USA 2025 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Kathryn Bigelow Drehbuch: Noah Oppenheim Kamera: Barry Ackroyd Darsteller: Idris Elba, Rebecca Ferguson, Anthony Ramos, Willa Fitzgerald, Gabriel Basso u.a. |
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Filmisches Seismogramm der Entmachtung... | ||
(Foto: Netflix) |
Kathryn Bigelow hat wieder einen Kriegsfilm gedreht – und zwar einen der vielleicht markantesten, ungewöhnlichsten Antikriegsfilme unserer Gegenwart. A House of Dynamite, auf den Filmfestspielen in Venedig ohne Preis geblieben, aber mit 13-minütigen Standing Ovations gewürdigt, ist ein Werk von fast verstörender Nüchternheit, ein Film über den Moment vor dem Knall, über die lähmende Sekunde, in der die Welt innehält und der Mensch – oder was von ihm übrig ist – entscheiden muss, ob er weiterexistieren will. In seiner Form ist der Film ebenso radikal wie Alex Garlands Warfare, und doch ganz anders: Wo Garland den Krieg auf die Ebene der einfachen Soldaten herunterbrach, die Angst, Überraschung, Schmerz und Tod in Echtzeit erleben, verlegt Bigelow dieses Szenario in die Kommandozentralen der Macht.
Es beginnt mit einem Warnsignal. Eine Rakete mit Atomsprengkopf ist unterwegs, die Herkunft ist unklar. Sekunden später befindet sich die Regierung der Vereinigten Staaten in einem Zustand kontrollierter Panik. In drei Kapiteln – jedes auf einer anderen Hierarchieebene erzählt – führt uns Bigelow von den Analysten in den fensterlosen Räumen des Verteidigungsministeriums und des Weißen Hauses über die Strategen im Nationalen Sicherheitsrat bis in das Umfeld des Präsidenten selbst. Und dort, an der Spitze, bei Idris Elba als Präsident und Jared Harris als Verteidigungsminister, verwandelt sich das Haus der Demokratie in jenes titelgebende House of Dynamite: ein Bauwerk, das durch die kleinste Bewegung in sich selbst explodieren könnte. Doch gleichzeitig lässt sich dieses Bild von dieser Mikroebene auf die ganze Welt übertragen, in der inzwischen selbst die irrsten Autokraten Zugriff auf Atomwaffen haben.
Wie Garland in Warfare reduziert Bigelow den Krieg auf sein Skelett, befreit ihn von Heldenmythos, Patriotismus, Moral. Nur dass bei ihr der Krieg nicht draußen, sondern drinnen stattfindet. Die Frontlinie verläuft quer durch den West Wing. Ihre Figuren kämpfen nicht mit Waffen, sondern mit Codes, Terminals, Wahrscheinlichkeiten. Ihre Gegner heißen nicht Taliban, Russen oder Rebellen – sie heißen Unsicherheit, Misstrauen und Überforderung. A House of Dynamite ist ein filmisches Seismogramm der Entmachtung: die USA als Supermacht, die noch das Ritual der Kontrolle beherrscht, aber längst keine Kontrolle mehr hat.
Die Inszenierung ist hyperreal. Man spürt, dass Bigelow ihre militärische und politische Recherche wie so oft sehr ernst genommen hat. Jeder Blick, jedes Kommando, jede abrupte Stille wirkt auch dokumentarisch. Volker Bertelmanns Score – düster, pulsierend, von tiefen Streichern getragen – legt sich wie ein gleichmäßiger Herzschlag unter die Handlung, bis man nicht mehr weiß, ob das überhaupt noch ein Soundtrack oder vielmehr verpuffendes Leben ist. Kameramann Barry Ackroyd (der schon Bigelows The Hurt Locker filmte) verleiht dem Chaos Struktur: mit vibrierenden, aber nie ornamentalen Bildern.
Bigelow inszeniert den Ausnahmezustand als Ritual. Jeder Handgriff, jede Entscheidung ist Teil eines einstudierten Protokolls, das niemand mehr versteht. Diese Choreographie des Unvermeidlichen spiegelt jene, die Garland in Warfare zeigte – dort die körperliche, hier die administrative Exekution. In beiden Filmen zerbricht der Glaube an Kontrolle. Doch während Garland das „Wie“ des Krieges zeigt, zeigt Bigelow das „Warum“.
