Honey Don't!

GB/USA 2025 · 90 min. · FSK: ab 16
Regie: Ethan Coen
Drehbuch: ,
Kamera: Ari Wegner
Darsteller: Margaret Qualley, Aubrey Plaza, Charlie Day, Billy Eichner, Chris Evans u.a.
Honey Don't
Neuer Geschmack der Americana
(Foto: Universal Pictures)

Wild und respektlos

Ethan Coen wagt das Unberechenbare: »Honey Don’t!«

Bakers­field, Kali­for­nien. Die Privat­de­tek­tivin Honey O’Donahue (gespielt von Margaret Qualley, bekannt aus The Substance), die den vermeint­li­chen Unfalltod einer jungen Frau und möglichen Klientin unter­sucht. Da diese auch Mitglied im »Tempel der vier Wege« ist, gerät Honey bei ihren Ermitt­lungen in die Machen­schaften einer Sekte, die vom charis­ma­tisch-gefähr­li­chen Reverend Devlin geleitet wird – der ist rechts­extremer Prediger, plumper Verführer, der mit seinen Gemein­de­mit­glie­dern Fetisch-Sex prak­ti­ziert, und Drogen­baron in einem.

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Seit The Ballad of Buster Scruggs (2018) haben sich Joel und Ethan Coen getrennt. Es ist klar, dass beide künst­le­risch unter­schied­liche Wege gehen: Joel trium­phierte mit der Shake­speare-Adaption The Tragedy of Macbeth (2021), Ethan hingegen sucht im Grotesken, Schrägen, Exploita­tiven nach einem eigenen Ton. Schon mit dem Doku­men­tar­film Trouble in Mind (2022) hatte Coen über­rascht. Nach Drive-Away Dolls (2024), der Publikum und Kritik spaltete, legt er nun einen Film vor, der deut­li­cher erkennen lässt, wohin seine Soloreise gehen könnte: in Richtung anar­chi­sches Genrekino, das mehr Lust an Über­trei­bung und Gren­zü­ber­schrei­tung hat als an makel­loser Perfek­tion.

Mit Honey Don’t! (2025) beweist er Mut zum Risiko. Der Film verbindet schwarze Komödie, klas­si­schen Film noir und sozi­al­kri­ti­schen Thriller. Das Drehbuch stammt von Ethan Coen und seiner Ehefrau Tricia Cooke – einer Cutterin, die sich selbst als lesbisch und queer bezeichnet, während ihr Mann sich als hete­ro­se­xuell versteht. Beide haben zwei gemein­same Kinder, Dusty und Buster, und geben an, eine »offene Beziehung« »à la Poly­amorie« zu pflegen.

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Um diese beiden Pole herum entfaltet sich ein über­bor­dendes Figu­ren­ka­bi­nett: ein eifer­süch­tiger Auftrag­geber, die Beweis­ar­chi­varin MG Falcone (Aubrey Plaza), die zu Honeys Geliebter wird, O’Donahues jugend­liche Nichte Corinne (Talia Ryder), die nach ihrer Schicht in einem Fastfood-Lokal plötzlich spurlos verschwindet, und die geheim­nis­volle Französin Chère (Lera Abova).

Dass diese Überfülle aus Hand­lan­gern, Ersatz­vä­tern und Geliebten gele­gent­lich chaotisch wirkt, ist Absicht: Coen baut ein Kalei­do­skop, das bewusst über den Rahmen des Genres hinaus­schießt.

Die Quali­täten des Films liegen auf der Hand. Kame­ra­se­quenzen sind von seltener Brillanz, die Musik­aus­wahl ist präzise und stim­mungs­voll. Margaret Qualley spielt ihre Figur mit einer Mischung aus cooler Härte und kind­li­cher Verspielt­heit, Aubrey Plaza bringt subver­siven Charme ins Spiel, Chris Evans über­rascht als selbst­ge­fäl­liger Prediger-Bösewicht.

