Deutschland/I/F 2024 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Scandar Copti Drehbuch: Scandar Copti Kamera: Tim Kuhn Darsteller: Manar Shehab, Toufic Danial, Shani Dahari, Meirav Memoresky u.a. |
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Das Lachen, das uns täuscht... | ||
(Foto: IMMERGUTEFILME) |
Als Scandar Coptis Happy Holidays im letzten Jahr in Venedig den Orizzonti Preis für das beste Drehbuch erhielt, konnte man erleichtert ob der Tatsache aufatmen, dass Coptis Film unbehelligt von Mühlen gegenwärtiger Nahost-Politik blieb und für das prämiert wurde, was dieser Film ist: ein komplexes, visionäres Drama über den gegenwärtigen Zustand Israels und seiner Menschen. Und das auch noch völlig vorurteilsfrei, aber mit einem sezierenden Blick sowohl auf jüdische als auch arabische Alltagsverhältnisse.
Das ist allerdings weniger überraschend, als es sich liest, war Copti, der als Sohn einer Direktorin und Bildungspolitikerin und einem Zimmermann in einer christlich-arabischen Familie in Tel Aviv als Palästinenser sozialisiert wurde, doch immer wieder für Gratwanderungen gut. Etwa als er nach seinem auch international hochgelobten letzten Film Ajami (2009) den israelischen Filmpreis Ophir für den Besten Film erhalten hatte, der automatisch als Beitrag Israels für den Oscar des Besten fremdsprachigen Films eingereicht wurde und Copti sich zu Beschwichtigungen gezwungen sah, dass er nichts damit zu tun hat, sondern dies ein rein technischer Vorgang gewesen sei.
Auch Coptis neuer Film hat das Potential anzuecken, und das gerade deshalb, weil er nicht aneckt, sondern sich in einer Grauzone bewegt und keines der Narrative des gegenwärtig emotional aufgeladenen Diskurses bedient.
Coptis Israel ist ein Puzzle, das sich im Laufe seines Films langsam zusammensetzt, aber dadurch nicht in schwarz-weiße Antagonismen zerfällt. Es ist dennoch ein disparates Bild, das sich aus fast schon banalen Familiengeschichten- und Tragödien zusammensetzt. Ausgehend von der Beziehung einer jüdischen Stewardess mit einem arabischen Unternehmer, die in dem Moment zum Problem wird, als die Stewardess schwanger wird, hangelt sich Copti in seinem klugen Drehbuch über die beiden Familienstränge immer tiefer in den israelischen Alltag ab.
Er erzählt von der politischen Indoktrination in israelischen Kindergärten, aber auch von einer gnadenlosen politischen Familienmoral sowohl auf arabischer als auch jüdischer Seite, die mit allen Mitteln versucht, so etwas wie eine verbindende, inklusive Moral mit allen Mitteln zu verhindern. Das ist allein schon vom ethnografischen Material, das Copti zusammenträgt, ein Schatz, der fern von all dem ist, was Interessierte über die normale Presse aus Israel erfahren und sich wie eine regelrechte Befreiung anfühlt, denn jeden Zuschauer bleibt es selbst überlassen, sich ein Urteil zu bilden. Er wird nie von kreischend-tendenziösen, vermeintlichen Paradigmen attackiert, sondern durch Coptis vorsichtige Arbeitsweise immer wieder angeregt, neue Schritte zu gehen, um diesen komplexen Konflikt zu verstehen.
Fast schon visionär ist es, wie Copti über Alltagsbeobachtungen eine Wahrheit entblößt, die so fern aller News-Reels ist, dass es fast schon schmerzt. Es gibt zwar Dialogpassagen, die etwas zu lang geraten sind, und der Cliffhanger um das zweite große Drama (neben einigen Subdramen) ist vielleicht etwas zu inszeniert und am Ende zu stark im Fokus. Doch in dem Moment, wenn Coptis Happy Holidays mit einer beeindruckenden „Gedenkminute“ zu Ende geht, bleibt nur berührendes Staunen.
Denn Copti geht genau den Weg, den der große israelische Autor Amos Oz etwa mit seinem großen Epos Eine Geschichte von Liebe und Finsternis und seinem lebenslangen Aktivismus gegangen ist. Auch Copti gelingt es, über eine dichte Erzählung nicht nur die Polarität des Konfliktes, sondern auch die Schnittmengen deutlich zu machen. Etwa wenn er fast beiläufig zeigt, wie sich die jüngste Generation in den Clubs Tel Avivs trifft, zusammen trinkt und Drogen nimmt und von Hebräisch zu Arabisch wechselt, so wie das in jedem multikulturellen Land Alltag ist. Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass es mehrheitlich die alte Generation ist, die von einer morastigen Moral nicht lassen will und es, wie auch das Ende zeigt, die junge Generation ist, die für die Zukunft eines Landes steht, das noch längst nicht verloren ist, auch wenn uns das laute Geschrei der Welt dies jeden Tag weismachen will.
Das ist auch deshalb so glaubwürdig, weil Copti fast ausschließlich mit Laiendarstellern arbeitet. So ist Miri (Meirav Memoresky) auch im wirklichen Leben eine Krankenschwester und Waled (Raed Burbara) ein echter Arzt. Es ist auch ihr Leben, von dem Copti erzählt und es ist ihrer Zukunft, die sie mit einer Intensität spielen, die einen immer wieder berührt und dann begeistert.