Dass der Film nie zeigt, ob die Rakete einschlägt, erzeugt eine fast schon paranoide Unsicherheit. A House of Dynamite endet, bevor es zur Explosion kommt – ein „Coitus interruptus“ des Kriegsfilms, wie man ihn so noch nicht gesehen hat. Er verweigert die Katharsis, auf die Jahrzehnte von Atomfilmen uns konditioniert haben: kein The Day After, kein Das letzte Testament, kein Schwarzer Regen, kein On the Beach. Nur die lähmende Ahnung, dass das Danach nichts anderes wäre als das Davor – nur ohne Menschen.
Bigelow verwandelt diese Verweigerung in ihre größte Stärke. Sie zeigt das Denken über Krieg als das eigentliche Schlachtfeld. Wenn Idris Elba, großartig zurückgenommen, zwischen Kapitulation und Gegenschlag zögert, wenn er begreift, dass jede Option den Untergang bedeutet, wird das Oval Office zur Zelle der Moderne. Seine Gedanken – halb Stoßgebet, halb Protokollnotiz – sind die stärksten Momente des Films, denn sie machen schon in der Erkenntnis was ist – Wahnsinn oder Realität – wie auch in der Schlussfolgerung – Kapitulation oder Selbstmord – deutlich, dass keine Entscheidung richtig sein kann.
Rebecca Ferguson als Captain Walker, die zwischen Loyalität und Logik zerrieben wird, und Greta Lee als Nordkorea-Expertin, die in einem einzigen Blick den ganzen Wahnsinn der internationalen Paranoia ausdrückt, setzen leise Akzente in diesem Machtpoker. Selbst Nebenrollen wie Tracy Letts’ General Brody oder Jared Harris’ Verteidigungsminister Baker sind beeindruckend gut besetzt. Niemand spielt hier einen Helden. Alle spielen Funktionsreste.
Wie schon in The Hurt Locker und Zero Dark Thirty geht es Bigelow um die Unmöglichkeit einer Entscheidung. Aber A House of Dynamite geht weiter: Es entlarvt die Entscheidungsmechanik selbst als Farce. Die Maschine läuft, egal was der Mensch tut. Und das ist das eigentlich Beunruhigende an diesem Film – dass seine Fiktion längst kein Zukunftsszenario mehr ist. Die Welt, in der eine Fehlinterpretation genügt, um Millionen zu töten, ist keine Dystopie. Sie ist die Tagesschau.
Bigelow zeigt kein Heldentum, keine Moral, nur Strukturen. Und doch ist A House of Dynamite zutiefst menschlich. Weil in jeder Entscheidung, in jeder Schweigeminute, in jedem Zucken von Idris Elbas Gesicht jene uralte Angst sichtbar wird, die Garland in Warfare auf der Straße, in den Gesichtern der Soldaten, fand: die Angst vor der Bedeutungslosigkeit des Todes.
Dass Netflix als Produzent diesen Film nur in limitierter Kinoauswertung zeigt (bevor er am 25. Oktober auf Netflix laufen wird), ist fast ein Sakrileg. Bigelows Bilder gehören auf die große Leinwand, in laute Dolby-Atmos-Räume. Denn A House of Dynamite ist nicht nur ein Film – er ist ein physisches Ereignis. Die Tonspur, das Licht, die Schnitte wirken wie sensorische Schläge: Der Krieg kommt nicht, er ist schon da, nur in anderer Form.
A House of Dynamite sieht sich an wie der folgerichtige Abschluss einer Trilogie, die Bigelow nie geplant, aber intuitiv geschaffen hat: The Hurt Locker (der Krieg als Arbeit), Zero Dark Thirty (der Krieg als Obsession) und jetzt A House of Dynamite (der Krieg als Ohnmacht). Was in den 2000ern noch als Entschärfung begann, endet jetzt in der völligen Explosion – nur dass sie nicht gezeigt, sondern gedacht wird. Es ist auch eine kompromisslose, äußerst nüchterne Bestandsaufnahme der militärischen Entmachtung Amerikas in einer neuen Weltordnung.
Am Ende bleibt die Kamera auf dem Präsidenten, der allein im Dunkeln sitzt. Keine Musik. Kein Knall. Nur das Ticken der Uhr. Die Rakete ist unterwegs, vielleicht schon da. Bigelow lässt sie nicht einschlagen. Sie weiß, dass das Kino längst kein Schutzraum mehr ist, sondern Teil des Systems, das es kritisiert.