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Coen schöpft aus dem Vollen: Nacktheit, Gewalt, Sakri­le­gien – alles mit ironi­schem Unterton, der nie ins bloß Derbe kippt. Gerade die grotesken Momente – eine über­drehte Bettszene mit dem Reverend; Honeys öffent­liche Selbst­be­frie­di­gung; das Auffinden eines SM-Outfits vor den Augen der Eltern der Toten – sind mehr als Provo­ka­tion: Sie sind Ausdruck einer abgrün­digen Haltung, die das Exploita­tion-Kino nicht parodiert, sondern liebevoll feiert.

Dass die Handlung episo­den­haft wirkt, ist keine Schwäche. Der Plot dient nur als Klammer für ein Spiel mit Tönen, Figuren und Zitaten, eine Revue von Szenen, Minia­turen, grotesken Einfällen. Wie stets im Coen-Universum geht es um Gier, Obsession und Torheit, doch hier werden sie ins Surreale verschoben. Das Ergebnis ist nur zum Teil klas­si­sche Noir-Drama­turgie, sondern vor allem eine ironische Collage, die bewusst mit Brüchen arbeitet.

Auch politisch wagt der Film mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Ein MAGA-Pro-Trump-Aufkleber auf dem Pickup eines Neben­cha­rak­ters wird von Honey mit dem femi­nis­ti­schen Slogan »I have a vagina and I vote« überklebt.

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Der Film ist in seinem Humor und seiner grotesk über­zeich­neten Bruta­lität einer­seits »typisch Coen«, ande­rer­seits ganz untypisch in den expli­ziten Sex-Szenen und -Dialogen. Diese sind, wenn sie den Priester betreffen, auch grotesk über­zeichnet, wenn es aber um Honey geht, so zärtlich und modern (Sex als Kommu­ni­ka­tion, wenn auch gele­gent­lich miss­glü­ckend) wie prag­ma­tisch (im Spül­be­cken wird neben dem Geschirr auch das Sex-Besteck ordent­lich gereinigt).

Honey Don’t! verfällt gele­gent­lich leider in eine etwas billige Dämo­ni­sie­rung von Männern, ob homo­se­xuell oder hete­ro­se­xuell. Abgesehen von der gene­rellen Beschränkt­heit fast aller Figuren, egal ob Mann oder Frau, jung oder alt, gehört zu den wenigen Über­ra­schungen des Films die explizite Kritik des Trum­pismus, der sich zugleich im grotesken Treiben der Figuren nieder­schlägt. Diese Mischung aus Satire und Farce ist nicht subtil, aber wirkungs­voll – und sie verleiht dem Film eine Aktua­lität, die über Genre­grenzen hinaus­weist.

Spannend ist zudem die Umkehrung klas­si­scher Noir-Muster: Eine Frau übernimmt die Rolle des Detektivs, ein schwuler Mann die der Femme fatale, ein protes­tan­ti­scher Prediger die des insti­tu­tio­na­li­sierten Böse­wichts. Coen zeigt damit, dass er nicht nur zitiert, sondern die Konven­tionen des Genres aufbricht, verdreht, neu zusam­men­setzt.

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Honey Don’t! ist kein makel­loses Meis­ter­werk – das will er auch gar nicht sein. Es ist ein wilder, respekt­loser, zugleich liebe­voller Blick auf die Ränder der Filmkunst, die Liebe zu einem Kino, das Grenzen über­schreitet, sich nicht scheut, zu provo­zieren, und gerade in seiner Unvoll­kom­men­heit Charakter gewinnt.

Er zeigt Ethan Coen als Künstler, der ohne den Bruder seine eigene Hand­schrift sucht: frecher, anar­chi­scher, expe­ri­men­teller. Wer sich auf diesen Ton einlässt, wird reich belohnt – mit schwarzem Humor, Schau­spie­lern, die ihre Rollen lustvoll über­ziehen, und einer filmi­schen Energie, die im heutigen Kino selten geworden ist.

So ist Honey Don’t! ein Werk, das nicht allen gefallen wird, aber als mutiger, eigen­sin­niger Beitrag zum zeit­genös­si­schen US-ameri­ka­ni­schen Film weit heraus­ragt.