Rumänien/NL 2009 · 100 min. · FSK: - Regie: Radu Jude Drehbuch: Radu Jude, Augustina Stanciu Kamera: Marius Panduru Darsteller: Andreea Bosneag, Doru Catanescu, Alexandru Georgescu, Diana Gheorghian u.a. |
||
Eine wunderbare Ausbeutungssatire |
Zum Glück gehört, dass jeder seine ganz persönlichen Vorstellungen von ihm hat. Für manche ist es ein eigenes Auto. Delia zum Beispiel, die 18-jährige Heldin dieses Films, will mit dem Neuwagen, den sie gerade beim nationalen Preisausschreiben einer Fruchtsaft-Firma gewonnen hat, einfach nur weg fahren. Weg von den Eltern, weg von der bedrückenden Enge ihres Provinzdaseins, weg von der Aussicht, bald selbst so ein enges, träges, hoffnungsloses kleines Spießerleben in allzu vorgestanzten Bahnen zu führen. Freiheit ist der Name ihres Glücks. Für ihre Eltern ist das Glück, die Chance, Geld zu verdienen, irgendwann nicht mehr arbeiten zu müssen. Sie wollen das gewonnene Auto unbedingt gleich weiterverkaufen, und das Geld in die Renovierung des Hauses der Großmutter zu einer kleinen Touristenpension investieren. Klar, dass die Tochter da mitmachen muss, schließlich ist das vernünftig, und sie hat auch etwas davon, zumindest irgendwann einmal. Auch hier hat das Glück einen Namen: Sicherheit.
Bevor sie das Auto bekommt, muss Delia allerdings noch mit den Eltern nach Bukarest fahren, um dort in einem Werbespot präsentiert zu werden. Dessen Regisseur sieht seine Arbeit in der Inszenierung des Frohsinns: Glück als die immerwährend gutgelaunte, strahlende Oberfläche, die die häßliche Fratze des Seins umhüllt. Insgeheim aber verachtet er seine Arbeit, und träumt von einer Zukunft als Regisseur künstlerisch anspruchsvoller Spielfilme. Glück als Selbstverwirklichung. Seine Auftraggeber schließlich, die nervösen Manager des »Bibo-Multifruit«-Konzerns, die immerzu um die Dreharbeiten herumwimmeln, mäkeln und kritisieren, ahnungslose Verbesserungsvorschläge machen, und mit ihrer Nervosität alle anstecken, denken nur an ihre Bilanzen. Für sie sind Delia und der Werbedreh nur kleine Räder im möglichst perfekten Marketinggetriebe.
So muss Delia dann an diesem langen heißen Tag in Bukarest immer wieder in ihrem Gewinnauto sitzen, das mit einer absurden knallroten Gewinnschleife geschmückt ist, immer wieder fröhlich grinsend einen großen Schluck Orangensaft trinken, und immer wieder aus dem Fenster winkend den gleichen blöden Spruch aufsagen: »Mein Name ist Delia Fratila und ich bin das glücklichste Mädchen der Welt!«
Natürlich ist der Titel ironisch gemeint, so ein Titel kann eigentlich nur ironisch gemeint sein, zumal es sich ja schließlich nicht um einen französischen Film handelt, sondern um einen rumänischen. In den letzten fünf Jahren gilt Rumänien als das Kinoland der Stunde, inzwischen gewinnen die meisten Filmemacher westeuropäische Firmen und Sender als Koproduzenten, und spätestens damit bildet sich zugleich ein Klischee des »Rumänien-Films« heraus, das Werke wie Cristi Puius Der Tod des Herrn Lazarescu (2005) und vor allem der Cannes-Gewinner 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage (2007) von Cristian Mungiu perfekt bedienen: Die Welt ist amoralisch, schmutzig, und auch sonst heruntergekommen, die Filme sind sozial-naturalistisch, wie sonst nur Mike Leigh, eher moralisch als politisch, unbedingt ernst, und manchmal ein bisschen feierlich; ein Hauch von Exploitation durchzieht sie alle, von Berechnung, von Suhlen im poststalinistischen Elend, und von Bedienung westlicher Erwartungen.