»Never retaliate. Whatever happens. There is no point in killing 200 million people in Russia.« – Paul Nitze (1907-2004), Präsidentschaftsberater zu Ronald Reagan
»In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogene Minute der 'Weltgeschichte': aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben.« – Friedrich Nietzsche
Die US-amerikanische Regisseurin Kathryn Bigelow steht für vermeintliches »Männerkino«: Sie drehte einen Vampirfilm, einen Surferthriller (Point Break), mehrere Polizeithriller (Blue Steel und Detroit), einen Kriegsfilm (The Hurt Locker) und einen Geheimdienstthriller (Zero Dark Thirty). Alle diese Filme sind politisch hochengagiert und kritisch, aber auch voller Faszination für ihren Gegenstand.
Mit ihrem neuen Film A House of Dynamite hat sich Bigelow des Politthrillers angenommen: Sie zeigt Funktionsträger und die individuellen Spielräume des Handelns, die ihnen auch hier noch geblieben sind.
Man könnte aber auch durchaus sagen ,dass sich diese Regisseurin vom Schützengraben ins Zentrum der Macht bewegt. Ihre Filme The Hurt Locker, Zero Dark Thirty und jetzt A House of Dynamite gehen gewissermaßen fließend ineinander über und gleichzeitig distanziert Bigelow sich mit jedem Film ein bisschen mehr von dem, was die Amerikaner »ground« nennen: den Boden unter den Füßen, der Drecksarbeit. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Regisseurin den Bodenhaftung verliert, ganz im Gegenteil.
Die Regisseurin strebt nach Authentizität, sie will das Komplexe nicht unterkomplex zeigen. Bigelow selbst sprach in der Pressekonferenz bei der Premiere in Venedig von »dreidimensionalem Schach«.
Alle Räume sehen genauso aus, wie es in ihnen in Wirklichkeit aussieht, selbst das Büro des US-Verteidigungsministers. »Es ist meine Verantwortung«, sagt Bigelow, »es so authentisch und realistisch wie möglich zu machen. Das war mir auch ein The Hurt Locker und Zero Dark Thirty wichtig; das sind Filme, die sind eingebunden in zeitgeschichtliche Wirklichkeit; es muss real sein das ist meine Verantwortung.«
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Etwas später beim Festival von New York sagte Bigelow auf die Frage, warum sie ausgerechnet das Thema eines möglichen Atomkriegs als Sujet ihres neuen Films gewählt hatte:
»Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der man in der Schule regelmäßig Übungen machte, in denen man im Fall eines Atomangriffs unter die Schulbank krabbelte. Ich habe schon damals nicht richtig verstanden, wozu das gut sein sollte. Seitdem war ich fasziniert von der Vorstellung, dass all dies wahr werden
könnte – ohne Frage gab es schon sehr viele Filme darüber, erst recht in den 60er Jahren während des Kalten Kriegs wie 'Doctor Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb', Fail safe, On the Beach... Aber es hat seitdem keine richtig gute filmische Behandlung des nuklearen Problems gegeben, es wirkt, als wäre es
normalisiert worden.
Darum dachte ich, vielleicht sei jetzt die Zeit, dass man neues Licht drauf lenkt. Denn mir scheint die Situation ziemlich kritisch zu sein. Wir leben ganz sicher in einer volatilen Welt, wir leben in einem 'House of dynamite'«
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Gleich zu Beginn befinden wir uns in einem streng gesicherten Kontrollraum im Weißen Haus, im Zentrum der amerikanischen Macht. Plötzlich ein Alarm, und rot blinkende Signale auf den Bildschirmen. Eine einzelne Rakete, die möglicherweise atomar bewaffnet ist, fliegt aus dem Pazifik auf die USA zu. Weil ihr genauer Startpunkt nicht geortet werden kann, weiß man nicht wer sie abgeschossen hat. »Die Nordkoreaner? Die Russen? Oder doch die Chinesen? Oder die Russen, die möchten, dass man glaubt, es seien die Nordkoreaner?«
Von nun an setzt eine Handlungskette ein, die der Film genau und geradezu zärtlich beobachtet.
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Multiperspektivisch wird alles erzählt, in drei aufeinanderfolgenden Anläufen. Beim letzten sind wir Zuschauer in der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, davor beim Sicherheitsbriefing der Militärs, dem strategische Kommando »Stratcom«, davor im Herz der globalen Beobachtungszentrale. Ungefähr nach zehn Minuten eines jeden Kapitels liegen dann die Karten auf dem Tisch, dann wissen die in Geheimnisse eingeweihten Menschen im Film: Eine Rakete fliegt auf die USA zu und wird höchstwahrscheinlich in 20 Minuten einschlagen und zwar ziemlich genau in Chicago. Sie wird dort etwa zehn Millionen Menschen sofort töten und weitere in der Folge – es gibt aber immer auch noch die Möglichkeit, dass dies alles doch nur eine Täuschung ist oder ein Scheinangriff. Es gibt ebenso die Möglichkeit, dass die Rakete gar nicht explodiert oder dass sie doch in den Lake Michigan stürzt und dort weitaus geringeren Schaden anrichtet.
