht viel) – als Bild der US-ameri­ka­ni­schen Befind­lich­keit, da ist er doch aufschluss­reich. Da zeigt er wie kaum ein anderer Film in jüngster Zeit, wie sich Johnny klein heute fühlt, wenn er in die böse, weite Welt hinein geht.
Diese Preis­liste: Das ist eine ameri­ka­ni­sche Fantasie par excel­lence. Die bringt’s auf den Punkt. Freilich sind sie, die US-Ameri­kaner, die Teuersten, Besten, Begehr­testen. Aber auch gejagt wie kein anderer.
Man möchte sich fragen: Ist der Ameri­kaner nun getrieben von Über­le­gen­heits­fan­ta­sien oder tiefer Verun­si­che­rung? Entscheidet’s euch! Aber genau da liegt der Witz: Er ist beides, der Arme. Paranoia goes both ways. Er fühlt sich, größen­wahn­sinnig, von Gott auser­koren, die Nationen anzu­führen. Aber er fühlt sich auch arg miss­ver­standen und geworfen in eine See von Feinden – das Böse ein Acht­achser, allübe­rall.

Dieser – um’s gespreizt auszu­drü­cken – eher global­po­li­ti­sche Aspekt vermengt und vermählt und verwurstet sich in Hostel aber auch mit einem eher intimen. Jetzt sind Fern­dia­gnosen immer so eine Sache, aber wir wagen doch die Vermutung: Der gute Herr Roth hat ein Problem. Und zwar mit Sex.
Ist freilich auch typisch ameri­ka­nisch. So oder so aber: Was in dem Film den armen Körpern alles Schlimmes angetan wird, das scheint sich schon auch aus einer unguten Aggres­sion gegen das Leibliche an sich zu speisen. S.o., Sex und Gewalt, etc.
Das war schon in Herrn Roths Debutfilm Cabin Fever so, wo ganz tradi­tio­nell auf den (versuchten) Beischlaf der grausige Tod folgte – und alle Weiblein zu aus allen Öffnungen blutenden Monstro­sitäten mutierten, während die Männlein sauber durch Schuss­waffen entsorgt wurden.
In Hostel geht das alles nicht ganz so 1:1. Aber klar bleibt: Wer von den verbo­tenen Früchten der Liebe kostet, braucht sich nachher nicht wundern, wenn ihm einer ins Bein bohrt. Und die Preis­frage »Wie heißt der derzei­tige Präsident der USA: (a) George W. Bush oder (b) Michael Moore« ist eine richtig harte Nuss gegenüber folgender: Von zwei ameri­ka­ni­schen Ruck­sack­tou­risten zeigen sich bei einem vermehrte Hinweise, dass er latent schwul sein könnte. Wer wird den Film nicht überleben: Er oder sein eindeutig hete­ro­se­xu­eller Freund?

Und braucht jetzt keiner glauben, dass dem Film da irgend­sowas wie eine reflek­tierte, reflek­tie­rende Distanz anzu­merken wäre. Das ist aber überhaupt das Komische an dem Herrn Roth: Wenn man ihn reden hört (bzw. liest), dann scheint er durchaus eine Ahnung zu haben. Aber seinen Filmen merkt man das so gar nicht an.
Dass unver­s­tän­dige Menschen ihn, bzw. seine (Mach-)Werke zur »Zukunft des Horrors« ausrufen, ist wohl ein Triumph der gekonnten Selbst­ver­mark­tung. Weil Roth in Inter­views eigent­lich meist recht schöne und vers­tän­dige Sachen sagt. Und dann tobt er sich auf der Leinwand aus, und es ist von den Fantasien eines Fünzehn­jäh­rigen nur dadurch zu unter­scheiden, dass immer mal wieder große Präten­tionen aufblitzen.
Mmmmh, nein, eigent­lich unter­scheidet sich ja grade das auch nicht von den Fantasien eines Fünf­zehn­jäh­rigen.