Andere rumänische Filme aber erweitern in letzter Zeit solche Betrachtungen über das Leiden der Armen unter Ceausescu und danach auf eine existentielle und universale Ebene. Der Zuschauer bleibt da nicht Voyeur, er muss seine Distanz aufgeben und wird selbst involviert. Das kleine sarkastische Sommerspiel Pescuit Sportiv von Adrian Sitaru, das 2008 in Venedig Premiere hatte, war ein frühes Beispiel dieser neuen Tendenz, und auch The Autobiography of Nicolae Ceausescu von Andrei Ujica und Marian Crisans Morgen stehen für ein etwas anderes rumänisches Kino, dass sich dem Realismus nicht verweigert, aber stilisierter ist, und Einflüsse von Haneke, von Farocki, vom aktuellen französischen Kino aufnimmt.
Was The Happiest Girl in the World zu einem wirklich wunderbaren Film und zugleich einem Werk macht, das für das rumänische Gegenwartskino sehr repräsentativ ist, ist, dass Radu Judes Film ziemlich genau zwischen diesen beiden skizzierten Polen steht. Der Film, der an einem einzigen Sommertag in Bukarest spielt, und von Delias Werbespotdreh und allem Drumherum erzählt, wurde auf dem dortigen Universitätsplatz gedreht, nicht zufällig einem symbolischen Ort der Revolution von 1989/90. Er hat dokumentarische Züge, insofern man immer wieder Passanten sieht, die stehenbleiben und interessiert gucken, die zwischen den Darstellern herumlaufen und sie auch mal verdecken. Manchmal folgt die Kamera einem von ihnen, flaniert der Blick des Films über die Straßen und nimmt die Anregungen des Augenblicks auf. Auch Andreea Bosneag als Delia, ist eine Laiendarstellerin, und manche Schüchternheit und Unsicherheit vor der Kamera ihre eigene.
Zugleich ist hier natürlich alles stilisiert. Dies ist ein wahnsinnig komischer Film, voll schwarzem Humor, voller kleiner absurder Gags, mitunter nahe an klassischem Slapstick. Alles lebt von Wiederholungen: Der Werbespruch, die Glücks-Gesten, die bald schal und in ihrer Verlogenheit entlarvt werden. Immer wieder gibt es Pannen, immer wieder wird etwas verändert, muss neu gedreht werden – mal stimmt der Hintergrund nicht, mal sieht der Orangensaft zu hell aus –, bis erst der Einbruch der Dunkelheit am Abend dem Dreh ein Ende macht.
The Happiest Girl in the World ist auch deshalb stark, weil er in einem ganz gelassenen, heiteren, nie eifernden oder zynischen Ton von etwas Ernstem handelt: Davon, wie Geld den Charakter verdirbt und eine ganze Gesellschaft. Er zeigt die Ausbeutungs- und Demütigungsmechanismen, die allerorten liegen, nicht zuletzt auch in der Familie. Das Werbefilmteam demütigt Delia noch ganz offen, indem es sich über das naive Provinzgirl mokiert, ihre unmodische Kleidung, ihren Damenbart und ihre Pausbacken, indem es sie in der Unsicherheit der Kamera-Unerfahrenen allein läßt, indem sie immer wieder für die Kamera einen Schluck Saft trinken muss, bis ihr im Wortsinn das Kotzen kommt.
Vater und Mutter demütigen subtiler. Ihr Mittel ist die Elternliebe, sie wollen doch nur das Beste, und scheuen keinen faulen Trick, um die Tochter zu ihrem Glück zu zwingen. Denn auch die Liebe hat ihren Preis. Aber Delia glaubt nicht an die Träume der Eltern, und sie hat natürlich recht, sie spürt instinktiv, dass diese eigentlich nur auf das Geld aus sind, und in der Tochter eine finanzielle Melkkuh sehen. So gilt Delia schnell die ganze Sympathie des Zuschauers. Schon wahr: Sie ist alles anderes als charmant, sie ist manchmal himmelschreiend dumm, sie ist nervtötend, aber sie ist auch wunderbar störrisch. Das Glück, wie man es auch dreht und wendet, ist immer das Glück der Anderen. Delia ist keineswegs das glücklichste Mädchen der Welt, aber sie ist eine Heldin der Selbstbehauptung.