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Was tun? Die verschiedenen Möglichkeiten zwischen massivem Gegenschlag und Nichtstun werden aufgefächert – und nun ist die Frage: Wie sollen die USA und wann sollen die USA darauf antworten? Das heißt zum einen: dies ist ein Film, der aus dem Standpunkt der USA heraus auf die Welt blickt. Der Präsident wird von Idris Elba gespielt, was zur Folge hat, dass man automatisch an die Serie »Twentyfour« denkt und selbstverständlich auch an Obama.
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Sehr amerikanisch ist dieser Film nicht nur in der Perspektive, sondern auch eine Art wie Emotionen erzählt und aufgebaut werden, wie Figuren erzählt werden, welche Rolle das Privatleben hat, dass hier fast alle Familienmenschen sind. Es gibt keine schwulen Figuren. Man stellt sich die Frage: Was würde man selber machen anstelle der Figuren, wenn man wirklich glauben muss, dass jetzt gleich ein Atomkrieg beginnt? Einige von ihnen rufen ihre Familie an, heimlich, denn sie dürfen es eigentlich nicht, und sagen Dinge wie: »Pack sofort deine Sachen und geh raus aufs Land. Ich liebe Dich!«
Man stellt sich die Frage: Was würde man eigentlich selbst machen anstelle der Figuren, wenn man wirklich glauben muss, dass jetzt gleich ein Atomkrieg beginnt? Einige von ihnen rufen ihre Familie an, heimlich, denn das dürfen sie eigentlich nicht, und sagen Dinge wie: »Pack sofort deine Sachen und fahr so weit wie möglich raus aufs Land. Ich liebe Dich!«
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Hochinteressant ist zu sehen, wie in gewissem Sinn alles auseinanderfällt, die Institutionen und Regeln und gesellschaftlichen Prozesse, wie die Leute ihre Nerven verlieren und plötzlich wieder auf ihre Individualität zurückgeworfen werden und sich an ihrer Familie orientieren, diese zu retten suchen und das Protokoll verletzen.
Oder eben nicht. Dann behalten sie ihre Nerven und tun einfach ihre Arbeit, gerade im Angesicht der Katastrophe. Eine der eindrücklichsten Szenen ist jene, in der der Präsident ein hässliches DIN-A4-Heft vorgelegt bekommt in dem 30 bis 40 verschiedene Möglichkeiten der atomaren Antwort aufgeführt sind. Das Ganze ähnelt äußerlich einem Restaurant-Menü und das wird so auch im Film thematisiert.
Als der Präsident einen anderen Mitarbeiter auffordert, ihm – »no bullshit« – die Alternativen aufzuzählen, bekommt er zu hören: »Sie haben die Wahl zwischen Kapitulation und Selbstmord.«
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Normalerweise geht es einem geschulten Betrachter in Filmen dieser Art so, dass man schon nach 5 Minuten denkt: Okay das ist jetzt ziemlich idiotisch, okay dies und das wird niemals passieren. Hier nicht!
Regisseurin Kathryn Bigelow besitzt einen gewissen Fetischismus für das Arbeiten von Systemen und das genaue Schildern von Abläufen. Bigelow besitzt auch einen Fetischismus für Handwerk. Sie zeigt hier also einfach viele Leute, die ihr Handwerk verstehen und die das Handwerk dann auch wie ausgebildet ausführen. Und wozu das dann führt.
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Das ist das Erschreckende in diesem Film! Wir haben in den letzten Dekaden dieses komplizierte System der atomaren Abschreckung errichtet, ein System ist sehr anspruchsvoll ist und komplex. Die Leute sind geschult, sie haben sehr eng geregelte Prozeduren in denen gesagt wird: Wenn A passiert, dann mach B. Wenn C passiert dann macht D. Aber in der Wirklichkeit ist das alles in seinem innersten Kern fundamental irrational: Wenn der erste Dominostein fällt, dann gehen alle durch ihre Checklisten und folgen den Prozeduren und eines ergibt das andere, und am Ende steht die Vernichtung der Menschheit.