Eine der relativ klugen Sachen, die Roth in Inter­views von sich gegben hat, ist die Einsicht, dass die gegen­wär­tige Zukunft des Horror-Genres sowieso nicht im ameri­ka­ni­schen Kino zu suchen und finden ist.
(Was er nicht gesagt hat, was aber wir sagen – und mit vollem Ernst, jawoll –, ist sogar: Das US-Kino hat derzeit überhaupt nur noch einen einzigen wirklich für Voll zu nehmenden Horror-Regisseur. Und das ist, man glaubt’s ja kaum, aber es ist wahr, ausge­rechnet Rob Zombie, der alte Zottel­ro­cker.)
Was den Herrn Roth zu dieser Erkenntnis gebracht hat (also der, dass sein heimi­sches Kino dem anderer Länder momentan eher hinter­her­wat­schelt), das war, dass er auf Film­fes­ti­vals solcher Hämmer ansichtig wurde wie Takashi Miikes Audition oder Park Chan-Wooks Sympathy for Mr. Vengeance. Und immerhin: Da erkennt der Roth dann doch wenigs­tens Meis­ter­werke, wenn er sie sieht.
Und imitiert sie auch gleich. Und zeigt dabei sofort, wie wenig er verstanden hat, WARUM das Meis­ter­werke sind. Weil ihn daran offenbar überhaupt nichts anderes inter­es­siert hat als wie explizit und extrem da stel­len­weise die Gewalt­dar­stel­lung ist.
Und so darf dann also Meister Miike in Hostel einen kurzen Cameo-Auftritt absol­vieren, und die fiese Achil­les­sehnen-Szene aus Sympathy for Mr. Vengeance wird zitiert. Aber brauchst nicht glauben, dass Roth – film­sprach­lich ein totaler, besten­falls halb­be­wusster Lang­weiler – irgendwas von den formalen Inno­va­tionen eines Miike abgeguckt hätte. Oder dass auch nur ein Fünkchen von der über­wäl­ti­genden Trauer oder der mora­li­schen Komple­xität, die Park Chan-Wooks Werk durch­tränken, bei ihm wieder­zu­finden wäre.
Nein, Roth ist in Sachen Splatter auf dem unreifsten Level des Genres stecken­ge­blieben. Es faszi­niert ihn einfach, wenn es matscht und quatscht und patscht. Und Hostel hat somit das ganze Gewicht, die Bedeutung eines Kinder­ge­burts­tags.
(Viel­leicht sollte Roth einfach seine Präten­tionen loswerden und vom Splatter zum »Splat­stick« wechseln. Einer der wenigen Momente jeden­falls, die in Hostel dann doch unser Herz erfreut haben war, als eine Bande von ganz, ganz jungen Straßen­kin­dern sich durch eine Tüte voller Kaugummis bestechen lässt, um den bösen Verfol­gern des Prot­ago­nisten aufzu­lauern und sie dann den gestan­denen, musku­lösen Schwer­kri­mi­nellen mit Steinen die Schädel kaputt­klopfen – und das so über­zeichnet explizit, dass es zum reinen Gag wird.)

Was Roth, was Hostel in seiner Begeis­te­rung für Splatter abgeht, ist ein echtes Mitgefühl mit seinen Figuren. Mit Müh und Not bringt er das noch für seinen Prot­ago­nisten auf. Aber schon wenn’s um dessen Mit-Opfer geht: Gut für den nächsten Effekt, aber wenig mehr. Handelt sich aber haupt­säch­lich auch nur um ein japa­ni­sches Mädchen. Und der Asiate an sich ist eh so eine rätsel­hafte Sache, kennt viel­leicht ja auch gar keinen echten Schmerz. Und irgendwo ist man als Ameri­kaner dann doch auch froh, wenn die sich am Ende – wenn­gleich frag­wür­digst motiviert – selbst entsorgen. Man hat sein Bestes getan für sie, hat also ein reines Gewissen. Aber will man deswegen dann noch ewig weitere Sche­re­reien mit ihnen haben? Na eben. (Asiaten übrigens, wenn wir uns nicht verguckt haben – wofür wir nicht garan­tieren-, fehlen selt­sa­mer­weise auf unserer vieler­wähnten Preis­liste. Obwohl sie in dem Baumarkt der Schmerzen ja nach­weis­lich im Angebot sind.)
Weiter kommt man von Sympathy for Mr. Vengeance ja gar nicht weg, diesem extrem mitleids­vollen Blick auf ein extrem mitleids­loses Universum. Und selbst von Herrn Zombies The Devil’s Rejects ist das noch meilen­weit entfernt, wo mit dem Mitgefühl des Publikums hinter­hältig Achter­bahn gefahren wird und dauernd die Charak­tere, denen man eben seine Sympathie geschenkt hat, im nächsten Moment völlig unver­zeih­liche, uner­träg­liche Dinge tun, so dass man dasteht und dumm schaut und nicht weiß, wohin jetzt mit der Sympathie...

In Hostel aber gibt es am Ende nur ein paar Sekunden, in denen man auf die Idee kommen könnte, dass das Opfer im Moment der Rache seinen Jägern sehr ähnlich wird. Aber die Sekunden sind schnell vorbei, und man kann sich nicht mal sicher sein, inwieweit der Film selbst da überhaupt was gemerkt hat. Fühlt sich über­wie­gend eher an wie eine Katharsis. Gewalt reinigt Gewalt. Gutes, altes ameri­ka­ni­sches Prinzip.
Und sagen wir mal so: Wenn man diesen unreifen, halb­be­wussten, para­no­iden, sado-maso­chis­ti­schen (wichtig: nicht einfach sadis­ti­schen), mitleid­losen, verqueren Film als einen Albdruck der US-Kollek­tiv­psyche nimmt – dann wundert es einen nachher nicht, dass der Rest der Welt so seine Probleme hat, mit unseren teuren Freunden, den Ameri­ka­nern.