Deutschland 2012 · 103 min. · FSK: ab 12 Regie: Leander Haußmann, Sven Regener Drehbuch: Leander Haußmann, Sven Regener Kamera: Jana Marsik Darsteller: Henry Hübchen, Michael Gwisdek, Uwe Dag Berlin, Anna-Maria Hirsch, Tom Schilling u.a. |
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Spaß-Alarm mit Haußmann & Regener |
Der Film ist wie die Musik der Band Element of Crime. Bis zu ihrer CD »Psycho« (1999) war die Musik hinreißend alltagssentimental, manchmal auch ein bißchen traurig, doch nie verloren und immer angenehm und stilvoll angerotzt. Doch seitdem sich die Mannen um Multitalent Sven Regener dieses sehr individuellen Charmes bewusst sind, fließen die Texte nicht mehr so leicht und scheinbar spielerisch. Manches wirkt affekthascherisch und bemüht.
In »Draußen hinterm Fenster« singt der in Bremen geborene Regener »vom Freibad kommen die, die nicht ertrunken sind«. Lieder wie »Schwere See« zeugen von seiner Nähe zum flüssigen Element: Wasser und Baden kamen immer wieder in der Musik von Element of Crime vor.
Und so musste es fast zwangsläufig zum Bade-, Wasser- und Katastrophen-Film Hai-Alarm am Müggelsee kommen. Element-of-Crime-Hauptmann Sven Regner und Leander Haußmann kennen sich schon länger, über die West-Ost-Schranke in den Köpfen hinweg; hier arbeiteten sie das erste Mal zusammen an einem Film: gleichberechtigt zeichnen sie für Drehbuch, Regie und Musik.
Die Seelenverwandtschaft jedoch zeigte sich schon im Jahr 2003, als Haußmann Regeners Roman »Herr Lehmann« verfilmte. Die Geschichte um Frank Lehmann endet am Abend der Maueröffnung auf Westberliner Seite in einer Kreuzberger Kneipe.
Der neue Film der deutsch-deutschen Zusammenarbeit beginnt auf Hawai. (In Hawai kommt übrigens indirekt Hai vor, dies als erster Hinweis darauf, das im Verlauf des Films ziemlich viel gekalauert wird.) Die Green Card (selbstgemalt) des Haijägers Snake Müller ist dummerweise abgelaufen. So muss er nach Europa zurück und zwar geradewegs nach Berlin-Friedrichshagen (Ost). Im dortigen Müggelsee herrscht gerade der titelgebende Hai-Alarm: einem Bademeister wurde die Hand abgebissen. Eine bunte Experten-Gruppe trifft sich nun, um zu beraten, wie diese Situation politisch und marketingstrategisch genutzt werden kann. Der Bürgermeister, der Bademeister, die Städtemarketing-Expertin, ein Polizist, ein Haiexperte der Humboldt Universität zu Berlin, eine Historikerin und schließlich noch Immobilien-Mogul, der halb Friedrichshagen besitzt, gehören zu der illustren Runde, in der die meisten – lustigerweise – Müller heißen.
Das Konfliktmanagement entscheidet sich für ein Badeverbot, und verhängt »Hai-Alarm« über den Müggelsee, ihrer Meinung nach eine perfide Aufwertung des Berliner Vororts. Die Partyhauptstadt Friedrichshagen begleitet diese autoritäre Maßnahme mit dem Wiederaufguss des eigentlich nur ein Mal im Jahr stattfindenden Bölschefestes in der gleichnamigen Straße. Doch sie haben sich allesamt geirrt: Das Volk will nicht feiern, es will baden!
Soweit die Geschichte. Die Komik der Szenen und Dialoge schwankt zwischen gelungen und bemüht. So gibt es gibt eine wunderbar inszenierte Pressekonferenz zur Hai-Alarm-Verkündung, bei der der Bürgermeister und seine ExpertInnen die Fragen der internationalen Journaille fließend in allen Sprachen beantworten. Anspielungen zu realen, historisch gewordenen Pressekonferenzen werden eingeflochten, zum Beispiel die vom 9. November 1989, auf der Günter Schabowski kunst- und absichtsvoll ungeschickt den Fall der Mauer ankündigte.
Der Film ist außerdem gespickt mit fröhlichen Seitenhieben auf den einst real existierenden Bürokratismus mit seinen endlosen Sitzungen, bei denen die Teilnehmer irgendwann einnickten. Auch der ins Leere laufende Aktionismus mancher Entscheidungsgremien zeigt sich beim Brainstorming der Hai-Alarm-Notfallpläne A bis C, das in die Entscheidung mündet, alles so weiterzumachen wie bisher, aber »positiv«. Während einer Sitzung werden die Bierkästen auf den Tisch gehievt: Das Büro des Bürgermeisters wird zum Ort eines heftigen Saufgelages.
Sehr lustig ist es auch, wenn der Bürgermeister von Friedrichshagen den Bürgermeister vom Stadtbezirk Wannsee am Telefon beleidigt und ihn mit der Aussage zu erniedrigen versucht, dass der Wannsee gar kein richtiger See wäre.
Auch die Alarmbereitschaft der Gesellschaft wird karikiert: das angefixte Volk reagiert nicht so angstvoll und gehorsam, wie die Behörden es erhofft hatten. Das Badeverbot mündet direkt in eine schäumende Minirevolution in Friedrichshagen.
Ganz großartig spielen Henry Hübchen als Bürgermeister Müller und Uwe Dag Berlin als Haijäger Snake Müller. Auch die Stereotypie des Zickenkrieges zwischen Annika Kuhl als Historikerin Müller und Anna-Maria Hirsch als Städtemarketing-Fachfrau mit dem Ausnahmenachnamen Baum ist lustig gemeint: Sie nennen sich permanent »Nutte« und »Fotze«.
Es gibt auch eine Dorfdeppin. Sie wird von einer der drei berühmten Kat(h)arinas der DDR, Katharina Thalbach, gespielt. (Die beiden anderen sind Nina [Catharina] Hagen und Katarina [Kati] Witt.) Leider war für sie im Drehbuch nicht genügend Raum vorgesehen, um zeigen zu können, welch komödiantisches Feuerwerk in ihr steckt.
Für noch mehr anspruchsvollen Kunst-Glamour bei der Besetzung ist gesorgt: Im Friedrichshagener Griechen hocken Frank Castorf und Jürgen Flimm herum. Die Intendanten der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und der Berliner Staatsoper reden schlau daher und trinken dazu Ouzo.
Alles in allem bleibt: Das Kreativteam Leander Haußmann und Sven Regener wirkt wie ein altes Ehepaar. Es tritt immer paarweise auf: als musizierende Polizisten (Gitarre: Regener, Mundharmonika: Haußmann), als Binnenseetaucher (der eine taucht, der andere auch), als Kreuzberger Punker, Hütchenspieler und – Abschreckungspantomimen.