Jeder macht, was er machen soll; jeder macht alles richtig, der Präsident ist kein großes Kind, das das Weiße Haus als seinen persönlichen Grabbeltisch behandelt, sondern er ist ein verantwortungsvoller, rational denkender Mensch der in der Mitte der Gesellschaft steht, der an Obama erinnert, an Clinton, an George Bush den Älteren. Aber die klare Botschaft dieses Films ist, dass das alles nicht nicht reicht, dass es nicht funktioniert. Man kann keine rationalen Entscheidungen inmitten der nuklearen Eskalationsspirale treffen.
Bigelow zeigt uns das alles auch weder extrem positiv, noch extrem kritisch, sondern nüchtern, fast dokumentarisch sachlich und genau recherchierend. Vor allem zeigt sie es multiperspektivisch. Der Film ist in drei Kapitel unterteilt, und wir springen am Ende eines Kapitels immer wieder zurück zum Anfang. Jedes der drei Filmkapitel dauert immer eine gute halbe Stunde, und am Ende eines jeden Kapitels springen wir wieder zurück zum Anfang.
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Das Spiel mit Zeit in dem Film ist unglaublich dicht, genau und spannend. Die einzelnen Kapitel sind jeweils ungefähr 40 Minuten lang, die im Film vorgeführte Zeit dauert aber nur etwa 20 Minuten. Das heißt: die Zeit wird durch Parallelerzählungen gedehnt und manchmal auch beschleunigt. Und dann verdichtet sich alles immer mehr.
Sie verzichtet auch nicht auf das wozu Amerikaner »Mambo Jambo« sagen: Den Fetischismus des Eingeweihtseins, der Abkürzungen: ICBM, DE und DS, WHSR, FEMA, SBX, DSP, GBS, DEFCON 2, EKV... Also: »InterContinental Ballistic Missile«; »Designted Evacuate«; Designated Survivor; »White House Situation Rooom«; »Federal Emergency Management Agwency« ; »Sea Based X-Band-Radar«; »Defensive Support Programm« oder »Defensive Standardisation Programm«; »Global Broadcast Service«, die Satellitenüberwachung; »Defensive Condition 2«, die unmittelbare Vorstufe zum Nuklearkrieg; »Exoatmospheric Kill Vehicle« und so weiter und so weiter.
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Was machen wir, wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt? Tatsächlich ist ja die nukleare Situation der wechselseitigen Vernichtungsdrohungen, wenn man sie zu Ende denkt, dermaßen absurd. Sie macht nur einen Sinn, solange tatsächlich keiner angreift und hat so auch im Kalten Krieg sehr gut funktioniert. Aber gleichzeitig macht es keinen Sinn, wenn doch irgendjemand angreift.
Interessanterweise erfahren wir bis zum Ende des Films nicht, ob es eine Bombe gibt, und ob sie funktioniert.
Bigelows Film zeigt vor allem Ambivalenzen. Er zeigt Funktionsträger mit individuellen Persönlichkeiten. Die Prozeduren, denen sie folgen, die individuellen Spielräume des Handelns, die ihnen auch hier noch geblieben sind. Bigelow strebt nach Authentizität, sie will das Komplexe nicht unterkomplex zeigen. Sie zeigt Simultaneität. Und sie spielt mit Wiederholungen. Bigelow selbst sprach in der Pressekonferenz am Dienstag in Venedig von »dreidimensionalem Schach«.
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Schon jetzt ist der US-Regisseurin Kathryn Bigelow mit ihrem neuen Film A House of Dynamite ein phänomenaler Erfolg gelungen. Auch filmisch. Selten hat ein Film 120 Minuten lang so eine Spannung mit solcher Sicherheit gehalten. Auch handwerklich ist das extrem perfekt und schön und souverän gemacht – es gibt eigentlich nie einen Moment an dem der Film aus dem Ruder läuft. Im Gegensatz zur Handlung.
Dies ist Kino auf der Höhe der Zeit.
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»Home. Everyone you love, everyone you know, everyone you ever heard of, lived out their lives on a mote of dust, suspended in a sunbeam. Think of the rivers of blood spilled by all those generals and emperors, so that in glory and triumph, they could become the momentary masters of a fraction of a dot. In our obscurity, there is no hint that help will come from somewhere else to save us from ourselves. The Earth is where we make our stand, It underscores our responsibility to preserve and cherish the only home we've ever known.« –Aus dem Trailer