Halbschatten

Deutschland 2013 · 84 min. · FSK: ab 0
Regie: Nicolas Wackerbarth
Drehbuch:
Kamera: Reinhold Vorschneider
Darsteller: Anne Ratte-Polle, Emma Bading, Leonard Proxauf, Nathalie Richard, Maren Kroymann u.a.
Erholung: Nathalie Richard (rechts) hat einen Cameo-Auftritt!

Langsames Leben, ruhige Tage

Ein großes Feri­en­haus in Südfrank­reich, nahe Nizza. Eine junge Frau kommt an, ein paar andere Leute sind schon da, aber richtig will­kommen scheint sie nicht zu sein. Sie heißt Merle und schnell begreifen wir, dass das Haus ihrem Geliebten gehört, dass dieser Verleger ist und sie Schrift­stel­lerin. Eine gefähr­liche Konstel­la­tion, ebenso wie die, dass sie, weil der Workaholic-Lover – »dringende Termine – sich verspätet, nun plötzlich ein paar Tage allein mit dessen puber­tie­renden Kindern verbringen muss.«

Merle unter­nimmt unsichere Annähe­rungs­ver­suche, posi­tio­niert sich mal als Ersatz­mama, mal als kumpelige große Schwester, inter­es­siert sich aber im Grunde wenig für die Kinder. Und auch die reagieren umgekehrt gleich­gültig, und lassen den Eindring­ling immer wieder mal auflaufen.

So vergehen die Hoch­sommer-Tage am Pool, mit Einkaufen, Essen und Partys, und der Verleger ist wie ein moderner Godot nur als Abwe­sender anwesend, meldet sich gele­gent­lich am Telefon um mitzu­teilen, dass er noch ein Weilchen braucht. Also noch ein paar Runden im Pool, ein Buch in der Sonne, ein wenig Tippen in den Laptop, ein kühler Drink am warmen Abend. Das Leben ist langsam, die Bewe­gungen träge. Das gilt für die Menschen in diesem Film, wie auch für auch für Erzähl­weise und Kamera.

Die Deutschen fahren gern in Urlaub, auch im Kino, das insofern hier einmal ganz lebens­nahe ist. Denn in Romuald Karmakars Manila (2000), Dominik Grafs Der Felsen (2002), Thomas Arslans Ferien (2008), Maren Ades Alle Anderen (2009) oder Ann-Kristin Reyels Formen­tera (2012) – um nur einmal die bekann­testen unter Dutzenden weiterer Beispiele zu nennen – schickten die Regis­seure ihre Figuren zu Bildungs- und Verwand­lungs­reisen ins Ausland; wie einst schon Goethes »Wilhelm Meister« und Eichen­dorffs »Tauge­nichts« ihre Helden. Es ist, als ob sich das deutsche Auto­ren­kino sich nur in der Fremde wirklich wohl fühlt, nur fern der Heimat zu sich selbst kommt, als ob unter der Sonne des Südens wie unterm Brennglas alles sonst offen gelassene plötzlich klarer, deut­li­cher, extremer zu sehen ist, unleugbar klar daliegt.

Alle genannten Beispiele kann man in Halb­schatten, dem Lang­film­debüt von Nicolas Wacker­b­arth, der auch Mit-Heraus­geber der tollen Film­zeit­schrift »Revolver« ist, wieder­finden: Die Feri­en­stim­mung und die aufge­stauten Konflikte von Karmakar, Ade und Reyels, die Frau­en­haupt­figur bei Graf und ihren Versuch, in jugend­li­chen Lebens­welten noch einmal Trost zu finden, sich zu spüren. Damit ist die Stärke des Films, die Kenntnis der Film­ge­schichte und der Mittel, ebenso benannt wie seine Schwäche: Dass er sich schwer aus dem Schatten der Vorbilder lösen kann, bewusst oder unbewusst viel zitiert und daher zita­ten­haft wirkt, dass dieser Film darum mitunter den Eindruck des Epigo­nalen macht.

Stärken von Halb­schatten sind vor allem Haupt­dar­stel­lerin Anne-Ratte Polle, die souverän zwischen Aggres­si­vität, Neugier und Unsi­cher­heit balan­ciert, die Kamera Reinhold Vorschnei­ders, der seine Bilder mit Grenzen durch­zieht, sowie in der präzis einge­fan­genen Stim­mungs­lage unseres Lebens in Zeiten der Alter­na­tiv­lo­sig­keit.

Am Ende gelingt Merle dann daraus doch ein Ausbruch – wie halb­herzig auch immer, ist das ein Hoff­nungs­zei­chen.